„Mein schönes Leben“ hat Manfred Krug seine Autobiografie genannt, die 2003 bei Econ erschien, demselben Verlag, der 1996 auch sein legendäres Tagebuch aus dem Jahr 1977 „Abgehauen“ veröffentlicht hatte. Diese Autobiografie begann er genau in dieser Zeit zu schreiben, als er die hier veröffentlichten Tagebücher schrieb. Da hatte ihn gerade ein schwerer Schlaganfall direkt aus diesem schönen Leben gerissen.
Die Tagebücher sind eine Sensation, schreibt der Verlag. Und in gewisser Weise sind sie es auch, auch wenn ein Tagebucheintrag andeutet, dass Manfred Krug sie tatsächlich zur Veröffentlichung vorgesehen hatte. Nach dem Tod seiner Ehefrau Ottilie 2021 entschlossen sich seine Kinder, die Tagebücher zur Veröffentlichung freizugeben. Nicht nur, weil sie den Schauspieler so zeigen, wie ihn Millionen Menschen kennen und lieben gelernt haben – in Ost und West. Schauspieler leben ja von ihrer Berühmtheit. Aber sind sie auch im Leben jenseits der Bühnen und der Kameras so?Das beschäftigt natürlich gerade all jene, die nur zu gern alles lesen, was an Autobiografischem zu bekommen ist. Und auch Manfred Krug machte ja die Erfahrung, dass dem in der Regel nicht so ist. Die meisten Berühmtheiten türken ihre offiziellen Biografien, schaffen auch hier eine Kunstfigur und geben praktisch nichts Privates preis.
Andere schreiben zwar solche Lebenserinnerungen, verlieren sich aber in Anekdoten und Abschweifungen. Die meisten dieser Bücher sind zum Wegschmeißen. Was die Schreiber oft gar nicht merken, weil für sie alles im Leben Rolle ist. Und das betrifft nicht nur Schauspieler.
Das Jahr, in dem „Abgehauen“ erschien
Dass dieser Krug vor und hinter der Kamera authentisch ist, das merkten die Leser spätestens, als er – nach langem Zögern – 1996 „Abgehauen“ veröffentlichte. Oder besser: in die Hände von Krista Maria Schädlich gab, die diese Aufzeichnungen schon aus dem Jahr 1977 kannte, als Krug daraus in einer kleinen Berliner Schriftstellerrunde las. Vor Leuten, vor denen er auch 1996 noch eine gewaltige Hochachtung hatte, weil er sich selbst nicht für einen Schriftsteller hielt.
Doch auch die Tagebücher 1996/1997 zeigen, dass er die wichtigsten Tugenden eines guten Autors hatte: Er schrieb authentisch, klar, ohne all das Gestelzte, was so viele deutsche Romane der „Hochliteratur“ so ungenießbar macht. Er konnte erzählen. Und er wusste, wie man Dialoge baut, Pointen setzt, zum Punkt kommt.
Und dass er 1996 begann, in relativ dichten Abständen seine Notizen zu machen, hat natürlich mit „Abgehauen“ zu tun. Nach fast 20 Jahren hatte er sich dazu aufgerafft, die alten Tagebuchaufzeichnungen aus der Zeit nach der Biermann-Ausbürgerung und den heimlich aufgenommenen Mitschnitt des im Film so eindrucksvoll nachgezeichneten Gesprächs mit dem SED-Funktionär Werner Lamberz in die Hände von Krista Maria Schädlich zu geben, die damals Lektorin bei Econ war.
Und natürlich war er gespannt, wie dieses Buch in dieser Zeit ankommen würde, ob es überhaupt seine Leser finden würde. Dass es binnen weniger Wochen an die Spitze der „Spiegel“-Bestseller-Liste aufsteigen würde, hatte er so nicht erwartet. Dass es Unstimmigkeiten mit all jenen geben könnte, die im Tagebuch von 1977 auftauchten, damit rechnete er schon. Und die Unstimmigkeiten gab es auch. Auch wenn nur einer dann auch noch einen Rechtsanwalt einschaltete, weil er seinen Auftritt falsch beleuchtet sah.
Liebling im Westen
Doch auch für Krug war klar, dass er mit „Abgehauen“ das zu dieser Zeit treffendste Buch zur untergegangenen DDR geschrieben hatte. Mitten ins Schwarze könnte man sagen. Mitten in eine Situation, in der erst den wenigsten überhaupt klargeworden war, dass es tatsächlich die Biermann-Ausbürgerung gewesen war, die den Anfang vom Ende der DDR einleitete. Ein Land stirbt mit seiner Glaubwürdigkeit.
Und dieser Krug kam nicht nur auf den Leinwänden in der DDR glaubwürdig rüber. Wie er den Käsebier, den Balla, den Stülpner Karl spielte, das kam so leicht rüber, als würde er sich nicht mal bemühen, jemanden anders zu spielen als sich selbst.
Aber gerade damit war er für das DDR-Publikum ein Spiegel, eine Projektionsfläche, wie man auch in diesem durchkontrollierten und disziplinierten Land seinen Anstand und seine Würde bewahren konnte. Wenn so einer einen Ausreiseantrag stellte, dann wirkte das noch viel stärker als die Brüskierung durch die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Und er war ja nicht der einzige.
1977 verließ auch sein Freund, der Schriftsteller Jurek Becker, das Land. Diese Freundschaft verband beide bis zum Schluss. Er schrieb auch die Drehbücher für die Fernsehserie „Liebling Kreuzberg“, mit der sich Manfred Krug auch in die Herzen der westdeutschen Fernsehzuschauer spielte.
Wenn der beste Freund stirbt
Im Tagebuch verrät Krug, wie er auch an Jurek Beckers Drehbüchern herumschraubte, bis sie für ihn auch vor der Kamera funktionierten. Etwas, was auch „Tatort“-Regisseur/-innen erlebten, ganz zu schweigen von all den Werbeagenturen, mit denen er damals Werbeclips aufnahm. Meist schrieb er alles um und neu. Und schimpfte im Tagebuch über all diese Dilettanten, die augenscheinlich keine Ahnung davon hatten, wie Szenen vor der Kamera funktionierten.
Allein schon die Geschichte von Veröffentlichung und Verfilmung von „Abgehauen“ hätte Stoff für zwei so spannende Tagebuch-Jahre ergeben. Aber das Jahr 1997 sollte für Manfred Krug noch ganz andere Aufregungen bereithalten, mit denen er Anfang 1996 jedenfalls nicht gerechnet hat.
Denn Anfang 1997 starb Jurek Becker, ein Tod, der den mittlerweile selbst 60 Jahre alten Manfred Krug wohl viel härter traf, als er es selbst im Tagebuch aufschreiben konnte. Wenig später erlitt er dann aus heiterem Himmel den Schlaganfall, der ihn für ein halbes Jahr erst einmal völlig aus dem Arbeitsleben warf.
Man bekommt zumindest eine Ahnung davon, was für ein Arbeitspensum Manfred Krug sich auferlegt hatte. Auch wenn er vor der Kamera immer wie er selbst wirkte, als würde das gar keine Anstrengung bedeuten, steckte dahinter eine Menge Arbeit.
Oft einfach nur eine gründliche Bereinigung völlig verpeilter Drehbücher und seltsamer Vorstellungen von Regisseuren und Produzenten, was eigentlich verfilmt werden sollte und wie. Und in Erinnerung an seinen Freund Jurek stellte er aus dessen humorvollen Postkartengrüßen auch noch ein eigenes Buch zusammen.
Wenn es einfach nur um Text und Melodie geht
Was er dann freilich nicht mehr verhindern konnte, war, dass seine bis dahin strikt getrennten zwei Leben aufeinanderprallten. Denn der Schlaganfall suchte ihn ausgerechnet heim, als er gerade mit seiner Freundin Petra und ihrer gemeinsamen Tochter Marlene zusammen war, dem Kind, das den 60-Jährigen auf eine Weise faszinierte, wie das wohl wirklich nur Männern im hohen Alter so passiert – auch weil man mit 60 natürlich merkt, dass es größere Geschenke im Leben nicht mehr geben wird, als das Aufwachsen eines Kindes noch erleben zu dürfen.
In dieser Nacht ist es dann unvermeidlich, dass sich Ottilie und Petra endlich begegnen und Manfreds Kinder erfahren, dass sie noch eine kleine Halbschwester haben. Die langen Monate erst in der Charité und dann in der Rekonvaleszenz hat Manfred Krug dann im Dezember 1997 erst nachgetragen. Denn Sprache und Schreiben musste er erst in langen Therapien wieder zurückgewinnen. Dass er im Kopf trotzdem noch der Alte war, kann man hier lesen.
