Das Leipziger Bildermuseum will nicht nur alte Kunst zeigen. Es will auch ein Ort sein, an dem sich junge Künstler/-innen zeigen können und ihre Arbeiten zur Diskussion stellen können. Dafür wurde extra das Format „connect“ aus der Taufe gehoben. Ein Format, das nach der erfolgreichen Ausstellungsreihe 2018 / 2019 im Jahr 2020 fortgesetzt werden sollte. Aber dann kam ein Virus.
Und das machte „connect #2“ in diesem Jahr unmöglich, stürzte ja bekanntlich selbst das Museum der bildenden Künste in ein wildes Fahrwasser mit Sperrzeiten, verschobenen Ausstellungen, Hygienekonzepten. Schweren Herzens wurde „connect #2“ ins nächste Jahr verschoben und blieb auch da von den vielen Unsicherheiten im Ausstellungsbetrieb nicht verschont. Was dem Ausstellungsprojekt im sogenannten Zündkerzen-Raum eine Menge Aufmerksamkeit kostete. Denn natürlich überlegen sich auch Kunstfreunde, ob sie das Risiko auf sich nehmen, in so einer Zeit Ausstellungen zu besuchen.
Dabei hatte die Jury acht sehr spannende Positionen ausgesucht, alle mehr oder weniger mit Leipzig-Bezug. Am stärksten natürlich dadurch, dass die Künstler/-innen an der HGB Leipzig studiert haben oder hier wohnen und arbeiten.
Über künstlerische Sprache sprechen
Der Katalog aus dem Hirmer Verlag stellt alle acht Positionen jetzt vor. Kurz und knapp könnte man sagen. Kurze Einleitungstexte stellen das Werk der Ausstellenden vor und versuchen auch teilweise mit kunstwissenschaftlichem Ansatz, die Arbeiten einzuordnen und zu interpretieren. Was durchaus Sinn ergibt, denn auch dem Kunsterfahrenen ist nicht immer gleich ersichtlich, in welchem künstlerischen Kontext die Ausstellenden unterwegs sind. Und manchmal ist gerade das wichtig zu wissen, denn gerade junge Künstler setzen sich meist sehr intensiv mit den Konventionen, Stilen und Standards des Kunst-Machens auseinander.
Das beginnt mit Erik Swars’ „dystopischer Rauminstallation“, geht mit Johanna Terhechtes eindrucksvoller Video-Installation „12:01“ weiter, in der riesige Containerschiffe in stoischer Größe über den Horizont ziehen, und hört mit Isabell Schultes riesigen Zeichnungen nicht auf, deren filigrane Muster erst erkennbar werden, wenn man nahe herantritt an die übergroßen Zeichenblätter.
Und natürlich sind es nicht nur künstlerische und stilistische Diskurse, die hier sichtbar werden. Wäre es das, es bliebe wieder mal nur ein Zwiegespräch mit einer Kunstkritik, die selbst oft genug wie eine Kunst-Blase wirkt. Wie aber kommuniziert Kunst über diesen engen Rahmen der Eingeweihten hinaus? Wie erweckt sie überhaupt die Aufmerksamkeit und Neugier eines Publikums, das ja berechtigterweise ohne kunstwissenschaftliche Ausbildung in Ausstellungen geht?
Die Kehrseite unseres Wohlstands
Diese Dimension wird spätestens mit den „Gartenvögeln“ von Matthias Garff sichtbar, eine Ausstellung, die im August 2021 zu sehen war und die durch zwei Dinge beeindruckte: einerseits die gewaltige, übermannshohe Dimension der von Garff gebauten Vögel. Und durch die verwendeten Materialien – so ziemlich alles Abfall- und Wegwerfprodukte aus unserer Wohlstandsgesellschaft, Müll, der eben für gewöhnlich auch den Lebensraum der Vögel stört und zerstört, die Garff hier mit teils menschlichen Zügen gestaltet hat.
Auf einmal schauen sie einen an – Stieglitz, Kohlmeise, Goldammer und Buchfink. Und sie stellen die Frage, die ihre lebendigen Vorbilder nur beschränkt stellen können: Wie halten wir es eigentlich mit der lebendigen Welt um uns, wie schauen wir eigentlich auf Natur?
