Seit 2002 untersuchen die Leipziger Sozialpsychologen um Elmar Brähler und Oliver Decker die (rechts-)extremistischen Einstellungen der Deutschen. Anfangs noch unter dem Label „Mitte-Studien“, weil ihnen durchaus klar war, dass radikale Einstellungen eben nicht allein die Sache irgendwelcher versprengten Grüppchen am Rand der Gesellschaft sind, sondern bis in die Mitte der Gesellschaft hinein vorkommen. Jener Mitte, die sich gern als friedlich und staatstragend verkauft.

Womit die Leipziger Forscher ja nichts Neues erfanden. Denn damit schlossen sie direkt an Forschungsergebnisse westdeutscher Kollegen an wie die Arbeiten des Bielefelder Konfliktforschers Wilhelm Heitmeyer, der sich seit den 1980er Jahren mit der empirischen Forschung zu Rechtsextremismus, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit in der alten BRD beschäftigte, die in den 1990er Jahren in seine Langzeituntersuchung zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ mündeten.

Und dabei gab es jedes Mal aufsehenerregende Ereignisse, die einer Mehrheitsgesellschaft wieder drastisch ins Bewusstsein brachten, dass menschenfeindliche Ansichten nicht einfach verschwunden waren, sondern im Verborgenen weiterschwelten und sich „unverhofft“ in gewalttätigen Übergriffen entladen konnten. Dafür stand das Oktoberfestattentat von 1980 genauso wie die die pogromartigen Vorfälle in Hoyerswerda 1991 und Rostock-Lichtenhagen 1992, die die Aushebelung des deutschen Asylrechts zur Folge hatten.

Ein Vorgang politischer Feigheit, der letztlich auch 2015 wieder zum Tragen kam, als die menschenfeindlichen Kräfte im Land das sowieso schon zahnlos gewordene Asylrecht dazu nutzten, gegen die Aufnahme von einer Million Kriegsflüchtlingen zu mobilisieren.

Eine Mobilisierung, die die Leipziger Forscher nicht mehr überraschte. Denn seit 2002 zeigten ihre Befragungen, wie hoch das Potenzial an menschenfeindlichen Einstellungen in der Bevölkerung ist – in Ost wie West und bis in die gut verdienende, scheinbar gutbürgerliche Mitte der Gesellschaft hinein.

Nur eine Sache änderten sie dann ab 2016: Sie stellten nicht mehr die „Mitte“ ins Zentrum ihrer Studien, sondern den Autoritarismus. Auch wenn damit die „Mitte“ nicht verschwand, die sich zuvor auch in großen deutschen Zeitungen regelrecht echauffierte, dass die Leipziger Forscher ihr ein derart ausgeprägtes Weltbild voller Vorurteile, Abwertung und zuweilen richtig chauvinistischen Einstellungen attestierten.

Dabei hatte man sich doch so schön daran gewöhnt, die ganzen rechtsextremen Einstellungen irgendwie bei den autoritär erzogenen Brüderlein und Schwesterlein im Osten abladen zu können. Was übrigens bis heute passiert. Und auf den ersten Blick bestätigen ja die Zahlen die deutlich größere Affinität der Ostdeutschen zu rechtsextremen Ansichten. Aber dazu sind die Herausgeber viel zu sehr auch Psychologen, um nicht zu sehen, dass menschenfeindliche Haltungen immer eine psychologische Ursache haben.

Dazu kennen sie auch die Forschungen von Max Horkheimer und des Instituts für Sozialforschung zu gut, wo man sich schon in den 1930er Jahren sehr intensiv mit der Frage beschäftigte, was Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft dazu bringt, sich den „Verführungen“ einer faschistischen Bewegung zu öffnen. Denn ohne die massive Unterstützung der (radikalisierten) bürgerlichen Mitte hätten die Nationalsozialisten in Deutschland nie eine Chance gehabt.

