Die Kleinstadt Bühlerstädt könnte irgendwo in Brandenburg liegen, natürlich auch irgendwo in Sachsen. Mit Rathaus am Markt und Rathausgalerie, einer Grundschule, einem Fahrradhändler und einem Wochenmarkt, oder was so ungefähr der Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens ist. Und natürlich vier aufgeweckten Kindern, die es Emil und den Detektiven nachmachen und die Diebe und Ganoven in ihrer beschaulichen kleinen Stadt zur Strecke bringen.

Denn in gewisser Weise ist dieses Bühlerstädt eine ostdeutsche Muster-Kleinstadt, abseits der Autobahnen gelegen und damit auch ziemlich abgehängt in der wirtschaftlichen Entwicklung. Auch Anja, die die Drogerie am Ort betreibt, kommt schnell in finanzielle Nöte, wenn ein/-e Dieb/-in ständig teure Parfums klaut. Und ein blaues Mountainbike für die Jungs für 599 Euro ist für die Eltern von Paul genauso ein finanzieller Kraftakt wie für Benjamins Oma. Was die Sache erst recht dramatisch macht, als beiden Jungen das frischgeschenkte Mountainbike vom Schulhof geklaut wird.Aber da ist ja der clevere Anton, der große Bruder von Trixi, der schon in der 4. Klasse weiß, dass er später mal Kriminalkommissar werden möchte. Und das nicht einfach nur, weil er Detektivgeschichten so spannend findet: Er ist selbst schon ein kleiner Sherlock Holmes, dem es richtig Spaß macht, vertrackte Fälle zu lösen und nichtsahnenden Gaunern richtige Fallen zu stellen. Wozu es in U. S. Levins Buch jede Menge Gelegenheit hat.

Eigentlich ist der in Markkleeberg lebende Levin eher der Spezialist für Satiren, Humoresken und Glossen. Aber 2016 hat er schon mal ein Jugendbuch veröffentlicht: „Lars und die geheimnisvolle Wünschefliege“. Dies hier ist jetzt sein zweites. Und es steckt auch so ein bisschen Ansporn drin von seinem Leipziger Autorenkollegen Frank Kreisler, der in der Geschichte „Der verlorene Zehner“ sogar persönlich auftreten darf in einer seiner Lieblingsrollen: als über die Lande tourender Schriftsteller, der in den Schulen ganze Klassen zum Johlen und Mitfiebern bringen darf.

Etwas, was die Corona-Pandemie ja auch praktisch unmöglich gemacht hat. Und dabei wissen Lehrer/-innen nur zu gut, wie sehr eine solche leibhaftige Lesung mit einem echten Schriftsteller bei vielen Kindern den Funken überspringen lässt. Manche werden dadurch tatsächlich erst zu kleinen Leseratten.

Auch weil Autoren wie Kreisler natürlich geübt sind im kindgerechten Geschichtenerzählen. So wie zuletzt in seinem 2018 veröffentlichten Buch „Wie ein kopfloses Skelett seinen Schädel wiederfand“. Es gibt einfach bestimmte Geschichten, die bei jungen Leser/-innen besonders gut ankommen. Und Gespenstergeschichten gehören genauso dazu wie flotte Detektivgeschichten, in denen die Ganoven tatsächlich von cleveren kleinen Jungen und Mädchen aufgespürt werden. Gern mit eigenem Gruselfaktor, wo doch jeder weiß, dass Mama und Papa recht haben, wenn sie ihren Kindern solche Alleingänge verbieten.

Denn eines wird auch U. S. Levin zugeben müssen: Es wird für die Kinder mehrmals brandgefährlich, denn sie bekommen es eben nicht nur mit eher harmlosen Dieben wie auf dem Wochenmarkt zu tun (wo dem Dieb eine Packung blauer Beine verpasst wird), sondern mit richtig schweren Jungs, die wie in „Einbruch im Museum“, „Rettung in letzter Sekunde“ und „Eine gefährliche Klassenfahrt“ nicht zögern, auch gegen die Kinder handgreiflich zu werden.

