Vielleicht kriegen wir ja die Kurve und es gewinnen nach Abflauen der Corona-Epidemie nicht wieder die Hektischen und Gedankenlosen, sondern die Nachdenklichen, die sehr wohl wissen, dass diese Epidemie mit unserer gedankenlosen Weltübernutzung zu tun hat, gern als „Globalisierung“ verharmlost. Dabei wächst alles, was wir für eine gesunde Ernährung brauchen, direkt vor unserer Haustür. Wenn es noch wachsen darf und nicht plattgemacht wird.
So, wie es vielen alten Streuobstwiesen ergangen ist. In Leipzig stehen solche Wiesen unter Schutz als Naturdenkmal. Und wer so eine Wiese betreut, weiß, dass sie zuweilen echte Schatzkästlein voller Obstbäume sind, die man in modernen Obstplantagen gar nicht mehr findet. Denn die großen Discounter bestellen nur wenige Hochleistungssorten, die dann meist in Reih und Glied und nicht immer in heimischen Regionen wachsen.
Das betrifft nicht nur Äpfel, die allgegenwärtige Superfrucht, sondern auch ihre leckere Verwandte, die Birne. Die aber seltener auftaucht und daher bei vielen Verbrauchern auch nicht so recht auf dem Schirm ist. Dabei ist sie eine echte Errungenschaft, seit den alten Römern kultiviert und gerade im 18. Jahrhundert die Freude der Gärtner, Züchter und Könige.
Damals entstand die Birnenvielfalt, die versierte Pomologen auf über 2.000 Sorten beziffern. Ein Biedermeierschrank im Museum von Kölleda zeigt einen Ausschnitt dieser Vielfalt noch – fast lebensecht: Es sind Wachsfrüchte, die vor 200 Jahren angefertigt wurden, als es die Birnenvielfalt in Bauerngärten und auf Obstwiesen noch gab.
Heike Mohr, MDR-Redakteurin, Garten- und Birnen-Spezialistin, nimmt ihre Leser/-innen in diesem Büchlein mit in die Welt der Birnen und erzählt natürlich auch, warum sie gesund sind und man wirklich zugreifen sollte, wenn Birnensaison ist. Sie enthalten – wie so viele heimische Obstsorten – eine wichtige Mischung von Mineralstoffen, Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen (wie Flavoide), die wir in unserem Ernährungsplan unbedingt brauchen. Worüber sich natürlich frühere Generationen keinen Kopf machen mussten, weil die heimischen Früchte ganz selbstverständlich zu ihrer Ernährung gehörten.
Deshalb sind alle diese kleinen Büchlein so wichtig, in denen die Autor/-innen des Buchverlags für die Frau diesen Reichtum wiederentdecken. Denn da immer weniger Menschen noch einen Obstgarten haben und auch nicht zum Sammeln von Kräutern, Nüssen und Früchten in die wilde Natur gehen (wenn es davon noch etwas gibt), ist unser Speiseplan sehr gleichförmig geworden, trotz all der exotischen Früchte im Laden.
Viele Konsument/-innen gehen deshalb wieder bewusst auf Wochenmärkte oder kaufen auf Bauernhöfen ein, gerade weil es dort die frischen Früchte der Saison gibt – die eben nicht tausende Kilometer um die Erde verfrachtet wurden.
Dahin müssen wir alle zurück. Denn die globalisierte Nahrungsmittelindustrie zerstört unseren Planeten, das Klima und die Artenvielfalt, ohne dass sie uns tatsächlich eine gesunde und reichhaltige Ernährung verschafft. Im Gegenteil: Ein Großteil der heutigen Zivilisationskrankheiten haben in dieser industriell erzeugten Nahrung ihren Ursprung. Und sie existiert ja auch nur, weil diese Normierung im Supermarkt unserer Bequemlichkeit zugute kommt.