Und das hat eine Menge mit dem bürgerlichen Selbstbild und der Funktionsweise des entfesselten Kapitalismus und seinem radikalisierten Wettbewerbsdenken zu tun. Das übrigens schon früh antrainiert wird, worauf in diesem Band übrigens Katrin Reimer-Gordinskaya mit ihrem Beitrag „Kinder und Kindertagesstätten“ eingeht. Denn dass Schule eine Rolle spielt bei der Ausprägung des wirtschafts- und staatskompatiblen Bürgers, ist schon länger bekannt. Dass das freilich schon früher auch schon im Kindergarten beginnt, ist noch nicht wirklich Inhalt der Forschung.

Und dass diese Gefügigmachung des „freien“ Bürgers als Produktivkraft, Konsument und Staatsbürger Zwang ist, das ist seit Sigmund Freud bekannt, genauso wie die Tatsache, dass das zu besonders drastischen psychischen Folgen ausgerechnet bei denen führt, die sich dieser Disziplinierung nicht bewusst sein wollen, weil sie (scheinbar) immer davon profitieren.

Doch während die ausgebeuteten Arbeiter und kleinen Angestellten die Disziplinierung ziemlich unverstellt und brutal erleben, verschieben die Bürger der „Mitte“ diese leidvolle Anpassungserfahrung gern ins Nicht-Bewusste. Selbst dann, wenn sie (wie ja Untersuchungen der Krankenkassen zum psychischen Leid der Beschäftigten immer wieder zeigen) unter ihrem Job, den Arbeitsbedingungen, dem Stress und der Unvereinbarkeit des (Über-)Abeitens mit einem richtigen Familienleben leiden. Da werden dann lieber Pillen geschluckt und Drogen konsumiert, um das Leid zu lindern. Einerseits.

Andererseits sucht sich dieser tiefsitzende Frust auch andere Kanäle. Er wird externalisiert, wie es die Psychologie nennt. All das, was man in sich selbst zu verachten und zu bekämpfen gelernt hat, kehrt man nach außen und richtet die Wut gegen andere, sucht sich regelrecht Sündenböcke, denen man dann all das zuschreibt, was man in sich selbst unterdrückt, verachtet, immerzu bändigen muss.

Und da ist man dann schnell beim modernen Antisemitismus, der überraschenderweise da am besten funktioniert, wo es gar keine Juden gibt. Wie komplex der Antisemitismus auch als antimodernes Ressentiment funktioniert, beschreiben vier Autor/-innen in einem eigenen Beitrag in diesem Buch, der eben auch zeigt, dass antisemitische Haltungen in einem Viertel, teilweise einem Drittel der Gesellschaft manifest vorhanden sind.

Wenn es gar um „Schuldabwehrsemitismus“ geht, zeigen sich dafür über 60 Prozent der Befragten anfällig. Das ist schon heftig, weil es immer auch mit dem Topos zu tun hat, einen „Schlussstrich unter die Geschichte“ setzen zu wollen. Eine Ansicht, die geradezu irre klingt, wenn man sie nicht teilt. Denn unter „die Geschichte“, auch nicht die des Holocaust, kann man keinen Schlussstrich ziehen.

Sie ist geschehen und wir tun gut daran, sie nicht zu vergessen und nicht zu verharmlosen.

Aber die Sozialpsychologen interessiert daran eigentlich ein anderer Aspekt: Warum haben so viele Menschen das Bedürfnis, immerfort diese Schuld nicht nur abzuweisen, sondern zu thematisieren? Warum finden sie einfach kein realistisches und nüchternes Verhältnis zur Geschichte der eigenen Eltern, Großeltern, Urgroßeltern? „Von Sigmund Freud können wir lernen, dass es (das Fremde. d. Red.) sich oft mit dem ,allzu Vertrauten‘ deckt. Die eigenen durch soziale Normen unterdrückten Wünsche werden auf den Fremden – den ,Juden‘ – projiziert. Dort erscheinen sie so verlockend und bedrohlich und lassen sich bekämpfen, womit die Ordnung wiederhergestellt wird“, schreiben die Autor/-innen.

Deswegen sind die Aversionen gegen die Fremden (auch Migranten, Romani, Muslime usw.) immer auch mit einer Neiddebatte verknüpft: Die dürfen das und wir nicht? Und mit einer Minderwertigkeitsdebatte und einer Ohnmachtsdebatte.

