Das Leben ist unberechenbar und kunterbunt. Und eigentlich müsste man es nur aufschreiben. Das, was man wirklich so alles erlebt im Leben. Wie oft sagen sich das Eltern heranwachsender kleiner Welteroberer. Und schaffen es dann doch nicht. Emi Guner schafft es. Es ist ja ihr Beruf. Und drei kleine Welteroberer hat sie auch.
Mit ihren Nina-Büchern hat die Stockholmer Autorin in Schweden schon großen Erfolg. Denn natürlich erkennen viele Eltern in den Abenteuern von Nina ihre eigenen Kinder wieder. Und wahrscheinlich auch ihr eigenes Schulkindschicksal. Und die kleinen Ninas erkennen sich ebenfalls wieder.
Diese ganze Aufregung vom ersten Tag an, an dem man nicht nur lauter neue Kinder und die Lehrerin kennenlernt, sondern auf einmal auch stillsitzen lernen muss und aufpassen. Und dann diese Momente, in denen man beim Namen gerufen wird und auf einmal im Mittelpunkt der ganzen Aufmerksamkeit steht.
Und dann die Toiletten …
Da geht es den Kindern in Schweden wohl genauso wie denen in Deutschland – die Schultoiletten sind einfach schmuddelig und nicht so blitzblank wie zu Hause und Nina verkneift sich den Gang auf die Schultoilette lieber, bis sie sich eine richtige Blasenentzündung holt. Also wird das auch keine Eiapopeia-Schulgeschichte, sondern eher eine, wie sie kleine Menschen tatsächlich erleben. Mit Höhen und Tiefen, Ängsten und Verstimmungen.
Wenn alles noch unheimlich wichtig ist
Denn mit sechs Jahren ist man noch nicht „cool“ und abgebrüht. Da liegen alle Emotionen noch ganz oben. Und mitfühlend ist man da sowieso. Was manche Menschen ja vergessen später und so tun, als würden Kinder gar nichts merken. Aber Kinder sind sehr sensibel, gerade was ihre kleine Welt mit Mama und Papa, Schwester und Freundinnen betrifft.
Und Nina erlebt so einige Momente, in denen all ihre Freude einfach zusammenstürzt, mal weil ihre Freundinnen einfach ohne sie losmarschieren, mal weil ihre Mama den ganzen Stress von der Arbeit mit nach Hause bringt.
Und richtig kribbelig wird es, weil Nina es einfach nicht schafft, all die Geräusche, die Unruhe, das Rascheln und Wispern rund um sich auszuschalten, immerfort abgelenkt von dem, was Frau Bergström da vorne erzählt. Und nichts hilft, diese Unruhe irgendwie in den Griff zu bekommen – außer vielleicht der Anspitzer vorn am Tisch von Frau Bergström.
Glück für Nina, dass ihre Lehrerin versteht, was da abgeht in Ninas Kopf. Und auch alles wissen will, was sie so kribbelig macht. Und wie dramatisch das Leben eines kleinen Mädchens aus heiterem Himmel werden kann, erlebt man dann in der „Frost“-Geschichte, die wir hier natürlich genauso wenig verraten wie den Ausgang der „Quatschköpfe“-Geschichte, in der Ninas selbst gebasteltes Geschenk bei ihrer Mama gar nicht so ankommt, wie sie sich das gedacht hat.
Wann ist alles gut?
Auch das vergisst man ja so leicht, wie sehr das Leben als Kind voller Irritationen und Frustrationen ist, obwohl man doch so sensibel auf die Emotionen der geliebten Menschen reagiert. Wie viel solcher Enttäuschungen hält man aus? Und wo sucht man Trost, wenn man gar nicht sagen kann, wie enttäuscht man ist?
Denn natürlich sehnt man sich danach, dass immer alles gut ist und man geliebt wird für alles, was man so freigiebig verschenkt, wie es Kinder jedenfalls noch können.
Erwachsene sehnen sich eigentlich auch noch danach, haben aber meist verlernt, wie man es bekommt und wie man es gibt. Denn das ist etwas komplizierter, als das Schreiben langer, langer Weihnachtswunschlisten (bei denen am Ende viele Dosen Ananas das Wichtigste sind).
Immerhin hat Nina da schon ein bisschen Lesen gelernt und kennt schon einige Buchstaben. Und sie hat wieder so ein Lampenfieber-Ereignis kennengelernt, als sie in der Kirche vor allen Eltern und Kindern ein Zahnfee-Gedicht vortragen sollte. Natürlich voller Angst, ausgelacht zu werden.
Da braucht man natürlich manchmal einfach die beruhigende Nähe einer Frau Bergström, die ein gutes Gefühl dafür hat, wie man sich da vorn im Mittelpunkt des Geschehens wirklich fühlt. Und auch wenn es in diesem Fall ein Weihnachtsauftritt ist, ist genau das ja so symptomatisch für unser aller Schulerleben.
Manche gewöhnen sich dann ein falsches Ego an, schauspielern sich in Maske und Kostüm durchs Leben, andere verstecken ihre Unsicherheit hinter Gesten und leeren Gesichtern.
Wie man Selbst-Vertrauen lernt
Gerade weil das scheinbar ganz simple Geschichten aus Ninas ersten Schulwochen sind, merkt man, dass es beim Zur-Schule-Gehen immer um viel mehr geht. Nicht nur ums Lernen und schon gar nicht ums Erfolghaben. Sondern um die Tapferkeit, auch dann auszuhalten, wenn im Kopf ein ganzes Knäuel an Unsicherheiten rumort.
Und wer meint, er hätte das mit seiner Schulzeit hinter sich gelassen, der dürfte wahrscheinlich falsch liegen. Denn diese Unsicherheiten hören nie auf, auch wenn erwachsene Leute gern so tun, als wüssten sie alles und hätten immer recht. Sie benehmen sich so wie Märta in Ninas Klasse, die alle anderen immerzu mit Besserwisserei kleinzumachen versucht.
Das ist wahrscheinlich sogar eine der größten Herausforderungen im Leben: Genau so nicht zu werden. Man kann eine Menge lernen in seiner Schulzeit. Und wenn es gutgeht, auch all die Unsicherheiten und Fragen auszuhalten, die einen immer wieder wuschig und ratlos machen. Wie man damit umgeht, das lernt man tatsächlich eher von all den großen und kleinen Menschen, mit denen man zu tun bekommt.
Man kann von allen was lernen. Und mit Nina erlebt man, wie aufregend das sein kann. Vorher und hinterher, wenn man wieder Vertrauen darin findet, dass man doch noch gemocht wird, so, wie man ist. Und nicht anders.
Ein Schulfach gibt es dafür nicht. Und Noten auch nicht. Weshalb so viele vergessen, dass sie auch das eigentlich in der Schule gelernt haben. Oder eben (leider) auch nicht.
Emi GunérNina. Endlich Schulkind, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2022, 14 Euro.
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