Wie reisen wir heute? Mit welchen Blicken schauen wir eigentlich auf die Welt? Oder lohnt es sich gar nicht mehr, irgendwohin zu fahren, weil sowieso alles Ć¼berall gleich ist? Christoph Hƶhtker ist einer der umtriebigsten Reisejournalisten unserer Tage, verƶffentlicht seine ā€žHandgepƤckgeschichtenā€œ in der ā€žZeitā€œ, der ā€žWeltā€œ und der ā€žNeuen ZĆ¼richer Zeitungā€œ. Geboren in einer Stadt, die es bekanntlich nicht gibt, lebt und arbeitet er heute in Genf.

Es Ć¼berrascht schon, dass dieses BƤndchen sich in eine Region verirrt hat, in die keine einzige seiner Reisen fĆ¼hrt. Jedenfalls keine, die er in diesen 16 Geschichten thematisiert hat. Ein bisschen Berlin ist drin mit einem kleinen Ausflug auf den preuƟischen Prachtboulevard Unter den Linden. Meistens ist auch Babe irgendwie dabei als abgebrĆ¼hte Begleiterin, der er seine Kommentare zum Gesehenen zuwirft wie BƤlle.Sie nennt ihn Honey. Vielleicht existiert sie auch gar nicht. Manchmal driften die Geschichten auch ab in reine Phantasie. Aber Phantasie gehƶrt zum Reisen. Denn wenn man sich nicht vorstellen kann, wie das wƤre, selbst dort zu leben, bleibt alles nur Kulisse, hƤtte man auch zu Hause bleiben kƶnnen.

Wobei auch nicht zu Ć¼berlesen ist, dass Hƶhtker fĆ¼r ein Publikum schreibt, fĆ¼r das Reisen selbstverstƤndlich ist. Das so selbstverstƤndlich nach La Gomera fliegt wie nach Kopenhagen, Lanzarote oder New York. Und dem man eigentlich nichts Neues erzƤhlen kann, weil es schon Ć¼berall gewesen ist. Alles schon gesehen hat, abgehakt, abfotografiert.

Und auƟerdem: Die Welt ist ja lƤngst entdeckt, kartiert und mit Etiketten versehen. Und wo alles etikettiert ist, gibt es auch nichts mehr zu entdecken. Oder? Denn die Etiketten prƤgen unseren Blick. Wir sehen das, was wir wiedererkennen, was wir schon tausend Mal gesehen haben. Egal, ob New York oder Wien, Lissabon oder die Provence, die sowieso lƤngst ihren Ruf weghat, seit sie vor einem halben Jahrhundert das El Dorado der Lehrer wurde, die hier in den Ferien einmal wieder den kleinen, rebellischen Aussteiger leben durften, bevor sie in den biederen deutschen Schulbetrieb zurĆ¼ckkehrten.

Der verlorene Zauber der Welt

Hƶhtker spielt mit diesen Assoziationen und Vorurteilen. All unseren Vorstellungen von dem, was an der Welt wichtig, cool und ausgebufft ist. All diesen GroƟmƤuligkeiten, mit denen wir uns auf Instagram oder anderswo gegenseitig Eindruck zu schinden versuchen und dabei auch gleich noch den Ton der Werbeprospekte Ć¼bernehmen, das selbstgefƤllige Raunen, jetzt auch mal am angesagtesten oder ausgefallensten Platz der Welt gelandet zu sein: Staunt, Leute! Abenteuer, Babe!

WƤre da nicht diese stets gegenwƤrtige Melancholie, diese unterschwellige Trauer, die im Tonfall dieser Texte steckt. Ein Tonfall, der durchaus an die Welterkundungen eines Michael SchweƟinger erinnert, der freilich etwas anders reist und Orte intensiver erlebt, weil er stets versucht, dort auch lƤnger zu leben und zu arbeiten.

WƤhrend der Reisende, den Hƶhtker imaginiert, mit Rollkoffer unterwegs ist und kurzerhand EasyJet bucht, wenn es mal nach Spanien oder Portugal gehen soll. Halb GeschƤftsreisender, halb Tourist. Und stets auf der Suche nach dem noch ErzƤhlbaren von Orten, die alle schon viel zu oft beschrieben wurden, in den Himmel gelobt und in Zeitschriftenartikel zum Pflichtprogramm des modernen Reisenomaden erklƤrt.

