Nicht jedem Fotografen und nicht jeder Fotografin ist es vergönnt, die Lebenswege der Modelle zu begleiten und damit das Vergehen der Zeit einzufangen. Meist gelingt das nur im persönlichen Umfeld, wenn man den Kindern beim Wachsen zuschaut und später beim gemeinsamen Durchblättern merkt, wie aus den kleinen, fröhlichen Gesellen eigenwillige und beeindruckende Persönlichkeiten wurden. So war Angela Fenschs Projekt „Kind Frau“ anfangs gar nicht angelegt.
Eigentlich war sie nur dem Schweizer Verleger Eduard Schaap aufgefallen, der ein Buch mit Fotos alleinstehender Frauen mit Kindern aus der DDR herausbringen wollte. Im Westen damals tatsächlich ein exotisches Thema, weil alleinerziehende Frauen ein Unikum waren, eine absolute Ausnahme in einer Gesellschaft, in der noch das alte Rollenbild von der Familie mit dem oft allein verdienenden Ehemann und der den Haushalt führenden Ehefrau galt.
In den Köpfen konservativer Politiker wuchert es ja bis heute, weil sie auch verinnerlicht haben, dass Frauen sich keine eigenen beruflichen Existenzen aufbauen. Und wenn sie es tun, können sie das mit eigenen Kindern selten bis nie vereinbaren. Was ja bekanntlich dazu führt, dass immer mehr Menschen – nicht nur Frauen – heute ohne Kinder leben und sich ihren Kinderwunsch schlicht nicht erfüllen.
Wofür dann konservative Wirtschaftsinstitute gern nach subjektiven Gründen suchen, nur damit nicht thematisiert wird, dass es ökonomische Zwänge sind, die junge Menschen dazu bringen, den eigenen Kinderwunsch immer weiter hinauszuschieben oder gleich ganz zu verzichten.
Die Selbstbewussten von 1988
Logisch, dass Schaap von den Bildern, welche die Ostberliner Fotografin Angela Fensch ihm schickte, überrascht war. Denn die Frauen sahen ganz und gar nicht vom Leben gebeutelt aus, an den Rand gedrängt in einer Gesellschaft, die alleinerziehende Frauen für Rabenmütter hielt. Und das lag nicht daran, dass viele der abgebildeten jungen Frauen gar nicht wirklich alleinstehend waren. Unabhängig, das schon.
In einem Sinn, den man heute so nicht mehr greifen kann, weil es diese Selbstverständlichkeit nicht mehr gibt, dass Frauen berufstätig sind und gleichzeitig genug Unterstützung bekommen, sodass Beruf und Kinder gut vereinbar sind. Die Männer nicht zu vergessen, die es im Leben dieser Frauen trotzdem gab, Partnerschaften auf Zeit, in die beide Partner selbstbewusst hineingingen.
Was man heute Patchworkfamilie nennt, war gerade für unabhängige, selbstbewusste Frauen im Osten in den 1980er Jahren schon selbstverständlich. Insofern stimmen die Bilder: Sie zeigen junge Mütter, die ihr Leben auch ohne Männer im Griff haben. Und deshalb schauen sie auch völlig anders, viel ruhiger und selbstbewusster in die Kamera, als es ihre Altersgefährtinnen im Westen damals taten.
Oft verstehen es die konservativen männlichen Eliten nicht einmal, wie sehr selbst so ein altes, patriarchalisches Weltbild zur psychischen Belastung für all jene wird, die dem nicht genügen können oder wollen. Eigentlich ein ganz besonderes Kapitel von Freiheit, das aber in den üblichen Freiheits-Diskussionen der männlichen Eliten nie aufscheint. Es existiert dort nicht.
