Verbrechen sind ihr nicht ganz fremd. 2015 veröffentlichte Cathrin Moeller schon ihren Kriminalroman „Wolfgang muss weg“. Eigentlich eher eine schwarze Komödie. Eine, die so leicht auch anklingen ließ, dass auch die schnieken, toughen und quietschfidelen Mitbürger/-innen durchaus in der Lage sind, ihr kriminelles Talent zu entfalten, wenn sich mal die Gelegenheit ergibt. Bei „Todesglut“ verrät schon der Titel, dass es hier wesentlich härter zugeht.

Die Akademie des Verbrechens

Ihre Kinder seien schuld gewesen, verrät Cathrin Moeller im Nachwort. Die hätten sie erst auf die Idee gebracht, auf der eigentlich recht schönen Insel Rügen im alten Herrenhaus derer von Bredow eine „Akademie des Verbrechens“ zu gründen. Also eine Art Privathochschule, die sich auf die Ausbildung von Spitzenermittlern spezialisiert hat.

Dass ihre – längst erwachsenen – Kinder auf so eine Idee kamen, hat ganz bestimmt auch mit den Professionen der Eltern zu tun. Cathrin Moeller hat als Diplomsozialpädagogin lange Zeit in Resozialisierungsprojekten gearbeitet, bevor sie 2011 den Schritt in die Schriftstellerei wagte. Und ihr Mann ist Kriminalhauptkommissar. Sie leben ganz in der Nähe von Leipzig.

Ob er auch eine Aufklärungsquote von 98 Prozent hat wie der Ex-Kommissar Henry Zornik mit seinem sprechenden Nachnamen, den Moeller in diesem ersten Band zu ihrer Reihe „Akademie des Verbrechens“ auftreten lässt, wissen wir nicht. Aber der Nachname verrät eben auch einiges, was ganz bestimmt auch am Familientisch manchmal Thema gewesen sein dürfte. Denn so etwas tragen auch Polizisten nicht stillschweigend mit sich herum, auch wenn sie sich gern anders geben.

Finstere Seiten unserer Gesellschaft

Aber sie bekommen es nun einmal mit allen finsteren Seiten unserer Gesellschaft zu tun, geraten in Ermittlungen, in denen sie sich ohnmächtig fühlen, bekommen es mit Korruption, Vertuschung und Scheinheiligkeit zu tun. Und in diesem friedlichen Städtchen Bergen auf Rügen geht so einiges vor sich, was nicht nur Zornik zornig machen dürfte, der nach Jahren der Abwesenheit im fernen Brasilien zurückkehrt auf seine Heimatinsel, wo er vier Jahre zuvor alles hingeschmissen hatte, seit seine Kollegin und Geliebte als Opfer des „Rosenmörders“ den Tod gefunden hat.

Etwas, was er sich nicht nur zum Vorwurf macht, sondern was auch an seinem Ehrgeiz kratzt. Denn er ist das gewesen, was man einen Ermittler aus Überzeugung nennen könnte. Anders als sein Kollege Blume, der inzwischen aufgestiegen ist zum leitenden Ermittler, aber augenscheinlich lieber Fälle mit voreiligen Vermutungen schnell zu den Akten packt und verdächtige Spuren dann doch ignoriert.

Und der natürlich höchst allergisch reagiert, als dieser Zornik einen drei Jahre zurückliegenden Fall, den er längst zu den Akten gelegt hat, wieder aufrollt und gar mit den engagiertesten Student/-innen aus seiner Vorlesung darangeht, den Fall doch noch zu lösen. Sein Vorlesungsmotto: „Lernen wie der Mörder zu denken“.

Nur merken die Leser schnell, dass er damit in ein Wespennest gestochen hat und nicht nur alte Geschichten wieder aufwühlt, sondern auch in einem Milieu herumstochert, in dem es ganz schnell brandgefährlich wird. Die italienische Mafia kommt ins Spiel und damit eine Serie von Brandstiftungen an alten denkmalgeschützten Gebäuden auf Rügen, die so auf wundersame Weiser über Nacht all ihren Wert verloren und für Spottpreise den Besitzer wechselten.

Falsche Fährten

Na hoppla: Immobilienbranche?

Da bin ich mir sicher, dass es noch sehr viele Krimis geben wird. Immobilienblasen erzählen nun einmal auch von irre viel Geld. Und irre viel Geld sorgt für Neid, Gier und allerlei kriminelle Gedanken.