Die Interpretationsschablonen im Kopf

Hƶhtker spielt mit diesen Stereotypen, ist im Grunde seine eigene Kunstfigur auf Lonely Planet, Darsteller unter Darstellern. Aber er ist genauso verzweifelt wie SchweƟinger, mit diesem Druck zu reisen, am Ort der Sehnsucht dann unbedingt auch noch das Besondere, Unverwechselbare und Eigene entdecken und erzƤhlen zu mĆ¼ssen. Obwohl er weiƟ, dass es das durchaus noch gibt. Auch in Genf, seiner Heimatstadt, der er gleich zwei HandgepƤckgeschichten widmet. Denn auch in seiner Heimatstadt kann man reisen mit den Augen des Fremden. Oder des Einheimischen, der einmal aufmerksam mit der Linie 8 durch die verregnete Stadt fƤhrt.

Und genauso wird der Ruhrpott mit all seinen StƤdten, die keinen Anfang und kein Ende haben, zum Prospekt einer Reise. Eine Reise vor allem im Kopf. Denn natĆ¼rlich lebt Hƶhtker in unserer von Soll-Mustern bestimmten Gegenwart, in der wir stƤndig vergleichen, bewerten, Punkte und Likes vergeben. Und stƤndig im Monolog sind mit den Stimmen in uns, die uns die Vorurteile anderer Leute vorplappern, dass dieses biedere Kassel, dieses verkorkste Frankfurt, dieses architektonisch verdorbene Berlin nicht konkurrenzfƤhig sind.

Nicht einmal, wenn die Stewardess im Flugzeug das nƤchtlich ausgebreitete Berlin als New York anpreist. WĆ¼rde man Genf dann mit Kalkutta vergleichen? Und ist nicht sowieso lƤngst New York die Stadt aller StƤdte, mit der sich keine andere vergleichen kann? Eine Stadt, in deren riesigen Dimensionen sich der Reisende verliert, wƤhrend er gleichzeitig versucht, in die Rolle eines alten ARD-Auslandskorrespondenten zu schlĆ¼pfen, der seine Abschiedsreportage aus Big Apple dreht?

Den Big Apple habe ich selbst jetzt mal hergesetzt. Als kĆ¼nstliches FrĆ¼chtchen. Denn Hƶhtkers Reisen sind ja nicht nur durch all die Vor- und Abbilder aus Magazinen, Prospekten und Insta-Bilderfluten geprƤgt. Er hat ja auch noch all die Zitate diverser Philosophen und Musst-du-gelesen-haben-Autoren im Kopf, die uns das groƟe Feuilleton stets als ErklƤrungsmuster anbietet, wie wir die Interpretation der Welt zu interpretieren haben.

Reisen in Interpretationen von Interpretationen

Wir reisen ja sogar mit Vorstellungen im Kopf herum, wie wir die Welt mƶglichst abgeklƤrt und ironisch gebrochen zu betrachten haben. Was bei SchweƟinger tatsƤchlich schwere und tiefe Melancholie ist, ist bei Hƶhtker ebenso schwere und schwermĆ¼tige Ironie. Das Ergebnis ist offenkundig ā€“ einerseits ein geradezu frƶhliches Spiel mit den ebenso weltbereisten Lesern, denen man so augenzwinkernd zu verstehen gibt, dass all die bereisten Orte ja eigentlich nichts Dolles sind.

Da sind ja eh auch schon andere hingefahren. Und man hat jede Menge dieser Orte gesehen, so als Dauertourist. Als Dauertourist sieht man sowieso schon lƤngst abgeklƤrt auf das alles und schaut eher nach wirklich abgewrackten Ecken, wo die anderen alle noch nie waren und die eben noch nicht touristisch aufgemotzt sind.

Es ist schon erstaunlich, dass bei dieser Art des ironischen Weltbereisens dieselbe Schwermut aufkommt Ć¼ber die Entzauberung der Welt wie bei SchweƟinger. Da wird selbst ein ā€žLand ohne Ɯberschriftā€œ oder der Versuch, Deutschland mit Touristenblick zu durchreisen, zu einer Begegnung mit dem Surrealen, mit Klischees, die man nicht Ć¼bersehen kann, weil sie schon lange fertig sind, noch bevor man nach Bielefeld oder Baden-Baden kommt.

Klischees, in denen nur noch die ironischen Dialoge helfen, sich nicht wie ā€žLost in Translationā€œ zu fĆ¼hlen ā€“ wobei dieser Reisende augenscheinlich keine Probleme hat, sich Ć¼berall zu verstƤndigen. AuƟer bei den Fischern von Catania, die er wie eine extra fĆ¼r ihn aufgebaute touristische Attraktion betrachtet.

