2015 war es, da erschien der erste Band der eindrucksvollen Reihe „Landschaften in Deutschland“ in neuem Layout. Nicht ganz zufällig war es der Band „Leipzig“, der in seiner kompakten Datenfülle zeigte, was Landeskundler alles über eine geografische Örtlichkeit zu erzählen haben. Jetzt haben sie wieder drei Jahre Arbeit in den nächsten Band, die Nr. 79 in der Reihe, gesteckt: „Das Eichsfeld“.

Vorgestellt wurde dieser neue, durchaus gewichtige Band vom Leibniz-Institut für Länderkunde und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig  am 18. Dezember in Heilbad Heiligenstadt. Immerhin die maßgebliche Stadt im östlichen, thüringischen Teil des Eichsfeldes, das seit 200 Jahren geteilt ist. Duderstadt ist die zentrale Stadt im Westteil, der zu Niedersachsen gehört.

Die innerdeutsche Zonengrenze verlief tatsächlich über 40 Jahre mitten durchs Eichsfeld, was aber nie wirklich das Gemeinschaftsempfinden des bis heute katholisch geprägten Stückchens Erde beeinträchtigte. Im Gegenteil: Wohl kaum eine deutsche Region ist nach der „Wende“ wieder so schnell zu einer Einheit geworden wie das Eichsfeld, auch wenn nach wie vor die Verwaltungsgrenzen dreier Bundesländer hindurchgehen.

Aber man erfährt in diesem „ersten landeskundlichen Gesamtporträt der Region in Deutschlands geografischer Mitte“ natürlich auch, warum das so ist. Und man ahnt, mit welcher Neugier die Geografen und Landeskundler dieses Stückchen Land mit seinen gerade einmal 150.000 Einwohnern betrachtet haben. Und zwar mit allen verfügbaren Methoden.

Das fast 500 Seiten dicke Buch ist gespickt mit hochwertigen Karten, die zahlreiche Einzelaspekte der Landeskunde sichtbar machen. Mancher wird sich fröhlich erinnert fühlen an die Zeit im Geografieunterricht, als man lernte, die Farben der Karten zu lesen – hier die Karten mit dem Waldbesatz, die natürlich zu etlichen ausführlichen Kapiteln gehören, die sich mit Forstwirtschaft, ursprünglicher Bewaldung und heutigen Naturschutzgebieten beschäftigen.

Dort die Naturschutzgebiete ebenso mit eigenen Karten, genauso wie die Rad- und Wanderwege oder die Landwirtschaft. Hier wird sichtbar, wie die Satellitenaufnahmen aus dem Kosmos die Sicht auf den Landstrich bereichern: An den Feldgrößen ist bis heute die deutsche Teilung ablesbar. Zwar verschmolzen auch im Westen die kleinen Landwirtschaftsbetriebe im 20. Jahrhundert zu größeren Einheiten – aber nie zu den großen Flächen, die im Osten von den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) bewirtschaftet wurden. Die Strukturen haben sich bis heute erhalten.

Und man ist schon so ganz sachte drin in der Geschichte des Eichsfelds, das in den Zeiten des Nationalsozialismus und der DDR vor allem dadurch auffiel, dass es in stiller Widerständigkeit seine Eigenart behielt und nie wirklich zum Jubelplatz der Diktaturen wurde. Was natürlich mit dem Katholizismus zu tun hat, der hier seit Jahrhunderten in einer Diaspora-Situation überdauert und den Bewohnern des Eichsfelds eine eigene Gruppenidentität verleiht.

Dabei waren die Eichsfelder kurzzeitig sogar protestantisch, waren genauso wie ihre Nachbarn begeistert den Lehren Martin Luthers gefolgt. Aber seit Jahrhunderten gehörte das Eichsfeld zum Bistum Mainz. Und die Mainzer Bischöfe setzten mit dem Ende des 16. Jahrhunderts alles daran, ihr Refugium wieder zu rekatholisieren, schickten die Jesuiten ins Land, die augenscheinlich klug und gut vernetzt die Eichsfelder wieder zu überzeugten Katholiken machten.