Womit man dem autoritären Charakter schon näherkommt. Denn wenn man sich selbst als „Bürger 2. Klasse“ (jeder Dritte im Osten, jeder Vierte im Westen) fühlt und seine Möglichkeiten, Einfluss auf die Politik zu nehmen, verschwindend gering einschätzt, dann liegen die Verschwörungstheorien quasi direkt vor den Füßen, dann ist es leicht, Erzählungen glauben zu schenken, die von einer unsichtbaren Verschwörung orakeln. Und da das seit Beginn der Corona-Pandemie so auffällig öffentlich passiert, haben die Sozialpsychologen dem Thema ein ganzes Kapitel gewidmet.

Und dass auch Verschwörungstheorien in Ostdeutschland auf besonders fruchtbaren Boden fallen, hat mit dem tagtäglichen Erleben von Demokratie zu tun, das, was die Forscher Performance nennen. Die Demokratie an sich bekommt in ganz Deutschland hohe Zustimmungswerte. Aber wie sie konkret umgesetzt wird, das finden ziemlich viele Ost- wie Westdeutsche nicht akzeptabel (fast 60 Prozent im Osten, fast 40 Prozent im Westen).

Das ist ein Problem von Transparenz und Ehrlichkeit. Denn wenn Politik nicht mehr verständlich erklärt und besprochen wird, gar immerfort der Primat des Marktes verkündet wird und der Druck des Wettbewerbs bis ins persönliche Leben durchschlägt, dann schlägt das Gefühl permanenter Unsicherheit in ein Gefühl der Bedrohung um, auch in Frust und Wut.

Was die Forscher im Osten übrigens seit 1998 so nachweisen konnten. Das ist also nicht neu. Das Aufkommen der AfD schlug hier auf fruchtbaren Boden. Insofern sind die Leipziger Autoritarismus-Studien eigentlich Gold wert für die Demokratie, weil sie exemplarisch zeigen, wie falsche Politik durchschlägt bis in die Psyche der Menschen. Und manche sind trotzdem widerstandsfähig, weil sie ein starkes Vertrauen in sich und die Mitwelt aufgebaut haben. Und andere lassen sich von ihren Gefühlen mitreißen und radikalisieren sich.

Oder schließen sich den „Hygiene-Demos“ an, weil sie ausgerechnet in den Corona-Schutzmaßnahmen einen unzumutbaren Eingriff in ihre „Freiheit“ sehen, obwohl die Aussagen, die sie in der Befragung machen, eher von einem völlig verunsicherten Ich erzählen, das in Konspirationserzählungen gewissermaßen eine neue Erklärung für eine als nicht mehr durchschaubar empfundene Welt sehen und sich sehnlichst wieder stabile Verhältnisse wünschen, eine autoritäre Führungsgestalt oder Partei.

Und so überrascht es nicht, dass die Verschwörungstheorien direkt anschlussfähig sind an die Interpretationsangebote der Rechtsextremisten. Die Abgrenzung gegen andere und das geäußerte Misstrauen in eine zunehmend pluralistische Gesellschaft korrespondieren stark mit dem Selbstvertrauen und dem Vertrauen der Befragten in ihre Mitmenschen.

Menschen, die ein starkes soziales Vertrauen haben, neigen weniger zu Fremdenfeindlichkeit, autoritären Denkweisen oder Verschwörungsmythen. Auch hier wird die Parallele der Verschwörungsgläubigen zu rechtsextremen Sichtweisen deutlich. Das Fehlen einer (väterlichen) Autorität wird mit der Suche nach anderen stabilen Autoritäten kompensiert – was in einer pluralistischen Gesellschaft schier unmöglich ist.

Und die Emanzipation ganzer gesellschaftlicher Gruppen, die das alte patriarchalische Gefüge, wie es noch die Adenauer-Zeit geprägt hat, zum Erodieren gebracht hat, wird dabei als zusätzliche Verunsicherung erlebt. Stichwort Feminismus. Auch dazu gibt es ein komplettes Kapitel, das auch sehr deutlich macht, wie sehr die heutigen neoliberalen Sichtweisen auf die Verfügbarkeit weiblicher Arbeitskraft genau diese Konflikte noch verschärft.

