Dieses Buch hatte schon einen Vorgänger im Jahr 1991: „Mozart in Kursachsen“. Doch mittlerweile haben die Beteiligten emsig weitergeforscht und viele kleine Spuren weiterverfolgt, weil ihnen das Nacherzählen von Mozarts Besuch im Frühjahr 1789 in Sachsen einfach zu wenig war. Denn das ließ spannende Fragen völlig unbeantwortet. Zum Beispiel: Warum kam Mozart ausgerechnet nach Sachsen? Und warum nach Leipzig? Und was hat es mit der Glasharmonika auf sich?

Manchmal sind es wirklich nur Spuren, die Forscher/-innen dazu bringen, sich intensiver mit einem einzelnen Namen, einer beiläufigen Äußerung oder ein paar Noten zu beschäftigen. Gerade dann, wenn offenkundig ist, dass ausgerechnet von der Leipziger Etappe von Mozarts Reise von Wien nach Potsdam und Berlin seine Reisebriefe fehlen. Mozart war ein fleißiger Briefschreiber und hat seiner Konstanze auch von dieser Reise emsig berichtet. Doch gleich mehrere wichtige Briefe sind augenscheinlich schon damals abhanden gekommen. Darunter ausgerechnet die mit den Leipziger Berichten.

Dabei zitiert nun fast jedes Buch über die Musikstadt Mozarts Erstaunen über die Bach-Motette, die er vom Thomanerchor in der alten Thomasschule gesungen bekam. Gern wird das als Beleg dafür genommen, dass Bachs Musik damals tatsächlich fast vergessen war. Und das stimmt in gewisser Weise auch – aber nur, wenn man dabei die Veröffentlichungspraxis dieser Zeit aus dem Auge verliert.

Es gab zwar die ersten spezialisierten Musikverlage – aber an systematische oder gar komplette Werkausgaben wichtiger Komponisten war überhaupt noch nicht zu denken. Das Thema reißt Axel Beer in seinem Beitrag „Mozart in Leipzig – und niemand verlegt etwas von ihm“ an, in dem er auch die Frage klärt, warum ausgerechnet der berühmte Musikverleger Breitkopf zum Mozart-Konzert im Gewandhaus keine Noten druckte.

Ein Konzert, das bekanntlich sehr kurzfristig auf Bitten der Leipziger Freunde zustande kam. Denn in Leipzig traf Mozart auf begeisterte Anhänger, auch wenn die Einnahmen des sehr kurzfristig angesetzten Konzerts aus seiner Sicht sehr bescheiden waren.

Einen dieser Freunde stellt Clemens Harasim in seinem Beitrag vor: Carl Immanuel Engel, Schlossorganist an der Hofkapelle, die sich damals in der Pleißenburg befand. Auch er – genau wie Mozart – ein Hochtalentierter und ein Workaholic, der sich zu viel auf einmal auflud und sehr jung starb. Und ein zu unrecht Vergessener, wie Harasim feststellt. Einige wenige seiner Kompositionen sollen wohl die Zeiten überdauert haben.

Legendär war sein Gästebuch, in das sich Mozart bei seinem Leipzigbesuch eintrug – und zwar nicht nur mit einem netten Spruch, sondern mit einer kleinen Komposition, der Leipziger Gigue KV 574, mit der sich Brigitte Richter etwas ausführlicher beschäftigt, denn die kleine Komposition verrät nicht nur Mozarts Wertschätzung, sondern zeigt auch, dass Mozart davon ausging, dass Engel die Anspielungen darin verstand.

Wolfgang Amadeus Mozart: Leipziger Gigue KV 574 | DOMORGEL ESSEN

Natürlich sind die Quellen zu Engel, bei dem Mozart möglicherweise zu beiden Leipzig-Aufenthalten übernachtete, trotzdem spärlich. Noch spärlicher als etwa zum damaligen Thomaskantor Doles oder dessen rührigem Nachfolger Hiller, der zuvor ja erst das Große Konzert zu dem gemacht hat, was wir heute unter Gewandhausorchester verstehen.

Leipzig war – darauf geht Helmut Loos schon in der Einführung in diesen Band ein – damals schon eine wichtige Stadt auf der musikalischen Landkarte Europas. Nicht nur durch das Gewandhaus, das inzwischen einen festen Spielbetrieb entwickelt hatte und durchreisenden Künstlern auch die Möglichkeit zu Sonderkonzerten gab – Mozarts Konzert war ja so ein Sonderkonzert. Sondern auch durch sein Schauspielhaus auf der Rannischen Bastei, in dem auch Mozarts Opern schon kurz nach ihren Prager Premieren gespielt wurden.

Warum das so war und eine Prager Schauspieltruppe auch Leipzig mit bespielte, das erzählt Brigitte Richter in einem extra dazu geschriebenen Beitrag. Nur eins lässt sich beim besten Willen nicht bestätigen: Ob es tatsächlich eine parallel stattfindende „Figaro“-Aufführung im Schauspielhaus war, die den Erfolg des Sonderkonzerts im Gewandhaus torpedierte. Es fehlt schlicht der gedruckte Theaterzettel, der das belegen könnte.