Genauso forsch, trocken und beseelt von handwerklichem Können. Das steckt selbst im letzten Satz, in dem er den von Kritikern oft abgewerteten Pop-Künstlers Können bescheinigt. „Da können manche Gestaltungsartisten an den Theatern lernen, wie ‚Popkünstler‘ dem Text und der Melodie vertrauen und sich scheinbar um nicht mehr kümmern als um diese beiden. Und das reicht.“
Und das fasst dann auch den Sänger und Schauspieler Manfred Krug treffend zusammen, der schon vor seinem Schlaganfall das beklemmende Gefühl hatte, dass er vieles von dem, zu was er sich vertraglich verpflichtet hatte, nicht mehr lange würde machen wollen. Der Körper kündigt oft schon viel früher an, dass etwas nicht stimmt, dass es mit dem Rotieren doch bald genug ist.
Sich nicht verbiegen lassen
Dass er gerade diese beiden aufregenden Jahre im Tagebuch festgehalten hat, ist ein Glücksfall. Und seine Kinder legten auch diese Veröffentlichung wieder in die Hände von Krista Maria Schädlich, die dem Text dann auch noch ein sehr persönliches Nachwort beigefügt hat. Denn sie war ja schon 1977 dabei gewesen, kann also auch die Vor- und Nachgeschichte dieser turbulenten zwei Jahre erzählen, die für Manfred Krug existenziell wurden.
Das überliest man im Tagebuch selbst oft, weil er auch da nicht überdreht und scheinbar stets gelassen schreibt. So gelassen wie natürlich einer schreiben kann, der sich im Leben nicht verbiegen ließ und von anderen ebenso erwartet, dass sie ehrlich und unmaskiert agieren. Darin auch 1997 noch genau derselbe wie der junge Schauspieler, der selbst auf der DEFA-Leinwand den Mächtigen mit frechen Sprüchen kam.
Aber es gilt ja auch in heutigen Zeiten. Und so manche Leser/-innen werden sich getröstet fühlen und gestärkt von diesen Tagebucheinträgen. Auch wenn sie die Gefährdung des schönen Lebens nicht mindern können. Aber es stecken lauter Sätze darin, die einfach zeigen, dass man das ganze schöne Leben als das nehmen kann, was es ist. Niemand bekommt mehr davon. Wir brauchen nicht neidisch zu sein, auch wenn andere prahlen.
Reich macht uns das, was wir an Nähe, Schönheit und Lebendigkeit zulassen. Und dazu muss man einfach nur aufmerksam und offen sein für das, was einem geschenkt wird. „Noch habe ich die Hoffnung, daß der Schlaganfall mich nicht dumm gemacht hat“, schreibt Krug unter dem 20. November 1997. „Ich spüre aber, er hat mich wohl nur geschwächt, ich bin nicht mehr so konzentriert und so ausdauernd, und ich bin erheblich langsamer geworden. Die beiden ersten Sätze der ‚Memoiren‘ habe ich soeben hingeschrieben.“
Ohne Maske und Allüren
Und während der Verlag noch vom wohl größten deutsch-deutschen Star schreibt, erzählt dieses Tagebuch von einem Mann, dem Starallüren fremd waren, dem Freundschaften und ein ehrlicher Umgang miteinander immer viel wichtiger waren. Ein auch in unseren Zeiten völlig Unpassender, wenn man es recht bedenkt. Einer, den man allein schon deshalb mag, weil er kein Blatt vor den Mund nimmt und Klartext schreibt.
Es geht also: Man kann in allen Widrigkeiten ein anständiger Mensch bleiben und auch vor der Kamera der bleiben, der man ist. Ohne Maske, ohne Übertreibung. Denn auch für Schauspieler gilt: Erzählen können sie in ihren Rollen nur, was sie selbst erfahren und begriffen haben. Alles andere ist Talmi.
Deswegen mag man den Kerl einfach, egal, in welchem Film man ihn kennengelernt hat. Mit dem hätte man nur zu gern abends in der Kneipe gesessen und sich hinterher reicher gefühlt und neu aufgeladen. So ungefähr wie nach dem Lesen dieses zutiefst menschlichen Tagebuchs.
Manfred Krug; Krista Maria Schädlich Ich sammle mein Leben zusammen, Kanon Verlag, Berlin 2022, 22 Euro.
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