Ob er es wirklich durchgehalten hat? Man würde es ihm wünschen. Denn die meisten schaffen es nicht, vom Glimmstängel loszukommen, scheitern, weil sie die Schrecken der Entgiftungszeit nicht aushalten. Ulrich Janetzki hat sich dabei noch eine zusätzliche Krücke gebaut: Wie in einem Tagebuch hat er seine Leidenszeit festgehalten.
Was in diesem Buch alles eher keine Rolle spielt, auch wenn man ihn ab und zu ins Büro begleiten kann oder er all die Stunden am Schreibtisch reflektiert, in denen er – die brennende Zigarette in der Hand – seine Texte tippte. Eine von den viele Routinen, die er sich angewöhnt hatte, sie mit Zigarette zu absolvieren.
So wie den Gang auf den Balkon, die Minuten im Park, die Gespräche mit Kolleg/-innen in der Raucherecke, das Finale des Frühstücks, das Ende eines Kinoabends … der ganze Alltag geprägt vom Griff zur Zigarette, die Entspannung und Genuss verkörperte. Meist ganz im Sinn jener exotischen Werbung, mit der die Rauchware vor Jahrzehnten auch noch im TV und in der Kinowerbung zur Verlockung stilisiert wurde.
50 Jahre am Glimmstängel
Wer 50 Jahre lang geraucht hat, der hört nicht einfach so auf, auch wenn er – wie Janetzki weiß – es zwischendurch tatsächlich schon mal geschafft hatte, nur um dann bei einer jenen Situationen, in denen die Gefühle außer Rand und Band geraten, doch wieder der alten Verlockung nachzugeben.
Aber nun meinte er es tatsächlich ernst. Wohl wissend: „Jetzt höre ich tatsächlich auf und werde wahrscheinlich leiden, aber egal, ich höre auf.“ Und er weiß auch, dass er „kein leichter Fall“ ist, ein „Suchtbolzen“. Aber er wollte wirklich loskommen von diesem ständigen Griff zum Beruhigungsstängel. Und so hat er von Anfang an aufgeschrieben, wie es ihm damit ging, „mit Wut im Bauch und nicht immer gängigen Erzählstrategien. Es hat geholfen.“
Vielleicht ein echter Vorteil war seine eigene Skepsis. Denn von 100 schafft es kaum einer, den Entschluss tatsächlich dauerhaft umzusetzen. Die meisten geben auf. Denn die Sucht ist stärker. Wenn der Körper sich an seine tägliche Dosis Nikotin gewöhnt hat, will er diese regelmäßige Droge immer wieder haben.
Und er reagiert mit allen Symptomen und Entzugserscheinungen, die er parat hat, um seinen Besitzer zu zwingen, doch wieder eine Lulle anzuzünden, jemanden anzuschnorren oder zum Lieblingskiosk zu rennen, um sich seinen Tagesvorrat zu holen. Die Verlockung ist riesig, denn der Rückfall ist ganz leicht – und verlockend.
Der eigene Körper als Gegner
Die Mechanismen sind im Grunde dieselben wie beim Alkohol oder bei Drogenentzug. Vielleicht nicht so hart. Man muss nicht in die Klinik, um vom Tabak wegzukommen. Aber man hat den eigenen Körper als Gegner, der sich daran gewöhnt hat, dass alles, was im Leben Spaß macht, mit einer glimmenden Zigarette zu tun hat. Oft genug sogar besonders starkem und hartem Tobak, diesem Knaster, der immer auch mit dem Hauch von Freiheit verbunden war.
Auch in Deutschland, wie Janetzki kenntnisreich einschiebt. Denn das Rauchen auf öffentlichen Plätzen ist erst nach der Revolution von 1848 in Deutschland möglich worden. Ein behördliches Zugeständnis an den deutschen Revoluzzer-Geist. Sollen sie doch rauchen. Hauptsache, sie revoltieren nicht.
Und so wurde gequarzt und gedampft. Auf Teufel komm raus, wurde die Zigarette auch zum Zeichen der Männlichkeit, gab es die Zigaretten-Rationen für die Männer im Krieg und die coole Pose der männlichen (und weiblichen) Filmstars nach dem Krieg.
