Im Alltagssprachgebrauch wird Dopamin gern als „Glückshormon“ bezeichnet. Ganz so, als müsste man nur ein bisschen Chemie in sich hineinkippen, um die Ausschüttung von Dopamin anzuregen, und schon sind wir glücklich. Davon lebt eine milliardenschwere Suchtmittelindustrie. Dabei spielt Dopamin eine viel komplexere Rolle in unserem Körper. Und hat – wie Janis erfahren muss – sehr viel damit zu tun, ob wir tatsächlich das Leben leben, das wir leben wollen.
Und dass Janis ihr / sein Leben so eigentlich nicht lebt, ist ihr / ihm schon lange klar. Janis geht es wie vielen anderen Menschen auch. Das betrifft nicht nur Menschen, die sich mit ihrem Geschlecht im falschen Körper fühlen. Und ws hat nicht einmal etwas mit den sturen Leuten zu tun, die nicht begreifen wollen, dass es eben nicht nur die beiden strikt voneinander getrennten Geschlechter gibt. Dies wissen selbst Menschen, die zwar im richtigen Körper stecken, aber ziemlich bald merken, dass die Erwartungen an Liebe und Sex bei allen Menschen differieren.
Und praktisch nie zu den stereotypen Rollenbildern passen, die einem die paternalistischen Dummköpfe für die Regel verkaufen wollen. Was dann das Liebesleben für alle sensiblen und lebenslustigen Menschen manchmal sehr kompliziert und verstörend macht.
Auch, weil es dabei immer um mehr geht als Sex. Was auch Janis erlebt, die – bleiben wir erst einmal bei der weiblichen Form, weil die gedanklich immer wieder vorgestellte Geschlechtsumwandlung in Janis’ Geschichte erst einmal nicht stattfindet – mit der deutlich älteren Irina das erfährt, was man eine allumfassend mitnehmende Liebesgeschichte nennen kann.
Den Anfang von einer richtig großen Geschichte, die aber am Ende so hart und heftig endet, wie das bei so vielen von Hormonrausch begleiteten Liebesgeschichten der Fall ist.
Genau-richtig-garstig
Was für Janis besonders heftig ist, weil sie nicht nur mit ihrer geschlechtlichen Identität sowieso schon im Grenzbereich des emotional Verkraftbaren ist, in dem sie einfach keinen Einklang mit ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen findet. Auch beruflich ist sie irgendwie ins Abseits geraten, auch wenn ihr scheinbar so viel cleverer Bruder ihr einen Job im Backstagebereich eines Berliner Theaters besorgt hat. Doch der bringt weder viel Geld noch Erfüllung.
In Janis steckt mehr. Und im Auf und Ab ihrer Gefühle und in den euphorischen Momenten zwischen ihren Depressionen rafft sie sich auch auf und bewirbt sich mit kurzerhand mit aus dem Boden gestampften Plakaten an der Kunstuniversität. Eine Bewerbung, die sich wenig später als Anfang eines neuen Dramas erweist, an denen das Leben von Janis und ihrem Bruder Marcel so ganz arm nicht ist.
Noch so ein Erzählstrang in Varina Walendas im Genau-richtig-garstig-sein-Stil (wie sie selbst es nennt) erzählter Geschichte. Eine Geschichte, die auch ein wenig mit ihrem Beruf als Assistenzärztin in der Psychiatrie zu tun hat, wo natürlich viele von all den Menschen landen, die mit ihrem Leben ins Mahlwerk der Gefühle geraten sind. Ein Mahlwerk, das – oft genug durch Psychopharmaka angeheizt – dann oft genug auch in den körperlichen Zusammenbruch führt.
So, wie es auch Janis in dieser Geschichte geht.
Im Koma
Man bekommt es erst nicht richtig mit, da sie ja so forsch, flott und „garstig“ erzählt, wie schlecht es tatsächlich um sie steht und wie tief sie die gescheiterte Beziehung zu Irina getroffen hat. Das merkt man erst am Ende, wenn man weiß, dass ein ganzer Teil der Geschichte tatsächlich nur der Traum der Heldin im künstlichen Koma ist. Ein Traum, der ihr am Ende auch hilft, sich selbst ein wenig besser akzeptieren zu lernen.
Das, was vielen Menschen nicht gelingt, weil es mit den gesellschaftlichen Erwartungen und den manifesten Rollenbildern einer Gesellschaft zu tun hat, die auch dafür sorgen, dass über das Wesentliche im Leben eines Menschen nicht gesprochen wird.
Das tun auch Janis’ Eltern nicht. Aber sie haben zumindest Verständnis für die krummen Wege ihrer Kinder ins Leben, sie blocken nicht, auch wenn sie ihre Liebe und Zuneigung nur schwer zeigen können. Was man sogar nur zu gut verstehen kann. Auch Janis äußert es ja an einer Stelle: Es gibt viel zu viele falsche Fragen, die nur zu oft gestellt werden, wenn es in die nicht so einfach zu greifenden Bereiche menschlicher Identitäten geht.