Und natürlich stellen sich die Forscher immer wieder auch die Frage, warum der Osten in die üblichen Erklärungsmuster nicht hineinpasst – übrigens nicht mal seine eigenen. Liegt das nur an den massiven wirtschaftlichen Umbrüchen nach 1990 oder haben die Ostdeutschen Illusionen über die eigene Vorgeschichte in der DDR? Die Frage wird natürlich nicht beantwortet in diesem Band, auch nicht durch den Versuch, die endlich aufzuarbeitende Migrationsgeschichte des Ostens zu erzählen. Denn genau hier trifft sich das.

Auch die starke Staatsmacht der DDR wurde eben nicht von allen nur als Bedrückung empfunden, sondern wirkte – ganz ähnlich wie das Wirtschaftswunder im Westen – wie eine „narzisstische Plombe“, wie es die Autoren bezeichnen. Nur schreiben sie diese „narzisstische Plombe“ eben nur den Beschäftigungs- und Wohlstandsversprechen der kapitalistischen Gesellschaft zu, die ihre Bürger damit fügsam machte und ihr eine neue starke und haltgebende Autorität gab: den Markt.

Aber genauso funktionierte im Grunde auch die Staatsmacht der SED. Sie gab den genauso zum Funktionieren disziplinierten Staatsbürgern das Gefühl, dass der Zwang zum Raboten von außen kam und sie selbst für ihr eigenes Leben nicht die (volle) Verantwortung trugen. Und da wird dann auch der Umgang all der rechten und rechtsradikalen Demonstrationen mit dem Begriff „Freiheit“ deutlicher. Denn wie kann man mit dem Einklagen von Freiheit ausgerechnet gegen die erste wirklich funktionierende Demokratie in Deutschland andemonstrieren und den „Eliten“ Versagen vorwerfen?

Fast beiläufig wird dabei sichtbar, dass in diesen Vorwürfen eben auch das kindliche Bedürfnis nach einer eindeutigen und verlässlichen Autorität steckt, quasi einer beaufsichtigten Freiheit, in der dem verunsicherten Bürger die Angst genommen wird vor den schier unübersehbaren Zumutungen des Lebens. Das wird in diesem Buch natürlich auch diskutiert.

Es steckt dann auch in den fünf Dimensionen des autoritären Typs, der in der Regel auch ein antimoderner Typ ist, der in den scheinbar stabilen Verhältnissen einer autoritären Vergangenheit jenes Ideal sieht, das eine sich ständig verändernde und zunehmend pluralistische Gesellschaft nicht mehr erfüllt. Logisch, dass konservative Parteien dabei immer stärker die Sicherheitskarte spielen und dabei oft genug die (falschen) Ängste bestärken, die Rechtsextreme als Feindbilder benutzen: Linke, Ausländer, Muslime … Was logischerweise rechte Ressentiments stärkt und den Bürgern der „Mitte“ das Gefühl gibt, sie könnten in einem autoritäreren Staat wieder die alten Sicherheiten und Angstlosigkeiten bekommen, die ihnen die Gegenwart nicht (mehr) geben kann.

Auch das ist das Verlagern der Bedrohungsgefühle nach außen. Obwohl die Verunsicherungen direkt aus dem erlebten (Arbeits-)Alltag kommen und mit wirtschaftlichen und sozialen Abstiegsängsten gekoppelt sind. Menschen werden nicht zu Rechtsextremen, weil die Propaganda so besonders toll ist, sondern weil das autoritäre Angebot bestens zu ihren tatsächlich empfundenen Ängsten passt.

„Sie fühlen sich unsicher, gereizt, hoffnungslos und schwermütig, aber ebenso zornig, wütend und verärgert“, beschreibt ein Satz die Gefühlslage der von Depressivität und Groll getriebenen Rechtsextremen. Sie „fühlen sich deprimiert und abgeschnitten“ und kehren „Wut und Hass“ nach außen, gegen andere, zumeist aus ihrer Sicht abgewertete Gruppen, mit denen sie gefühlsmäßig im direkten Wettbewerb um die mageren Ressourcen stehen.