Da war die Zigarette gleich doppeltes Symbol für Freiheit und Emanzipation. Man setzte ein Zeichen, wenn man öffentlich inhalierte. Die Idole der 1960er Jahre sind kaum denkbar ohne Kippe im Mundwinkel.
All das streift Janetzki, der die oft qualvolle Zeit seines Entzugs auch – gezwungenermaßen – dazu nutzte, seinen Werdegang als Raucher zu schildern. Denn auch so tickt ja unser Gehirn: Wenn es vom Stoff genommen wird, holt es die ganzen anheimelnden Erinnerungen raus, die sich fest eingefressen haben ins Gedächtnis: die Tage auf dem Fußballplatz, die erste (rauchende) Liebe, die erste Tour zu den Hippies von Barcelona, die Motorradtouren mit dem Freund auf die Bergpässe Osteuropas. Die Zigarette auf den Fotos immer dabei – Zeichen und Pose zugleich.
Und genauso haben sich all die Zigarettenmarken tief eingebrannt, die Janetzki im Lauf seiner Raucherkarriere rauchte, exotische Marken, die fest verbunden waren mit Orten und Ländern und Zeiten. Eine Lebensgeschichte in Zigarettennamen.
Jeden Tag eine Bilanz
Was er zuletzt rauchte, macht er nicht groß zum Thema. Muss er auch nicht. Denn sein Körper hängt nicht an Marken, sondern am Nikotin. Und er reagiert auch genauso, wie es so viele vor Janetzki erlebt haben, die versucht haben, von der Sucht loszukommen.
Die Reaktionen des Körpers, dem seine wichtigste Droge entzogen wird, sind bekannt. Und so war auch Janetzki gewappnet, wusste, wann es am schlimmsten wird und wann die Nächte zur Hölle werden, weil alles nach einer einzigen Zigarette verlangt.
Aber er hat nicht im Moment aufgeschrieben. Das merkt man schon. Er reflektiert jeden einzelnen Tag im Nachhinein, erinnert sich an die fiebrigen Stunden, in denen der Quälgeist sich aller paar Minuten meldete, der Leidende hilflos durch die Wohnung tigerte und sehnsuchtsvoll auf den Balkon hinaussah, der eigentlich nur für eins da war: zum Rauchen.
Denn längst hat sich ja auch Janetzki daran gewöhnt, dass eine ganze Gesellschaft den beharrlichen Kampf gegen das Nikotin aufgenommen hat. Gesetz um Gesetz hat die krebserregende Sucht aus immer mehr Räumen verbannt – aus Büros, aus Krankenhäusern, aus Gaststätten. Die Leute, die immer noch rauchen, tun es draußen, kennen die extra eingerichteten Raucherecken, die Raucherbereiche auf Bahnhöfen, die Stelldicheins mit gleichermaßen Süchtigen draußen vor der Tür.
Und irgendwie ist Janetzki sogar froh, dass das alles so schon passiert ist. Dass ein Teil der Welt freigeräumt ist von Aschenbechern und Rauchgeruch. Denn damit haben sich die Verlockungen deutlich vermindert, auch wenn es an den ersten Tagen so manchen Moment gibt, an dem er Aschenbecher auslecken könnte.
Rückfälle jederzeit möglich
Er weiß, dass alles noch labil ist, dass er auch an den ersten euphorischen Tagen noch nicht über den Berg ist und immer noch mit Rückfällen rechnen muss. Er lässt auch viele Peinlichkeiten nicht weg, denen er in seinem Entzug nicht ausweichen kann. Aber er weiß auch, dass man gerade das nicht weglassen darf.
Denn die meisten Bücher zum Rauchentzug – und es gibt längst Berge davon – lassen meist gerade das weg, was besonders beschämend ist. Denn eines passiert unter Garantie: Die Begegnung mit sich selbst und Zeiten eines völlig demolierten seelischen Gleichgewichts. Janetzki erlebt es als Tage, an denen er regelrecht explodiert und seiner Umwelt zur Belastung wird, Leute völlig grundlos beleidigt und harsch angeht.