Eine Frage, die sogar bei Felicitas Fäßler und ihren Interferenz-Bildern auftaucht. Denn was sehen wir eigentlich noch, wenn wir uns nur noch auf die Reproduktion von Strukturen konzentrieren? Oder geht dann die „Originalität des Einzelwerks“ völlig verloren? Verschwindet also das, was den Menschen zur Künstlerin macht? Oder ist auch dann noch eine Erzählung möglich – so wie bei der aus Gummiabrieb von einer Flughafenlandebahn erzeugten Gummimatte? Immerhin ja kein so unaktuelles Thema, wo Gummi- und Plastikteilchen mittlerweile unsere ganze Welt durchdringen.
Und durchaus die Frage folgen lassen, die Oscar Lebeck im Oktober in seiner Fotoausstellung „Cella“ stellte: Was bleibt? Ein paar Reste vom Fundament alter Tempel – aber den Tempel selbst kann man nur noch imaginieren – oder mit Doppelbelichtung geisterhaft im Bild andeuten. Und auch Felix Ambacher thematisierte in seiner Ausstellung „Equipement“ die Schmerzlichkeit unserer artifiziellen Umwelt. Was Mania Godarzani-Bakthiari dichterisch in die Worte fasst: „Aber das Allgegenwärtige / sollte nicht wehtun, oder doch?“
Frustrierende Alltagswelten
Eine sehr treffende Frage, wenn man so durch heutige Städte und die Allgegenwart ästhetisch hässlicher Gebilde schaut. Denn am Ende entpuppte sich die Ausstellungsreihe auch als eine sehr vielstimmige Diskussion des Dinglichen, das uns ja nun einmal umgibt und zu dem wir immer Beziehungen herstellen, auch wenn es manchmal Beziehungen des Grauens, der Einschüchterung, der Bedrängung oder Überwältigung sind.
Und eigentlich hat das auch Anna Nero in der letzten Ausstellung in dieser Reihe thematisiert, die im Januar 2022 gezeigt wurde: „Slippery Slope“. Was dann Philipp Schreiner im Begleittext flugs zum Ausruf „Vorsicht, Rutschgefahr!“ kommen lässt. Denn optisch glitscht es in Neros Arbeiten, die man einerseits als fröhlich zelebrierte Pop-Art interpretieren kann, aber auch als Herausforderung unserer Alltagssicht auf die Gegenstände, mit denen unsere Konsumwelt angefüllt ist.
Oft genug in poppigen Farben und Formen, die uns suggerieren, dass all das nur ein fröhlicher Spaß und eine konsumentenfreundliche Spielerei ist – dabei ist es (siehe Garff und Fäßler) bitterer Ernst. Ein Ernst, der ja bei Johanna Terhechte auch in riesigen Containerschiffen vorüberzieht, den eigentlichen Symbolen einer globalisierten Weltübernutzung, die uns schon längst in Konflikt gebracht hat mit der Lebendigkeit der Welt.
Und mit unserer eigenen Lebendigkeit. Denn das fällt schon auf, wie in all den ausgestellten Arbeiten tatsächlich der Mensch fehlt. Als spielte er keine Rolle (mehr). Als wäre er im Gebrauch und der Benutzung der Welt verloren gegangen, verschwunden hinter den Artefakten, die zwar von seiner Anwesenheit erzählen, ohne ihn aber zu inhaltsleeren Relikten werden, Zeugnissen einer Abwesenheit, die schon verblüfft.
Eine durchaus erstaunliche Ausstellungsreihe also, die am Ende einen Berg an Fragen und Irritationen zurücklässt, mit denen sich der Betrachter des nun vorliegenden Katalogs noch einmal in aller Ruhe beschäftigen kann. Die kleinen Texte zu den Künstler/-innen sind dabei oft nicht mehr als eine Anregung, sich in die Bilderwelt des Porträtierten zu begeben.
Bilderstrecken zeigen alle wesentlichen Ausstellungsobjekte, sodass man auch am Bild selbst prüfen kann, ob man der ersten Interpretation folgen möchte. Oder doch eher verunsichert ist, wie man vielleicht des Öfteren aus Ausstellungen herausgehen sollte. Denn wenn alles nur schön ist, hat Kunst ihren Zweck ja auch verfehlt. Dann erzeugt sie kein Gespräch mehr und keinen Widerspruch.
Die Sache hat aus Sicht des Museums der bildenden Künste jedenfalls funktioniert. Das nächste Projekt ist in Vorbereitung, kündigen die Herausgeber an.
Stefan Weppelmann, Marcus Andrew Hurtig (Hrsg.) Connect Leipzig #2, Hirmer Verlag, München 2022, 22 Euro.
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