Was zwar noch nicht erklärt, warum eine Partei wie die AfD von meist gut verdienenden Männern im mittleren Alter dominiert und gewählt wird. Das wird erst deutlicher, wenn man beobachtet, wie die Angst vorm sozialen Abstieg sich bis in diese Kreise eigentlich gut versorgter Angestellter ausgebreitet hat. Da hat man was zu verlieren und wertet auch das eigene, zutiefst gekränkte Ich dadurch auf, dass man sich selbst zur Vorhut für die „Bewahrung von Werten“ macht.

„Pseudoantiautoritären Autoritarismus“ nennen es die Autoren im Beitrag zur heutigen Verschwörungsmentalität: Man rebelliert mit scheinbar revolutionären Mitteln gegen die aktuell herrschenden „Eliten“ – aber nicht, um die Verhältnisse zu verbessern, sondern um an ihre Stelle wieder eine (väterliche) Autorität zu setzen. Der „Rebell“ geht nur „pseudorevolutionär“ gegen „die Autoritäten vor, die in seinen Augen schwach sind.“

Da werden dann Identitäre genauso begreifbar wie Pegida, Reichsbürger, Querdenker und Populisten.

Und es ist vielleicht keine Überraschung, dass die Forscher in Westdeutschland über die Jahre einen Rückgang rechtsextremer Ansichten und Weltbilder beobachten können, im Osten hingegen eine Zunahme. Und ebenso sieht man im Westen eine stetige Zunahme des Vertrauens in die Demokratie, im Osten einen Rückgang zumindest seit 2018.

Natürlich spielten die ersten Auswirkungen der Corona-Pandemie schon hinein in diese Erhebung, die im späten Frühjahr 2020 stattfand. Solche Krisen, die auch ins eigene wirtschaftliche Leben eingreifen, haben immer auch psychische Folgen, verstärken (Zukunfts-)Ängste und stören das Vertrauen in die Welt insgesamt und den Staat im konkreten. Sie erzählen auch immer von Erwartungen an Schutz, Verlässlichkeit, Fürsorge.

Und Corona traf, so zeigen es ja die Daten seit 2002, auf eine nach wie vor zutiefst verunsicherte ostdeutsche Gesellschaft, in der große Teile der Bürger auch vor Corona schon das Bedürfnis hatten nach einer neuen/alten Autorität mit durchaus sadomasochistischen Einstellungsmustern.

Und da dürfte durchaus die Frage interessant sein, warum immer noch so viele Menschen das Gefühl haben, politisch und staatlich benachteiligt zu sein. Stichwort: Politische Deprivation. Es sind ja nicht nur 65,9 Prozent der Ostdeutschen, die der Aussage zustimmen „Ich halte es für sinnlos, mich politisch zu engagieren“, sondern auch 57,4 Prozent der Westdeutschen. Und 40,5 Prozent der Ostdeutschen meinen „Meine Rechte bestehen nur auf dem Papier“, aber auch 31,2 Prozent der Westdeutschen.

Das heißt: Man kommt an real empfundenen Ausgrenzungen nicht vorbei, wenn man verstehen will, warum in der entfesselten neoliberalen Gesellschaft nach wie vor so viele Menschen anfällig sind für autoritäre und abwertende Einstellungsmuster. Und so gesehen müsste die Autoritarismus-Studie von 2020 genauso erschrecken wie die von 2002, denn das wächst sich eben nicht einfach aus, sondern gehört zur Selbsterkenntnis einer Gesellschaft, die Ungleichheit und Ungerechtigkeit durchaus legitimiert, wenn es nur irgendeinen wirtschaftlichen Nutzen (für wen auch immer) hat.

Und wenn der Einzelne schon als Kind lernt, dass er das auszuhalten hat und letztlich selbst schuld daran ist, wenn er am Ende nicht als Sieger über andere triumphiert, dann wird das zum Lebensmuster. Eigentlich erzählt die Autoritarismus-Studie vom Kern unserer Gesellschaft. Und von ihrem Selbstbetrug. Und natürlich von den möglichen Folgen, wenn Menschen beginnen, ihre Ängste auf neue Heilsverkünder zu projizieren.

Oliver Decker, Elmar Brähler (Hrsg.) Autoritäre Dynamiken, Psychosozial-Verlag, Gießen 2020, 24,90 Euro.

Ausländerfeindlichkeit seit 2018 gesunken, Verschwörungsmythen weit verbreitet

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