Und die Geschichte, die Varina Walenda erzählt, zeigt gerade durch ihren schnörkellosen Sinn für die Realität eines Lebens in einer WG am Kotti in Berlin, dass diese Grauzonen eben das ganze Erleben erfassen, nicht nur den Sex. Sie haben mit Akzeptanz, Nähe und Bindung zu tun. Und der sowieso schon kompliziert gewordenen Suche nach einem Platz in dieser von Stereotypen durchwucherten Gesellschaft.
Falsche Katalogbilder
Dass der Traum vom Weg in die Kunst so schnell und so drastisch in einem juristischen Vorgang endet, trägt ja ebenso dazu bei, dass Janis ganz ohne Drama und große Inszenierung versucht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Fast beiläufig, als wäre das nur ein folgerichtiger Schritt. Auch wenn man merkt, dass sie mit all den aufgehäuften Problemen verdammt einsam geworden ist.
Nicht mal ihr Bruder Marcel, mit dem sie eigentlich per Handy-Nachricht alle Aufs und Abs ihres Lebens teilt, bekommt mit, wie schlimm es um seine kleine Schwester tatsächlich steht.
Das begreift er tatsächlich erst, als er sie im Koma auf der Intensivstation sieht, so schön und lebendig. Und doch so gefährdet.
Und wie das so ist in den Geschichten, die bei Voland & Quist ihr Zuhause finden: Es geht anders aus, als man in so einem Moment denkt. Und auch Marcels Geschichte, die eben noch als einzige Erfolgsgeschichte eines cleveren Jungen aus einer schwäbischen Mittelschichtfamilie daherkam, der einfach seine Chancen erkennt und ergreift, nimmt eine andere, unerwartete Wendung.
Ebenso, wie das Leben eben spielt. Denn das pfeift auf die Katalogbilder vom erfolgreichen Jetsetleben, die immer nur oberflächlich sind und den Betrachtern ein Bild vom schönen Leben darbieten, das mit dem wirklichen und erfüllten Leben so gar nichts zu tun hat. Aber genau diese Katalogbilder werden den Konsumenten in dieser Welt jeden Tag vor die Nase gehalten.
Sie bestimmen ihre – falschen – Träume, ihre Erwartungen ans Leben und an das, was sie Erfolg nennen, auch wenn es sie psychisch aus der Bahn wirft, zermürbt und einsam macht.
Ein Topf voll Dopamin
Denn diese Bilder ersetzen eben nicht die tief in uns steckenden Wünsche nach Nähe, nach Verständnis und Akzeptanz durch andere. Und auch nicht das tiefe Bedürfnis, dass wir uns selbst so akzeptieren lernen, wie wir sind. Am Ende hat Janis genau dazu den Faden gefunden. Und einen möglichen Weg in ein Leben, in dem sie eins ist mit sich und ihren Talenten. Die Dinge haben sich verändert, sodass sie auch auf ihren so wagemutigen Bruder nicht mehr neidisch ist.
Denn sie hat auch gelernt, sich nicht mehr vor ihrer Angst zu fürchten. „Denn ich weiß, dahinter kommt etwas Gutes. Scheiß auf das Gold am Ende des Regenbogens. Bei mir wartet ein Topf Dopamin.“
Aber eben wohl nicht mehr der, der durch all die kleinen Stimmungsaufheller und -aufschaukler ausgelöst wird. Sondern der, den wir alle bekommen, wenn wir das Leben führen, in dem wir uns wirklich richtig fühlen. Das ist schwer genug. Und oft genug ecken wir damit in einer Gesellschaft an, in der die Regelsetzer und Miesmacher das Sagen haben. Aber es lohnt sich, danach zu suchen und die Angst nicht als Verhinderer zu akzeptieren.
Eine Geschichte, welche so oder so ähnlich viele erlebt haben. Und welche die jungen Leute immerzu erleben. Denn einen breiten und geebneten Weg da durch gibt es nicht. Auch wenn es nicht alle so heftig erwischt wie die Heldin in dieser Geschichte, mit der man mitfiebert, weil man ihre Ratlosigkeit und Einsamkeit nur zu gut verstehen kann. Und es auch einen Punkt in der Geschichte gibt, an dem man nicht mehr glaubt, dass sie es schafft.
Aber sie schafft es. Soviel zumindest sei allen Leserinnen und Lesern verraten, die sich auf diese Geschichte, in der auch eine Menge Pseudoretten geraucht werden, einlassen möchten.
Varina Walenda„Dopamin & Pseudoretten“, Voland & Quist, Berlin und Dresden 2023, 24 Euro.
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