Natürlich beginnt die Geschichte dieses Landstrichs nicht mit Luther und auch nicht mit den Mainzer Bischöfen, sondern in jener Frühzeit, als Ackerbauern und Viehzüchter die mitteleuropäischen Landschaften zu besiedeln begannen. Ein bisschen später als etwa an den Flussläufen von Saale und Elbe, wo die Bedingungen deutlich freundlicher waren. Man muss die Sache wohl wirklich erst mit den Augen des Geografen sehen, um zu verstehen, dass dieser hoch gelegene Landstrich immer auch etwas rauer, kühler und unwirtlicher war als die von den Siedlern zuerst bebauten Regionen weiter unten im Tiefland.

Das spielte gerade für die Landwirtschaft eine wichtige Rolle: Die Winter waren länger, die fruchtbare Zeit war kürzer, die Ernte also viel unsicherer. Logisch, dass dieser Sattel zwischen Franken und Thüringen relativ spät besiedelt wurde und dann auch stets nur dünn besiedelt blieb. Selbst die großen Heer- und Handelsstraßen führten eher an den Grenzen entlang.

Und selbst im Eichsfeld gab es deutliche Unterschiede – einige Ecken mit wertvollen Lösböden, andernorts eher sehr karge, kalkhaltige Böden. Richtig ins Licht der Geschichte trat das Eichsfeld im 9. Jahrhundert. Obwohl es wahrscheinlich auch schon im Reich der Thüringer, das im 6. Jahrhundert verschwand, eine Rolle gespielt hat. Aber mit der Eroberung durch die Franken tauchte es in der Vorgeschichte des späteren deutschen Reiches auf und damit erschienen auch die ersten Orte urkundlich in der Überlieferung.

Die meisten mit so typisch fränkisch-sächsischen Endungen wie -rode, -hausen, -feld oder -stadt. Denn es waren die Franken und Sachsen, die das raue Ländchen besiedelten. Selbst die Architektur ordnet den Landstrich in diese Kulturverbundenheit ein. Und die heute noch wahrnehmbaren Dialekte ebenfalls.

Vielen ist der Landstrich aber auch durch den am Ende erfolglosen Streik der Kalibergleute aus Bischofferode in Erinnerung. Der Kalibergbau hat die Region geprägt – kam aber mit der Wiedervereinigung genauso unter die Räder wie die vielen in DDR-Zeiten aus dem Boden gestampften Fabriken, die auch das Eichsfeld industrialisiert hatten. Sie waren nicht mehr konkurrenzfähig. Auch dieser Landstrich wurde in Windeseile deindustrialisiert.

Und trotzdem hat das Eichsfeld am Ende die wirtschaftlichen Turbulenzen der Nachwendezeit besser verkraftet als viele andere Regionen. Was auch an einem Effekt liegt, den andere Regionen so nicht zu nutzen verstanden. Denn die besondere Eichsfelder Verbundenheit hat auch dazu geführt, dass Aufträge in der Region blieben und dafür sorgten, dass deutlich mehr Handwerksbetriebe überlebten als etwa in den anderen ländlichen Regionen des Ostens.

Warum gerade im Eichsfeld der Kalibergbau florieren konnte, wird natürlich auch verständlicher, wenn die ganze geologische Vorgeschichte des Eichsfelds erläutert wird. Es ist die Geschichte der Urmeere, die hier ihre Spuren hinterließen. An anderer Stelle macht sich diese Urgeschichte mit Flüsschen bemerkbar, die unverhofft in der Erde verschwinden und als sprudelnde Quelle andernorts wieder auftauchen.