Zwischenstation: 2004
Und so staunte Schaap und gab der auch für DDR-Verhältnisse sehr unabhängigen Fotografin Angela Fensch den Auftrag. Und wie das so ist mit einem Buch, das ausgerechnet 1989 in Bern erschien: Es erhielt zwar im Westen einige sehr verdiente Aufmerksamkeit. Der Osten war aber bekanntermaßen mit völlig anderen Dingen beschäftigt, auch wenn das Thema der (alleinerziehenden) Frauen ein ganz zentrales Thema der Friedlichen Revolution war, sein musste, hätte sein müssen.
Doch am Ende ging es regelrecht unter, setzten sich die konservativen Verhandlungspartner aus dem Westen durch und ein ganzes Kapitel der ostdeutschen Emanzipation wurde stillschweigend abgeräumt.
2004 aber wollte Sabine Fensch wissen, was aus den 58 Frauen geworden ist, die sie 1988 fotografiert hat. Eine nur zu berechtigte Neugier. Denn dazwischen lagen die 15 harten Jahre, in denen die Biografien sämtlicher Ostdeutscher umgekrempelt wurden, eigentlich alle sich neu orientieren mussten und insbesondere Frauen erfuhren, dass ihnen jetzt nichts mehr geschenkt wurde.
Doch wo waren die Frauen abgeblieben? Adressen hatten gewechselt, manche hatte es in den Westen verschlagen oder gleich ins Ausland. Partnerschaften hatten sich zerschlagen, Namen gewechselt. Und trotzdem entstand ein eindrucksvoller Folgeband, der jetzt die Frauen mit ihren meist schon erwachsenen Kindern zeigte: „Frauen – Porträts – Kinder“.
Doch sie wirkten anders. Die Selbstverständlichkeit der früheren Bilder war verschwunden, wie Mathias Bertram im Vorwort zu diesem Bildband feststellt. „Die Unbefangenheit und Offenheit, die in der ersten Serie durch die Inszenierungen hindurch spürbar waren, gingen weitgehend verloren.“
Was teilweise daran lag, dass die 1988 Porträtierten zumeist aus dem Freundes- und Bekanntenkreis von Angela Fensch stammten. Aber 2004 wurde auch deutlich, dass die in der Regel durchaus erfolgreichen Frauen, die die vergangenen wilden Jahre durchgekämpft hatten, nun sehr darauf achteten, „souverän zu wirken und ein ungebrochenes Selbstbewusstsein auszustrahlen“. Also das, was man auf dem neuen deutschen Markt des äußeren Scheins und des Erfolgreich-sein-Müssens gelernt hatte auszustrahlen. Dafür war – so Angela Fensch – die „innere Heiterkeit“ verschwunden.
Dritte Runde: 2022
Kaum vorstellbar, wenn man daran denkt, mit welch grauen Farben heute die späte DDR gemalt wird. Doch genau das war ja der gelebte Widerspruch: selbstbewusste Frauen auf der einen Seite, die sich ihrer selbst gewiss waren, und eine verknöcherte Funktionärselite, die den Kontakt zu diesen selbstbewussten Menschen verloren hatte.
2004 war freilich auch noch ein Jahr, in dem nicht nur ostdeutsche Frauen unter gewaltigem Rechtfertigungsdruck standen, ob sie denn die Regeln der neuen/alten Gesellschaft jetzt endlich begriffen und verinnerlicht hätten. Das vergessen die großen Lehrmeister aus dem Westen ja so gern, dass nur die 16 Millionen im Osten diesen Anpassungsdruck hatten – und dabei immer wieder auch in ihrer persönlichen Integrität infrage gestellt wurden.
Eine dritte Fotoserie hätte also durchaus noch Kritischeres zeigen können. Aber genau das passierte nicht, wie Mathias Bertram feststellen kann. 2022 versuchte Angela Fensch noch einmal, so viele der von ihr Porträtierten zusammenzubekommen, wie möglich. Entstanden ist daraus dieses Buch, das für all jene Frauen, zu denen der Kontakt noch einmal gefunden werden konnte, alle drei Fotos zeigt. Längst sind die Kinder selbst in verantwortlichen Positionen.