Denn natürlich ist man dünnhäutig in so einer Situation. Das wichtigste Beruhigungsmittel fehlt. Auch wenn Janetzki weiß, dass es nur eine Illusion ist, eine Gewöhnung daran, dass mit Zigarette alles leichter von der Hand geht. Unser Körper lernt so etwas im Lauf der Zeit, auch wenn er am Anfang rebelliert.
Aber für den Jungen aus dem Münsterland bedeutete das Rauchen eben auch dazuzugehören – zu den großen Jungs auf dem Schulhof. So werden noch heute die meisten Jungen und Mädchen eingeführt in die Welt der coolen Großen.
Auch wenn dahinter dann meist nichts mehr kommt als die übliche Kraftmeierei, wer die härtesten Drogen nimmt und am coolsten auftritt. Was dann eben – wie Janetzki erinnert – nicht bedeutet, dass man dann auch die flotte Biene aus der Nachbarschaft bekommt.
Die kleinen Helferlein zum Glück
Süchte habe eben auch etwas mit Träumen zu tun, mit den großartigen Vorstellungen davon, welche Bäume wir alles ausreißen könnten im Leben, wenn wir nur das richtige Wundermittel haben. So werden die Suchtmittel ja dann auch angepriesen.
Es ist ja nicht wirklich Janetzkis Körper, der da gegen ihn opponiert, als er ihm den Stoff abdreht. Es ist sein Gehirn, dieser herrliche Denkapparat, der auch gleichzeitig die Steuerzentrale unserer Gefühle ist und die Glückshormone ausschüttet – oder eben entzieht und dafür Alarm schreit, weil der geliebte Glücksbote Nikotin ausbleibt.
Das kann man ersetzen. Und das tut Janetzki auch. Der Kühlschrank und das Süßigkeitenregal sind in diesen ersten harten Wochen nicht mehr sicher vor ihm. Was zumindest für den Moment hilft, die Panik mildert und ablenkt. Was auch nach zwei Wochen nicht verhindert, dass die Niedergeschlagenheit, die Lustlosigkeit und das Ziehen in der Bauchgegend zurückkehren und dem Leidenden das Gefühl geben, dass er es vielleicht doch nicht schaffen könnte, dass die Sucht doch triumphiert am Ende.
Aber das ist dann auch schon die Zeit, wo er zuversichtlicher wird, weil er jetzt schon auf eine ganze Reihe von Tagen zurückschauen kann, in denen er durchgehalten hat. Ein neues Selbstvertrauen deutet sich an, dass er es tatsächlich hinbekommt aufzuhören.
Da kehrt sich etwas um. Das merkt man schon. Der Gegner wirkt weniger übermächtig, der Bursche auf Entzug entwickelt Zuversicht und entdeckt sogar, dass sein Körper sogar positiv auf die Entgiftung reagiert. Die Haut verändert sich, die Zähne verlieren den Raucherplaque, das Gesicht wirkt verjüngt und sogar der Geruchssinn verändert sich.
Wenn Routinen auch ohne Rauchen funktionieren
War vorher er es, der wie ein Aschenbecher roch, riecht er in dieser Zeit selbst seinen „ersten Raucher“ (am 18. Tag). Oder kann er überhaupt erst wieder richtig riechen? Irgendwie scheinen all die Dinge, die vorher auch da waren, aber dem Lustgefühl beim Ziehen am Filter untergeordnet waren, auf einmal viel präsenter – das Zwischern der Vögel, die Lebendigkeit der Welt, die frischen Gerüche selbst in der Wohnung.
„Alles, was auch ohne Rauchen funktioniert, geht eben auch ohne Rauchen, weil man irgendwann vergisst, dass es nur mit Rauchen funktioniert“, stellt er am 14. Tag fest, so einem Tag, an dem er mit „Chaos im Kopf“ aufgewacht ist.