Wir erliegen der Illusion, dass wir bei einem Einkauf in dieser bunten Normwelt alles bekommen, was wir zur gesunden Ernährung brauchen. Aber das ist schlicht nicht der Fall. All die Elemente und Vitamine, die unser Körper wirklich braucht, bekommen wir nur, wenn wir uns wieder direkt aus dem Angebot der regionalen Früchte ernähren.
Und auf Wochenmärkten findet man durchaus auch noch einige der fast vergessenen Birnensorten. Wie man sie unterscheidet, erklärt Heike Mohr in diesem Büchlein genauso wie die bestmögliche Art, die jeweilige Sorte zu verwenden. Denn manche Birnensorten müssen bald nach dem Pflücken gegessen werden, weil sie sich für eine Lagerung nicht eignen – dafür sind das meist die süßesten und saftigsten.
Fast eine Faustregel ist: Je früher sie reif sind, um so früher sollten sie auch verputzt werden. Deswegen gibt es Birnen, die schon im Sommer geerntet werden (es sei denn, sie fallen einfach vom Baum wie tausende Tonnen Obst an Alleebäumen in ganz Sachsen, die niemand mehr pflegt und aberntet), andere sind auch noch im Herbst grün und reifen erst bei der kühlen Lagerung, sodass sie im Winter in allerlei Gerichte, Kuchen und Süßspeisen verwandelt werden können.
Wie man Birnen lagern muss, erzählt Heike Mohr natürlich auch. Und sie lässt auch nicht den beliebten Rezeptteil weg, der uns erzählt, wie man mit Birnen Leckeres zubereiten kann. Sie fängt zwar mit den Kuchen und Süßspeisen an, aber wirklich spannend wird es im deftigen Teil etwa mit Birnensalat mit Walnuss, Rotweinbirne mit Lammlachse, Geschmink oder Birnen-Quiche. Und nachdem sich alle gesättigt haben, erzählt die Birnen-Kennerin dann noch das Wichtigste. Wie man nämlich Birnen in seinen Garten pflanzen oder als Spalier ans Haus setzen kann. Wobei der Ausflug in den Birnengarten von Ribbeck schon beinahe eine Pflichtübung ist. Auch für Literaturfreunde, die ja den berühmten Birnbaum des „Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ von Theodor Fontane kennen dürften.
Heute blüht ein Nachfolger des berühmten Birmbaums neben der Dorfkirche von Ribbeck. Der Stamm des alten Birnbaums wird in ihrem Inneren aufbewahrt. Und eigentlich wäre am 26. April der mittlerweile 4. Tag der Birne im Birnengarten gewesen. Aber: „Aufgrund der aktuellen Situation kann der Tag der Birne 2020 in Form des ursprünglich geplanten Mitbringpicknicks im Birnengarten Ribbeck leider nicht stattfinden.“
Aber auch in Ribbeck kam man erst 2006 dazu, einen Birnengarten mit über 20 Sorten anzulegen. Das wird ein Stück unserer Zukunft, auch wenn es so gar nicht zu unserer Discounter-Mentalität zu passen scheint: Wir werden wieder Obstgärten anlegen, sofern wir ein Stück Land dafür finden.
Und auf die Dörfer fahren, die sich in ihrer eigenen Agrarkrise jetzt sowieso alle neu erfinden müssen. Und das Neue wird das Alte sein: regional, vielfältig und gesund. Und ganz bestimmt wieder mit mehr als den fünf Birnensorten, die uns im Supermarkt so etwas wie Fülle suggerieren, obwohl das mit Fülle überhaupt nichts zu tun hat.
Heike Mohr Köstliche Birnen, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2020, 5 Euro.
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 78: Wie Corona auch das Leben der Leipziger verändert hat
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Keine Kommentare bisher
Wohl dem, der einen Kleingarten besitzt und ein paar Bäume hat. Hatte meiner nicht, aber schon ist ein Apfelbäumchen da, und es wird wohl die gute Pflege mit ca 10 Äpfeln in diesem Jahr belohnen. Hoffentlich werden es in den nächsten Jahren mehr. Es werden auf jeden Fall noch mehr Bäume werden, eine Birne kommt mit Sicherheit noch dazu