Und über weite Strecken ist natürlich auch Zornik mit seinen Student/-innen auf dieser Spur, junge Leute, die allesamt ein eher kompliziertes Elternhaus gehabt haben – einer stammt gar aus einer Familie von Berufs-Einbrechern. Aber ehrgeizig sind sie alle. Und als Zornik die Suche nach dem Täter zum Wettbewerb macht, zeigen sie, wohin man mit kluger Analyse, Verkleidung und ein bisschen Ambition gelangen kann. Über solche Leute würde sich ganz bestimmt so manches Kriminalkommissariat freuen.

Nur übersieht auch Zornik, dass sie damit in ein völlig anderes Spiel geraten sind. Die Warnzeichen überfährt er – oder ignoriert sie ganz bewusst. Denn irgendjemand scheint ihm die ganze Zeit auf den Fersen, kreuzigt erst seine Katze, brennt seinen Wohnwagen ab, in dem er lebt, weil er auf der Insel partout keine Wohnung finden kann, und lässt die Sache immer weiter eskalieren, je mehr Zornik und seine Student/-innen herausfinden.

Wohl wissend, dass sie bei der örtlichen Polizei keine Hilfe finden werden. Im Gegenteil: Zeitweilig landet auch Zornik hinter Gittern und es fehlt nicht viel und er hätte eine Mordermittlung an der Backe, denn geändert hat sich sein einstiger Kollege Blume nicht.

Ein berühmtes englisches Vorbild

Ja, auch das ein sehr einsichtiger Grund für jede Menge Zorn, denn dieser Ex-Kollege hat letztlich nur durch väterliche Beziehungen Karriere gemacht. Und er wird auch nach diesem Buch nicht verschwinden. Denn um sich gegen den Täter zu wehren, der sichtlich keine Skrupel kennt und Zornik wie ein edles Wild jagt, greifen Zornik und seine Student/-innen zu einer ganzen Reihe sehr illegaler Mittel, die man manchmal aus Serien wie CSI kennt, die aber in Deutschland von der Polizei so meist nicht angewendet werden dürfen.

Oder nur mit höchstricherlicher Genehmigung. Nur kann Zornik weder solche Genehmigungen einholen, noch hat er die Zeit, diesen letztlich zeitraubenden Weg der Ermittlungen zu gehen, denn schon mit seinen ersten Recherchen hat er etwas losgetreten, das auf einmal immer mehr Menschen in Gefahr bringt.

Und es ist nicht die Mafia, auch nicht die Immobilienmafia, und es sind auch nicht die Rocker, mit denen er sich angelegt hat, die ihn im Visier haben. Er merkt es spät, fast zu spät, dass er es mit einem Serienmörder zu tun hat, der nicht nur das perfekte Verbrechen zu seiner Passion gemacht hat, sondern auch bestens informiert ist über jeden Schritt, den Zornik geht. Sodass sich die Leser/-innen durchaus darauf einstellen sollten, dass sie auf der Hälfte des Buches nicht einfach aufhören können, der Blutdruck Kobolz schlägt und sie am Ende mitfiebern, ob diese Sache noch mal gut ausgeht. Oder alles mit weiteren unschuldigen Toten und einer mächtigen Explosion endet.

Denn der Gegenspieler verfügt augenscheinlich über ein ganzes Arsenal von Mitteln, seine Taten unbehelligt und unbeobachtet in Szene setzen und mit seinen Opfern spielen zu können. Es beruhigt einen nur, dass solche Typen auch im Alltag der Kripo eher die Ausnahme sind. In Kriminalromanen gibt es sie viel zahlreicher als in der Wirklichkeit. Auch weil die Romane dann – wie bei Sherlock Holmes und Professor James Moriarty – eine ganz andere Dramaturgie bekommen. Dem Ermittlergenie steht ein Genie des Verbrechens gegenüber, dem nichts mehr Vergnügen bereitet, als den Detektiv zu jagen und vielleicht am Ende zur Stecke zu bringen.

Kein beschauliches Hogwarts

In diesem Fall wird das ja dadurch verstärkt, dass Henry Zornik auf die Hilfe der Polizei nicht rechnen kann, auch wenn er im Verlauf der Geschichte durchaus unerwartete Unterstützung bekommt. Aber auch immer wieder selbst in Verdacht steht, wenn weitere Leichen gefunden werden. Die „Akademie des Verbrechens“ ist also nicht wirklich so eine Art Hogwarts für clevere junge Leute, die unbedingt Superermittler werden wollen.