Am 24. Tag überwiegt schon der Stolz, dass er den Kampf gegen seinen von der Sucht trainierten Körper so lange durchgehalten hat. Mittlerweile gesellt sich die Gewohnheit dazu, sind Tage ohne das permanente Verlangen nach Nikotin schon fast normal, kann er im Kopf ausrechnen, dass er jetzt schon 500 Zigaretten nicht geraucht hat.
Es ist wirklich ein aufwühlendes Tagebuch, in dem man Ulrich Janetzki durch die Zeit des Entzugs begleitet, seine inneren Kämpfe miterlebt, sein Bangen, Trübsinnigsein, seinen Missmut über die eigene Unausstehlichkeit, wenn er seine Reaktionen überhaupt nicht im Griff hat.
Momente, die einem durchaus vertraut vorkommen, denn so geht es ja in dieser von Sucht, Eile und Stress besessenen Gegenwart vielen Menschen. Und nur selten gibt dann hinterher einer zu, dass er gerade auf Entzug ist, wie es Janetzki zumindest versucht.
Eine ganz andere Freiheit
Womit seine Einträge eben mehr sind als nur eine persönliche Bilanz – auch wenn er die gesellschaftliche Dimension bewusst ausspart. Denn dass jeder so einen Kampf ganz allein durchstehen muss, das ist ihm die ganze Zeit bewusst. Kollegen, Ehepartner und Freunde können bestenfalls unterstützen und bestärken. Viel mehr auch nicht.
Ganz abgesehen davon, dass sie mit den übelsten Launen des im Entzug Steckenden rechnen müssen. Am Ende aber erlebt Janetzki das Ganze wie einen Akt der Selbstbefreiung, „ein langer Weg, der sich gelohnt hat.“ Auch wenn er am 46. Tag lediglich aufhört, darüber zu schreiben in dem Gefühl, jetzt tatsächlich kein Raucher mehr zu sein.
Wahrscheinlich hat er tatsächlich durchgehalten. Wenigstens bis zur Drucklegung des Buches, das jetzt auch anderen durchaus helfen könnte, so eine Zeit voller Zagen und Verzweifeln durchzuhalten. Denn es verspricht nichts. Es verschweigt auch die Qualen und Verlockungen nicht, die die ersten Wochen prägen und die Tage endlos und zur Hölle machen können.
Und es ist auch kein Ratgeberbuch geworden. Denn es ist ganz allein die Leidensgeschichte Ulrich Janetzkis, der aus seinem Berufsalltag eben auch weiß, wie sehr Schreiben und Routinen helfen können, die wild rasenden Gedanken zu bändigen und sich auf dem langen Weg so etwas wie ein Geländer zu bauen.
Ein Geländer aus Einträgen und Erinnerungen, an denen er sich entlang hangelt in Tage, an denen es zunehmend leichter geht. Und zu denen auch die „furchtbare Laune“ gehört, während der Körper entgiftet, der ja gleichzeitig umlernen muss auf ein Leben ohne den Griff zum Feuerzeug.
Ein „ohne“, das auch schon am 23. Tag mit Freude erfüllt ist: „Ich sehe um mich her nur Raucher – und ich bin in kindliche Freude gehüllt.“
Und der letzte Schritt war dann natürlich, dass er seine Aufzeichnungen zusammenband und sie zu Sol et Chant schickte mit der Bitte um Prüfung, ob man das so der Öffentlichkeit zumuten könne. Wozu eine Portion Mut gehört, denn so viel Persönliches gibt man ja für gewöhnlich nicht in die Welt. Aber manchmal ist es wichtig. Und wenn es nur da und dort auf andere trifft, die die Leiden genauso kennen. Gescheiterte oder auch stolz Durchgekommene.
Am Ende zitiert er Goethe, dem die „unendlichen Schmerzen“ ja auch nicht fremd waren, auch wenn man bei Goethe nie wirklich weiß, ob er es selbst erlebt hat oder nur gut aufgeschrieben.
Ulrich Janetzki Entzug. Ende eines Raucherlebens Sol et Chant, Letschin 2022, 22 Euro.
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