Einen besonderen Namen hat die Reihe nicht. Sie hat nur ein einheitliches quadratisches Format und entführt die Leser in den Reichtum regionaler deutscher Küchen - und nun auch Backstuben. Denn ein solches Rezeptbuch für das Erzgebirge gibt es schon. Nun folgt der süße Teil aus dem Land der Bergleute, gern auch Weihnachtsland genannt. Marketing ist alles. Und Stollen und Lebkuchen kommen natürlich auch drin vor.
Es ist ja eine innige Konkurrenz da unten zwischen Sachsen und Thüringen, Erzgebirge und Thüringer Wald. Wo gibt es mehr leckere Kuchenrezepte? Wer ist das größere Leckermaul? Oder noch besser: Wo haben die Frauen mehr Phantasie entwickelt, um dem harten Alltag in Wald und Bergwerk etwas entgegenzusetzen und den hart arbeitenden Männer an Sonn- und Festtagen etwas besonders Leckeres vorzusetzen? Denn dass Kuchen auch im Erzgebirge kein Alltagsessen war, das machen die kleinen Begleittexte von Regina Röhner deutlich, die eben nicht nur von alten Bräuchen, Festen und Hochzeiten erzählen, sondern auch davon, wie wertvoll die Zutaten zu Torten, Kuchen und Kleingebäck waren.
Sie selbst erlebte noch als Kind, wie das war, als die Familien in einem erzgebirgischen Dorf die kostbaren Zutaten auf ein Wägelchen packten und damit zum Bäcker fuhren, der daraus die bestellten Kuchen buk. Und das betraf nicht nur die kostbaren Weihnachtsstollen, sondern auch die herzhaften Obstkuchen, die natürlich gebacken wurden, wenn die große Zeit von Äpfeln, Pflaumen und Heidelbeeren heran war.
Tatsächlich wird auch dieses Buch voller süßer Rezepte ein kleiner Festkreis des Jahres, in dem eben nicht nur das eifrig vermarktete Weihnachtsfest eine tragende Rolle spielt, sondern auch die Faschingszeit (mit Fastnachtskringeln, Quarkspitzen und Spritzlingen), das Osterfest (mit Osterkranz und der legendären Bäbe) oder die Zeit der Kirmes, der Kirchweihfeste, zu der es natürlich auch einen Kuchen gibt, der extra so heißt: Kirmeskuchen.
Die kleinen Texte erzählen vom rauen Alltag der Bergleute, von Hochzeitsbräuchen, aber auch vom altem Rhythmus der Ernte, der eben auch bestimmte, was gebacken werden konnte und vor allem – womit. Kuchen, das merkt man, war nicht nur eine Einladung für Nachbarn und Bekannte, mit ihm wurde selbst die Beziehung von Bauer und Gesinde verschönt, aber er machte auch neidisch – denn was ist das für ein Dorf, in dem man zwölferlei Stollen verkosten muss, kann, darf? Versteckt sich hinter diesem Glücksfuttern fürs nächste Jahr nicht auch so ein bisschen Backstubenehrgeiz, wer denn nun den besseren Stollen gebacken hat?
Das kommt schon ein wenig so rüber. Man kann es als Küchenstolz begreifen. Denn wenn die großen Berggeschreye vorbei waren, zog im Erzgebirge jedes Mal auch wieder die Armut ein. Wer dann ein köstliches Backwerk auf den Tisch stellen konnte, der kämpfte auch um sein Ansehen vor anderen. Der zeigte: Schaut mal, was wir uns (trotzdem) leisten können.
Aber es gab im Erzgebirge – eben ganz ähnlich wie drüben im Thüringer Wald – immer auch das schnell zubereitete Süße. Da mussten nur Milch, Mehl und Eier in der Küche sein, vielleicht ein bisschen Sahne und frische Waldbeeren. Daraus lässt sich nämlich zubereiten, was Regina Röhner „Süße Alltagskost“ nennt, wobei ich vermute, dass auch das eher zu den Sonntagsfreuden im Erzgebirge gehörte: feine Bierplinsen zum Beispiel, in denen man das Bier vergebens sucht, denn hier geht es um Beeren, dazu noch Quarkkließle, Dampfnudeln, Grüne Klitscher und Apfelgetzen.
Mit solchen süßen Gerichten lässt sich die herbstliche Dunkelheit besser vertragen. Manches davon ist ja auch hinabgewandert ins sächsische Land. Aber nicht alles. Und es gehört ja heute nicht nur zu einem irgendwie netten regionalen Kolorit, es ist nun ja ganz offiziell Teil einer ganzen Kultur, die unter Weltkulturerbe-Schutz steht – samt alten Bergwerken, Bergmannsumzügen und der Erinnerung an Zeiten, als auf sächsischer wie böhmischer Seite die wertvollen Erze aus dem Boden geholt wurden: Montanregion.
Eher mit dem sächsischen Flachland verwandt ist die Welt der herzhaften Blechkuchen, von denen wir freilich auch erfahren, wie wertvoll die Zutaten waren und dass die heute so üppig verbreiteten Streusel dereinst der pure Luxus waren und daher selten auf den Pflaumen, Kirchen und Apfelschnitzen zu finden. Der Teigboden war übrigens dünn, was einen ja an den typisch sächsischen Streit um die Eierschecke erinnert und die Frage, wie eigentlich eine originale Eierschecke zu backen ist. Regina Röhner hat dem Buch auch eine erzgebirgische Eierschecke beigetan – mit dem wichtigen Hinweis auf den dünnen Boden. Und da natürlich in so ein Buch nicht alles hineinpasst, verweist sie nur kurz auf die Freiberger Eierschecke – die wird nämlich ohne Quark zubereitet.
Was hat man also? Wieder eine Einladung, sich einen ganzen Landstrich kulinarisch zu erwandern. Landschaft geht durch den Magen, könnte man meinen. Und Liebe sowieso, was dann das ganze „Gebäck für Feste“ deutlich macht – von Liebesknochen bis Apfeltaschen. Und siehe da: Ruckzuck ist schon wieder Martinstag, der im Erzgebirge mit Martinshörnchen gefeiert wird in Erinnerung an den Heiligen Martin. Oder an jenen Martin Luther, der am Tag davor geboren wurde. Und da erinnert man sich natürlich an die schöne Blitzszene in Stotternheim, als dieser Martin sich zu Boden warf und die Heilige Anna anflehte, ihn zu verschonen, er würde dann auch freiwillig ins Kloster gehen.
Die Heilige Anna war im Mansfelder Land – wo Martin Luther herkam – natürlich auch die wichtigste Heilige als Schutzheilige der Bergleute. Und das war sie auch im Erzgebirge, weshalb eine der Bergbaustädte eben auch Annaberg heißt. Und deshalb fand sich logischerweise auch die Annaberger KÄT ins Buch, der einst eine Wallfahrt als Ausgangspunkt diente. Heute ist sie ein Volksfest zwei Wochen nach Pfingsten. Mit jeder Menge Fasslkuchen.
Was das ist, liest man auf Seite 58.
Regina Röhner Die besten süßen Rezepte aus dem Erzgebirge, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2019, 9,95 Euro.
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