Sondern eher ein Fremdkörper in einer Landschaft, in der Immobilienspekulanten unbehelligt ihre Geschäfte machen können, die Polizei lieber gar nichts bemerkt, wenn irgendwo verdächtige Dinge geschehen, Menschen einfach verschwinden können, ohne dass ein Hahn nach ihnen kräht, und eher die Zorniks sich ständig rechtfertigen müssen für das, was sie tun. Was einem dann doch wieder recht vertraut vorkommt.

Man kann zwar nicht alles nachvollziehen, was er macht. Denn eindeutig begibt er sich selbst immer wieder in Gefahr, ist von seinem Ehrgeiz so getrieben, dass er selbst dann weitermacht, wenn andere sich erst mal irgendwo geduscht hätten und ein ordentliches Frühstück besorgt. Aber die Verschnaufpausen gönnt ihm Cathrin Moeller nicht. Die Zeit tickt. Und die Spuren, die er findet, sind allesamt manipuliert, sodass er am Ende nur zu gut weiß, dass bis jetzt sein krimineller Gegenspieler die Regeln des Spiels bestimmt hat.

Normalerweise würde am Ende so einer Geschichte ein ganzer Konvoi von Polizeiwagen vorfahren, nachdem es beim Finale noch einmal richtig gerumst hat. Aber das können sich Zornik und seine jungen Helfer nicht erlauben. Was dann durchaus schon einmal eine Menge Verwicklungen für die „Akademie des Verbrechens“ ahnen lässt.

Denn wie sollen die jungen Leute im Sinne dieser Akademie die schnelle und effektive Lösung von Kriminalfällen lernen, wenn die es nicht – wie in diesem Fall – an realen Mordfällen ausprobieren können? Wenn die Akademie also eine Art misstrauisch beobachteter Fremdkörper bleibt in einer Landschaft, in der ein beleidigter Kripo-Chef sich nichts ins Handwerk pfuschen lassen möchte.

Das Mitgefühl der Ermittler

Immerhin lagen da ja mindestens vier Leichen herum, bei denen die Mordkommission ja irgendwie einen Täter finden müsste. Was einen dann daran erinnert, dass die Schuldgefühle, die dieser Zornik mit sich schleppt, ja durchaus auch denen ähneln, die wirklich engagierte Ermittler mit sich schleppen, wenn sie Täter nicht finden können oder Fälle so fatal ausgehen, dass dabei weitere Menschen oder gar Kolleg/-innen zu Schaden kamen.

Denn wahrscheinlich ist es auch in der Realität so, dass es diejenigen Ermittler sind, die sich menschliches Leid tatsächlich zu Herzen nehmen, die auch die größeren Ermittlungserfolge haben. Während die Hartgesottenen sich wohl viel zu oft mit Schnellschlüssen und Verdächtigungen zufriedengeben.

Weshalb ja die Krimi-Autor/-innen die vom Leben und ihrer Arbeit lädierten Kommissare als Ermittler bevorzugen. Mitsamt ihrem Frust über Vorgesetzte, die sie am Ermitteln hindern, korrupte Politiker, das unbehelligt agierende organisierte Verbrechen und eine scheinheilige Gesellschaft, die die tatsächlichen Ganoven schützt, weil Geld nun einmal auch Seelen und Gewissen kaufen kann.

Maskerade des Bösen

Ein Kriminalroman also, der eher zum Thriller tendiert, auch wenn wir das Gesicht des Bösen erst am Ende so richtig zu sehen bekommen. Dass Cathrin Moeller auch hier ein Faible hat, verrät sie nur zu deutlich, wenn sie eins ihrer armen Opfer ausgerechnet von Stephen King schwärmen lässt. Der nun aber auch nur zu gut weiß, dass das Böse meist unter lachender Maske daher kommt.

Denn im Maskieren ist das Böse Meister. So sehr, dass ihm gerade die Unschuldigen und Vertrauensvollen und Einsamen nur zu leicht auf den Leim gehen. Weshalb man sich ja Ermittler wie Zornik wünscht, die sich vor den Ausgebufften nicht fürchten. Wären sie zahlreicher, wäre die Sehnsucht nach solchen Kriminalromanen nicht so groß.

Cathrin Moeller „Todesglut“, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2022, 12 Euro.

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