Und das ist vielleicht die kleine, stets gegenwƤrtige Kritik an unserer Inszenierung der Welt als touristische Erlebnisplattform, die hier einmal deutlicher hervorbricht. Denn diese Eventisierung einer Welt, in der die Menschen auch leben und arbeiten, wenn wir ihnen nicht mit dem Fotoapparat auf die Pelle rĆ¼cken, hat auch unseren Blick verƤndert, ohne dass wir uns dessen noch gewiss werden.

In gewisser Weise in einen neuen kolonialen Blick verwandelt, mit dem wir auf das ausgestellte Exotische schauen, als wƤre es extra fĆ¼r uns aufgebaut worden, damit wir schƶne Fotos von ausgelassen feiernden Eingeborenen machen und dann den billigen Nepp von den aufgebauten StƤnden kaufen.

Welt in Schablonen

Ɯbrigens ein Blick, der sich auch umkehren kann und selbst die Bewohner Hamburgs mit ihren Funktionsjacken und die von Kopenhagen mit ihrer Gelassenheit im Regen in ā€žEingeboreneā€œ verwandelt, ein fremdes Vƶlkchen, dessen Exotik wir dann mit touristischer Neugier betrachten. So werden Hƶhtkers HandgepƤckgeschichten auch zu Spiegelbildern unseres Blicks auf die Welt.

Eines Blickes voller fertiger Schablonen, in die wir das unterwegs Gesehene einfach einsortieren. Wohl wissend, dass wir wieder zurĆ¼ckkehren werden an den Ort, wo wir uns nicht als Touristen definieren mĆ¼ssen, auch wenn wir selbst dort ā€“ wie die Genf-Geschichten zeigen ā€“ immer ƶfter das GefĆ¼hl haben, nur Besucher in einer Kulisse zu sein. Hingestellt, um fĆ¼r das nƤchste Selfie schmuck auszusehen.

Da hat sich etwas GrƤssliches mit unserem Blick auf die Welt zugetragen. Und so eine Ahnung schwingt mit, dass das mƶglicherweise auch ein Grund dafĆ¼r ist, dass wir unsere Welt und uns selbst nicht mehr richtig ernst nehmen kƶnnen, weil wir immerfort nur die Inszenierung sehen. Nicht ganz zufƤllig beginnt dieser Reisende unterwegs auch noch sehr vertraut klingende StadtvermarktungssprĆ¼che zu entwickeln.

Da ist man dann endgĆ¼ltig in einer Welt, in der sich selbst Bilder, Stadtansichten und ā€žSehenswĆ¼rdigkeitenā€œ in Inszenierungen verwandelt haben, als lebten wir alle nur noch in Kulissen, die gar nicht fĆ¼r uns da sind, sondern fĆ¼r die Millionen immer gleichen Insta-Bilder. Kein Wunder, dass sich selbst Babe auf einmal als fiktiv empfindet, weil in all den gestellten Bilderfluten nichts mehr wirklich real und greifbar zu sein scheint. ā€žIch bin fiktiv?ā€œ – ā€žNicht in der RealitƤt. Im Text schon.ā€œ – ā€žHilf mal besser der Signora.ā€œ – ā€žDie ist auch fiktiv.ā€œ

Nur zu Gast in Kulissen

Da wird sich nach UmblƤttern der letzten Seite so mancher fragen: Hat dieser Hƶhtker nicht eigentlich recht? Wie real sind eigentlich Reisen in einer Welt, in der alle einst faszinierenden Reiseziele lƤngst in touristische Events und Attraktionen verwandelt wurden?

Kulisse von standardisierten Erwartungsmustern an einem unbedingt einzigartigen Ort, an den wir alle reisen mĆ¼ssen, nur um dann beim Hasten durch all diese Orte das dumme GefĆ¼hl zu haben, nur schlechte Schauspieler in einer Inszenierung zu sein, in der wir schon stƶren, wenn wir nicht spƤtestens in zwei Wochen wieder abgereist sind. Die vertraute Bekanntschaft mit der freundlichen Servierkraft endet schon, bevor wir auch nur am Flughafen wieder eingecheckt haben. So reisen wir heute.

Oder doch nicht? Eigentlich ein sehr schƶnes Buch, das einen trƶstet, wenn man bei all den superdollen Angeboten aus dem Reisekatalog die fƤllige Reise zum Abenteuer fĆ¼r diesmal einfach abgesagt hat. Und lieber nach Bielefeld fƤhrt. Oder eben Hamburg, wenn’s sein muss. Mit Funktionsjacke ā€“ aber nur wegen des windigen Wetters.

Christoph Hƶhtker Los, Babe, Abenteuer!, Weissbooks, Berlin 2021, 22 Euro.

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