Aber das ist dann ja wieder das Reizvolle für die Forscher/-innen, die sehr wohl wissen, dass gerade die Rätsel zu neuen Suchen anspornen. Gerade die „Themen am Wegesrand“ sorgen dann dafür, dass das Bild so einer Mozartreise plastischer wird und gleich auch noch einige alte Irrtümer korrigiert werden.

Zu denen möglicherweise auch der Eindruck gehört, dass Mozarts Reise, die er ja vor allem aus finanziellen Gründen unternommen hat, auch für den Komponisten als erfolglos erschien. Ein Eindruck, den einige Briefäußerungen an Konstanze nahelegen, die aber möglicherweise auch eine Funktion hatten: die krank Daheimgebliebene nicht allzu erwartungsfroh zu stimmen, was den Ertrag der Reise betraf. Denn ein Ziel erreichte Mozart eben nicht: eine Festanstellung – etwa am preußischen Hof.

Dass ihn der Kaiser in Wien nur halb so viel wertschätzte wie Gluck ist bekannt. Man ahnt also auch ein wenig, in welcher Not selbst ein hochbegabter Komponist in dieser Zeit war und wie hart der Kampf um die wirklich attraktiven Kapellmeisterposten an den großen Höfen der Zeit, die oft genug mit Musikern besetzt waren, die zu ihrer Zeit hochberühmt waren – heute aber völlig vergessen.

Mehrere Autor/-innen gehen darauf ein, mit welchen finanziellen Kalamitäten Mozart zu kämpfen hatte, wie er – selbst schon krank – seine letzten Kräfte darauf verwendete, noch große Auftragswerke zu vollenden, aber bis zuletzt immer bei Freunden um Geld betteln musste, weil die sichere Lebensgrundlage für seine wachsende Familie fehlte. Er war auch nicht der Mensch, der Forderungen stellte.

Da ging es ihm wie so vielen Kreativen auch heute noch: Er verausgabte sich, gab lieber mehr, als er verkraften konnte und rief auch nicht seinen Rechtsanwalt an, wenn seine Kompositionen einfach von Verlegern schwarz nachgedruckt wurden oder Opernhäuser seine Opern einfach übernahmen, ohne ihm dafür auch nur einen Taler zu zahlen.

Man ahnt die ganze pekuniäre Not, in der er steckte, als er sich am 8. April mit Fürst Karl von Lichnowsky von Wien aus auf die Reise machte. Und es ist nicht so, dass er unterwegs schlecht empfangen wurde. Im Gegenteil: Am sächsischen Hof war man hocherfreut, dass der – zumindest für seine Musik – Hochverehrte in Dresden Station machte. Das Konzert vor dem Kurfürsten brachte ihm immerhin eine wertvolle Dose als Geschenk ein.

Einige Künstler – wie die Prager Sängerin Josepha Duschek – waren mit ihm in Dresden und Leipzig präsent. Ohne sie waren die kurzerhand anberaumten Konzerte gar nicht denkbar. Auch sie gehört natürlich zu den Personen im Umfeld Mozarts, die in diesem Buch eine verdiente Würdigung erfahren.

Genauso wie Marianne Kirchgessner, die berühmteste Glasharmonika-Spielerin ihrer Zeit, für die Mozart sogar zwei Stücke extra für die Glasharmonika komponierte. Davon erzählen Birgit Heise und Bruno Kriegl.

Mozart Adagio für Glasharmonika KV 617a

Marianne Kirchgessner ist auch deshalb bemerkenswert, weil sie wenig später nach Gohlis zog. Und das wohl aus dem Grund, weil Leipzig damals auch ein Schwerpunkt der Liebe zur Glasharmonika war, deren Geschichte und Funktionsweise natürlich auch erzählt wird.

Und weil er nun einmal am ausführlichsten Erinnerungen an den Aufenthalt Mozarts in Leipzig in der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ veröffentlicht hat, kamen auch noch die „Verbürgten Anekdoten“ von Johann Friedrich Rochlitz in den Anhang des Buches. Immerhin ist das die Hauptquelle für das, was man heute über Mozarts Aufenthalt in Leipzig weiß.

Es ist ein sehr facettenreiches Buch geworden, das einige Dresdner Aspekte ebenso streift – etwa die Rolle des Schiller-Freundes Christian Gottfried Körner, den Mozart natürlich auch besuchte und dessen Schwägerin Dorothea Stock bei dieser Gelegenheit auch das berühmte Silberstift-Porträt von Mozart zeichnete, das heute als das authentischste aus dieser Zeit gilt und auch diesen reichhaltigen Band schmückt, in dem 90 Abbildungen all das ergänzen, was die emsigen Mozart-Forscher/-innen hier herausgefunden haben.

Loos Helmut Wolfgang Amadeus Mozart in Dresden und Leipzig, Eudora-Verlag, Leipzig 2020, 27,90 Euro.

 

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