2018 hat Hetty Krist schon die dicke Neuausgabe der Rübezahl-Erzählungen im Lychatz Verlag illustriert. Damals hat Thomas Bachmann die zuletzt im Insel-Verlag 1920 erschienenen Erzählungen in ein flottes Deutsch der Gegenwart übersetzt. Und irgendwie hat das Hetty Krist dabei so auf Gedanken gebracht. Denn einige dieser Geschichten sind auch richtige Märchen für Kinder. Warum also nicht ein richtiges Bilderbuch draus machen?

Besonders angetan hat es ihr die Geschichte, wie Rübezahl zu seinem Namen kam. Eigentlich ist es die Version, die der Märchensammler Johann Karl August Musäus 1783 entwickelte, der aus dem sprechenden Namen eine Geschichte mit Königstochter und Prinz machte. Aber auch diese Geschichte belässt den Berggeist aus dem Riesengebirge in seiner Mehrdeutigkeit als elementarer Naturgeist, zu fürchtender Dämon und unberechenbarer Wohltäter, der Menschen mit gutem Herzen belohnt und Lug und Trug schrecklich zu strafen weiß.

Einige Rübezahl-Geschichten aber zeigen den zu wildestem Schabernack neigenden Burschen aber auch von einer menschlichen Seite. Er entwickelt durchaus auch menschliche Gefühle, vermag sogar zu lieben. So wie in der jetzt von Hetty Krist neu erzählten Geschichte, in der sich der Wilde potzblitz in die mit ihren Freundinnen am Wasser spielende Fürstentochter Emma verliebt.

Und dann nutzt er seine Zauberfähigkeiten gnadenlos aus, benimmt sich also genauso wie so mancher Mann heutzutage, der der Meinung ist, er könne sich die Schöne einfach kaufen mit lauter teuren Geschenken und einem Leben in Luxus. Rübezahl geht sogar noch weiter: Er macht ein einladend hingebautes Bad in einem Lustgarten zur Falle für Emma, lässt sie einfach verschwinden und stürzt damit auch ihre Freundinnen in Verzweiflung. Und natürlich auch Prinz Ratibor, in den sich Emma schon längst verliebt hat. Das ist bei Prinzessinnen so: Die verlieben sich nun einmal in Prinzen.

Und Emma würde sich das vielleicht sogar gefallen lassen, denn der zauselige Rübezahl hat sich kurzerhand selbst wieder in einen jungen Galan verwandelt und für Emma ein richtiges Schloss ins Gebirge gezaubert. Nur Emmas Herz ist schwer, denn natürlich sehnt sie sich nach ihrem Hündchen, ihrer besten Freundin, eigentlich auch nach einer richtig prachtvollen Hochzeit mit ganz großem Hofstaat. Und weil Rübezahl alles zaubern kann, schenkt er ihr lauter Rüben. Jede Rübe ist ein Wunsch, mit dem sich Emma alles herbeiwünschen kann, was ihr Herz begehrt: Hündchen, Freundin … am Ende auch ein Pferd.

Aber bis dahin müssen die Kinder, die in dieses Buch hineintauchen, ein bisschen warten und mit Emma bangen. Denn sie sehen ja auch Ratibor suchen und fast verzweifeln, weil er Emma im Gebirge nicht finden kann. Und sie erfahren, dass Rübezahls Tricks ihre Grenzen haben. Denn Rüben fangen ja irgendwann an zu verschrumpeln, der Zauber löst sich auf und Emma merkt, dass ihre Rübezahl-Welt nur eine Schein-Welt ist. Also etwas ziemlich modernes, wenn man bedenkt, wie viele Menschen glauben, sie müssten sich nur lauter tolle Sachen zulegen und würden dann glücklich werden mit ihrem Leben.

Aber Emma wird nicht glücklich, sondern aktiv und dabei sehr erfinderisch. Wie man mit knorrigen Männern umgeht, weiß sie augenscheinlich schon und schickt ihren aufdringlichen Gebieter einfach mal zum Rübenzählen …

Und da der Bursche so ein paar kleine Schwierigkeiten hat, die Rüben endlich mal fertig zu zählen, entsteht jenes kleine Zeitloch, das in Filmen mit dramatischer Musikuntermalung zum Höhe- und Kipppunkt der Geschichte hinsteuert. Denn jetzt hängt alles am seidenen Faden, ergibt sich die einzige Chance für Emma, der drohenden Hochzeit mit dem Berggeist zu entkommen. Und die Sekunden rasen regelrecht. Wer wird eher fertig? Der zählende Berggeist oder Emma mit ihrer Flucht aus dem Gebirge und damit aus dem Machtbereich des Unberechenbaren? Denn: Wie furchtbar wird seine Rache sein, wenn er die Flucht bemerkt? Wie reagiert der wilde Mann darauf, dass sich die schöne Gefangene seinem Zugriff entzieht?

Das kennt man ja auch aus heutigen tragischen Pressemeldungen, zu was Männer fähig sind, wenn sie merken, dass Frauen sich ihrer Umklammerung entziehen. So manche werden dann zu Stalkern, Mördern und Berserkern. Einer wie Rübezahl schmeißt natürlich mit Felsbrocken. Falls ein deutsch-tschechisches Filmteam auf die Idee kommen sollte, diese Geschichte mal zu verfilmen, dann würde es an der Stelle gewaltig rumsen, die Erde würde beben und Emma würde in kurzgeschnittenen Sequenzen dramatisch durch Schluchten und Täler reiten.

Da Hetty Krist die Geschichte auch selbst illustriert hat, gibt es lauter Bilder, die die Kinder anregen, sich die wilde Jagd und den Wüterich auf dem Berge vorzustellen und mitzuzappeln, bis Mama oder Papa das Buch zu Ende vorgelesen haben.

Am Ende gibt es sogar noch einen reumütigen Rübezahl, wird er wieder jener knurrige Bursche, der durchaus ein bisschen versteht, wie Menschenherzen so ticken. Zorn macht nun einmal wirklich blind. Und einsam. Aber auch das ist ja aus heutigen Tagen nur zu gut bekannt. Es steckt in so mancher alten Geschichte so viel Weisheit, dass man sich fragt: Lesen die Leute einfach keine Märchen mehr? Sollten sie vielleicht wieder? Natürlich sollten sie. Denn aus dem Fernsehen lernt man nicht, wie kompliziert das manchmal ist mit diesen ganzen Gefühlen, dem Zorn und der Reue und der Liebe. Alldem eben, was den vielgestaltigen Rübezahl im Riesengebirge bis heute zu einer gefürchteten, aber auch beliebten Gestalt machen.

Und wenn das Kind dann trotzdem mal wieder so einen wütenden Tag hat, können die klugen Eltern ja dann freundlich dran erinnern: Sei kein Rübezahl, Kind, du weißt ja …

Hetty Krist Rübe Rübe Rübezahl, Lychatz Verlag, Leipzig 2019, 9,95 Euro.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache (Stand 1. Oktober 2019): Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label „Freikäufer“ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen.

Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen und ein Freikäufer-Abonnement abschließen.

Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekären Situation unserer Arbeit zu unterstützen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine „Paywall“, bemühen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch für diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten können und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood über Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.

Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 450 Abonnenten.

Alle Artikel & Erklärungen zur Aktion Freikäufer“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar