Dieses Büchlein kommt ein klein wenig zu früh, denn der 900. Geburtstag von Friedrich I., der von den Italienern den Spitznamen Barbarossa verpasst bekam, ist erst 2022. Und dann werden natürlich sämtliche Barbarossa-Städte ein großes Fest veranstalten. Darunter auch Bad Frankenhausen, das ja gleich am Kyffhäuser liegt mit dem Kyffhäuserdenkmal, das die moderne Barbarossa-Legende in Stein gemeißelt zeigt.
Der Historiker Steffen Raßloff fasst in diesem Büchlein also nicht nur das Leben des legendären Kaisers Barbarossa zusammen, er geht auch auf die Entstehung der Barbarossa-Sage ein, die in Wirklichkeit ursprünglich den Enkel Barbarossas, Friedrich II., zum Helden hatte. Das galt eigentlich bis zum frühen 19. Jahrhundert, als im Umfeld der aufkeimenden deutschen Nationalstaatsidee nun sein Großvater die Sage quasi übernahm.Exemplarisch für diese Neuerzählung steht der Dichter Friedrich Rückert, dessen Barbarossa-Gedicht Raßloff zitiert. Später übernahmen auch die Grimms die Barbarossa-Variante mit in ihre Sammlung deutscher Sagen und kanonisierten sie damit regelrecht. Und auch wenn Raßloff hier kein „Vorsicht!“-Schildchen setzt, darf man es durchaus mitlesen: Misstraut den (kanonisierten) deutschen Sagen. Sie sind zum Teil heftig redigiert und atmen eher den Geist des national gesinnten 19. Jahrhunderts als die Gedanken ihrer Entstehungszeit.
Was auch die Barbarossa-Sage prekär macht, denn mit Friedrich II. erinnerte sich das Volk durchaus zu Recht an eine lange Zeit des Friedens, denn selbst unter den deutschen Königen und Kaisern war dieser Friedrich eine strahlende Ausnahme. Während Barbarossas lange Regierungszeit von Dutzenden Kriegen und Feldzügen geprägt war, brachialen Niederlagen, blutigen Rachefeldzügen und auch den Kreuzzügen, an denen er beteiligt war.
Auf einem starb er ja dann zuletzt beim Schwimmen im Salepg in der Türkei. Vom Heldenstatus her und von der Ausstrahlung als kämpferischer Kaiser passte er natürlich viel besser zu dem Bild, das die meist selbst kriegerisch gesinnten Träumer vom einigen deutschen Reich sich von einem Retter-Kaiser machten.
Und es war dann in der zweiten Jahrhunderthälfte auch entsprechend leichter, den Rotbart mit dem durch die Einigungskriege zum deutschen Kaiser gewordenen Preußen Wilhelm I. (dem Weißbart) in Verbindung zu bringen. So, wie es bildhaft am 1896 fertiggestellten Kyffhäuserdenkmal zu sehen ist: Ganz oben sitzt Wilhelm I. zu Pferd, als blicke er gerade mal wieder über ein deutsch-französisches Schlachtfeld, unten sitzt – halb erwachend – Barbarossa an seinem Tisch und verkörpert die Sage.
Jene Sage, die dann auch der Thüringer Sagensammler Ludwig Bechstein mit in seine Sammlung aufnahm.
Und die niemand so schön persifliert hat wie Heinrich Heine 1844 in „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Zwar bezeichnet Raßloff Heine hier etwas unpassend als Spötter, obwohl es dem Dichter im französischen Exil bitterernst war mit diesem bissigen Epos. Denn er beobachtete aus Pariser Entfernung sehr genau, wie der neue deutsche Nationalismus schon in dieser frühen Phase zum Säbelrasseln neigte und damit die deutsche Nationalbewegung in ein ziemlich erschreckendes Fahrwasser brachte.
„Deutschtümelnd und chauvinistisch“ nennt auch Raßloff diese Bewegung, die man durchaus als eine amputierte bezeichnen kann. Denn das Liberale und Weltoffene, das ursprünglich Teil dieser Bewegung war, wurde ja – wie Heine und Börne – regelrecht aus dem Land vertrieben oder nach dem Scheitern der Revolution von 1848 eingekerkert. Erst so konnte dieser von Kriegen und Siegen träumende Nationalismus in Deutschland die Oberhand gewinnen und bestimmen, was dann im Folgenden geschah.
Deshalb ist das Kyffhäuserdenkmal von Nationalisten und Chauvinisten immer wieder missbraucht und vereinnahmt worden. Eigentlich bis heute. Es steht – noch stärker als das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig – für den deutschen Spagat zwischen der Besinnung auf die eigene Geschichte mit durchaus beeindruckenden Wallfahrtsstätten und dem martialischen Überheblichkeitsdenken der ewigen Chauvinisten. Aber vielleicht war der Ansatz der sowjetischen Besatzer nach 1945 der richtige, die ihren ostdeutschen Vasallen die Aufgabe mitgaben, mit diesen Denkmälern der Vergangenheit zu leben, sich damit auseinanderzusetzen und es auszuhalten, dass die eigene Geschichte voller dunkler Flecken ist.
Hingucken ist also wichtig, genauso wie die Geschichte zum Gezeigten zu kennen. Immerhin ist das Kyffhäuserdenkmal heute eines der beliebtesten touristischen Reiseziele in Thüringen – samt den Resten der Burg Kyffhausen, die man 1896 nicht für das Denkmal verbaut hat, und der nahe gelegenen Barbarossahöhle, die just zu der Zeit gefunden wurden, als die Rückertsche Version der Barbarossa-Sage zum Teil der nationalen Erinnerungskultur wurde. Wer hinfährt, begegnet also dem ganzen Widersprüchlichen im deutschen Nationalmythos.
Und da ist es ganz gut zu wissen, wer Friedrich I. wirklich war und welche Rolle zum Beispiel die Reichsburg Kyffhausen und die Pfalz Tilleda in seiner Reichspolitik spielten. Nicht zu vergessen das nahe (Bad) Frankenhausen, das nicht nur Barbarossa-Stadt ist, sondern auch mit dem Panoramabild auf dem Schlachtberg an die Bauernkriege erinnert. Im Grunde das Gegenstück zum Kyffhäuserdenkmal, wo Macht inszeniert wird, während die Niederlage der Bauern gegen die feudale Macht eben davon erzählt, dass sich das Volk jahrhundertelang wohl eher nicht nach kriegerischen Kaisern sehnte, sondern nach Friedenskaisern wie Friedrich II.
Und natürlich berührt Raßloffs kleine Zusammenfassung auch die Punkte, an denen sich die Geschichte Barbarossas mit der der Thüringer Landgrafen (und ihrem Sagenkreis) überschneidet. Man blickt mit diesem Hintergrundwissen jedenfalls völlig anders vom Denkmal herunter in die Landschaft. Denn mit diesem anderen Blick wird die Rolle von Landschaft und Reichsburg in der Barbarossa-Zeit fassbarer.
Steffen Raßloff Barbarossa, RhinoVerlag, Ilmenau 2021, 5,95 Euro.
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