Die Frauen von 1988 können auf ein erfülltes Leben zurückschauen. Viele hatten derweil mehrere Berufe und Neuanfänge hinter sich. Aber sie schauen nicht betrübt, sondern auf ihre Weise stolz in die Kamera. Denn sie haben sich nicht kleinkriegen lassen. Sie müssen niemandem mehr etwas beweisen. Sie sind selbstverständlich Teil dieser Gesellschaft, die sich ja trotz allem verändert hat.
Zeit für ein modernes Frauen-Bild
Denn das alte Patriarchenbild von Familie löst sich immer mehr auf. Daran sind auch die ostdeutschen Frauen zum Teil mit schuld, wie sich das gehört. Denn wenn man aufgewachsen ist mit dem Selbstverständnis, dass man sich im Leben nicht von einem gutverdienenden Mann mit durchfüttern lässt, dann hat das Auswirkungen, dann prägt das auch das Selbstbewusstsein der Töchter und der Söhne. Und wirkt auch in eine Gesellschaft hinein, die sich 1990 eigentlich nicht verändern wollte.
Manche Fotos sind trotzdem traurig, weil einige der Frauen, die 1988 Modell standen, inzwischen gestorben sind. Die Zeit schlägt eben doch unbarmherzig zu. Und Angela Fensch weiß, dass sie die Serie in 15 Jahren wohl nicht noch einmal fortsetzen kann.
Wohl auch nicht muss, denn die eigentliche Geschichte hat sie ja erzählt – wie Frauen die Erzählung der Welt im Grunde weitergeben an ihre Kinder, die in den frühen Fotos noch so unbeschwert durchs Bild tollen, sich 2004 eigensinnig und selbstbewusst neben ihre Mütter gestellt haben und 2022 längst selbst Mütter und Väter sind, auch wenn die Enkel – mit einer Ausnahme – nicht ins Bild kommen. Das Leben geht weiter. Jetzt haben die jungen Leute die großen Träume vom eigensinnigen Leben.
Welche Geschichten genau dahinterstecken, verraten die kleinen biografischen Texte natürlich nur in Skizzen. Typische Skizzen, kann man sagen, denn sie erzählen genau von diesem Selbstbewusstsein, das junge ostdeutsche Frauen 1988 prägte: sich von nichts und niemandem unterbuttern zu lassen und das eigene Leben auf jeden Fall auch in die eigenen Hände zu nehmen.
Und wenn’s kompliziert wird, rauft man sich zusammen, setzt sich auf die Schulbank, lernt um, beginnt etwas Neues oder setzt gleich den Traum um, den man schon immer verwirklichen wollte.
Denn das zählt am Ende, wenn man sich nach einem erfüllten Berufsleben umschaut: Hat man oder frau nur für andere gelebt, nur deren Wünsche erfüllt und die eigenen immer nur verdrängt? Oder hat man sich von diesen Ansprüchen frei gemacht und dem eigenen Leben tatsächlich einen ganz persönlichen Sinn gegeben? Und das strahlen nun der Fotos von 2022 aus.
„Zeichen eines neuen Umbruchs“ nennt es Bertram. Vielleicht auch ein Frauen-Bild, das auch diese Gesellschaft verändert, die so gern noch in den alten patriarchalischen Stiefeln herumstapft und sich blind stellt, wenn es um selbstgewählte Lebensentwürfe junger Menschen geht.
Und die Älteren? Die werden sich in diesem Buch wahrscheinlich wiedererkennen. Und die Zeit spüren, die ja trotzdem vergangen ist. Heftige Jahre, bewegte Jahre. Und wenn sie gut waren, schaut man inzwischen stolz mit den Kindern in die Kamera. Mit diesem unverwechselbaren Blick: Wir lassen uns nicht unterkriegen.
Angela Fensch „Kind Frau. Porträt-Trilogien 1988/2004/2022“<, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2023, 24 Euro.
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