Aber meist ist es einfach so, dass die Polizei nicht vor Ort ist oder die Kinder am Notruf abwimmelt. So eine kleine Kritik an der gerade im ländlichen Raum heruntergesparten Polizei ist also durchaus drin im Buch, das ansonsten sehr lebendig und farbenfroh geschrieben ist.

Bühlerstädt ist kein trauriges Städtchen, wie es so gern in ostdeutschen Kleinstädten gesehen wird, auch wenn man schon in der Einleitung merkt, dass es doch ein bisschen ins Abseits geraten ist, seit die Arbeiter nicht mehr mit dem Rad jeden Morgen durch den Kurpark ins Industriegelände fahren.

Was aber nicht heißt, dass jetzt alle Menschen hier Trübsal blasen oder in Wut köcheln. Tatsächlich sind sie im Umgang sehr freundlich, haben Verständnis füreinander, gerade dann, wenn sie wissen, wie knapp die anderen immer mit dem Geld sind. Was ja in so einer kleinen Stadt kein Geheimnis bleiben kann. So wenig wie Sebastians Probleme mit dem Lernen. Denn eigentlich ist er eher ein Künstler und sieht auch das Lernen eher aus künstlerischer Sicht, was ihm ausgerechnet in der alles entscheidenden Mathearbeit zum Verhängnis zu werden droht.

Aber irgendwie passieren da ein paar seltsame Zufälle, die Mathearbeit verschwindet aus der Tasche von Frau Zieselwitz, die nun selbst detektivisches Gespür an den Tag legt, um dem Dieb auf die Schliche zu kommen. Denn davon leben ja Detektivgeschichten: Der Täter muss unbedingt ertappt werden. Auch wenn es am Ende doch nur eine ordentliche Standpauke gibt.

Freilich manchmal auch für die Kinder, die in einigen Geschichten sehr riskante Wagnisse eingehen, um die Täter dingfest zu machen. Braucht das Buch also einen kleinen Beipackzettel? Wohl eher nicht. Kinder wissen sehr wohl zu unterscheiden, wo der Autor seiner Phantasie die Sporen gegeben hat. Und clevere Typen wie Anton mag es in jeder Klasse geben, aber meistens neigen sie nicht dazu, die Sache dann doch so professionell aufzuziehen wie dieser Bursche aus Bühlerstädt.

Aber den jugendlichen Lesern macht ja genau das Spaß: Sich richtig fetzige Abenteuer auszudenken oder zu lesen, in denen es genauso kribbelig zugeht wie in den Krimis der Erwachsenen. Nur nicht ganz so finster und bedrohlich. Denn in echten Kindergeschichten kommt die Rettung immer in letzter Sekunde. Immer. Und die Bösen bekommen ihre Strafpredigt oder werden von der Polizei einkassiert, so wie sich das gehört in einer guten Geschichte. Denn Kindergeschichten leben vom unverwüstlichen Glauben der kleinen Leser und Zuhörer daran, dass auch die heftigsten Abenteuer im Leben immer gut ausgehen und das Gute immer siegt, wenn nur alle zusammenhalten.

Dass das mit dem Zusammenhalt und dem Sieg des Guten nicht ganz so selbstverständlich ist in der Welt der Erwachsenen, das bekommen die Kinder ja sowieso irgendwann mit. Und gerade da brauchen sie so eine Packung Zuversicht auf das Gute im Ranzen. Als Reserve für die kommenden Zeiten. Man kann gar nicht genug solcher kurzen, flotten Geschichten lesen über den unbedingten Sieg des Guten, bevor das von den Großen so gern beschworene „richtige Leben“ beginnt, wo die Sache mit Gut und Böse auf einmal ganz seltsame Formen annimmt und die Mehrdeutigkeiten auch das optimistischste Gemüt zur Verzweiflung bringen können.

Ein Buch für abenteuerlustige Jungen und Mädchen, die sich die Überzeugung noch nicht ausreden lassen, dass Gauner und Spitzbuben am Ende immer ihre Strafe kriegen. Immer.

U.S. Levin Der blaue Taschendieb, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2021, 9 Euro.

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