Oder als Seen, die sich in unverhofften Erdtrichtern entwickeln. Allerlei kalkhaltige Ablagerungen aus dem Mesozoikum sind der Grund dafür. Auch die geologische Gliederung findet sich in einer eindrucksvollen Karte, genauso wie die Grenzscheide der Flusssysteme, die geschützten Bodendenkmale oder die Wüstungen aus dem Mittelalter.

Denn der imposante Teil mit den über 200 Ortschaften des Eichsfeldes porträtiert ja nur die heute noch existierenden Orte, nicht aber all jene, die im Verlauf des Mittelalters aus unterschiedlichsten Gründen wieder aufgegeben wurden – oft nicht einmal aus Not- oder Pestgründen, wie das andernorts der Fall war. Mutmaßlicherweise zogen die Dörfler um ins Nachbardorf, die Feldfluren wurden zusammengelegt. Man wirtschaftete nicht mehr so kleinteilig.

Und irgendwie ging es auch im Eichsfeld immer um den Schutz vor Räubern, Raubrittern und anderen diebischen Horden, wovon heute noch einige eindrucksvolle Burgen erzählen – wie etwa die Burgen Bodenstein und Scharfenstein. Aber ein besonderes Merkmal der Landschaft sind die heute noch in Teilen erhaltenen Schutzwälle in der Landschaft, die mit Dornengebüsch bewachsen dafür sorgten, dass Reisende die kontrollierbaren Straßen benutzten.

Das Buch in seiner thematischen Breite macht sichtbar, was Landeskundler über eine klar umrissene Region alles erzählen können, wenn sie das vorhandene Wissen aus Forschung und Statistik zusammenpacken, weder den Naturschutz (und die auch im Eichsfeld bedrohten oder schon verschwundenen Arten), noch die Landes- oder Glaubensgeschichte auslassen. Und auch der Gedenkstein „Teilung des Eichsfeldes“ ist abgebildet.

Denn an der Teilung dieser ganz besonderen Region, die auf dem Wiener Kongress 1815 beschlossen wurde, hat sich ja – trotz mehrerer gesellschaftlicher Umbrüche – bis heute nichts geändert. Und auch die Chance der Wiedervereinigung 1990 wurde nicht genutzt, obwohl man gerade hier exemplarisch hätte zeigen können, wie das funktioniert, wenn Deutschland wirklich wieder zusammenwächst.

Ergebnis: Man erlebt eine durchaus homogene Landschaft, erlebt aber nach wie vor die spürbaren Unterschiede zwischen einem ost- und einem westdeutschen Bundesland. Und man erlebt auch die deutsche Teilung hautnah, denn da, wo bis 1990 der Grenzzaun das Land zerteilte, kann man heute auf dem einstigen Kolonnenweg das „Grüne Band im Eichsfeld“ erleben, eine Landschaft, in der sich auch seltene Biotope, Tier- und Pflanzenarten erhalten haben.

Etwas, was der berühmte Heinz Sielmann schon 1988 für die Westseite dokumentierte. Seit 1995 ist die von Sielmann gegründete Stiftung auf Gut Herbighausen bei Duderstadt tätig und arbeitet dafür, dass dieser Artenreichtum auf dem einstigen Grenzstreifen bewahrt wird. Der Streifen ist zu einer Schutz- und Erinnerungslandschaft geworden und man kann ihn auf 125 km mitten durchs Eichsfeld erleben.

Man merkt dem reich mit Karten gespickten Band an, dass hier wirklich drei Jahre Arbeit drinstecken. Zwei Extra-Karten zum Aufklappen findet man auch. Wer das Eichsfeld kennenlernen möchte, findet es hier auf eine kompakte Weise, wie sie nur ein gutes Geografie-Buch bieten kann. Und kleine Karten und viele Internet-Verweise ermutigen auch dazu, die Wander- und Reiseangebote einmal auszuprobieren und sich auf diesen Touren diese Landschaft zu erschließen. Eine Landschaft, die durch das Unspektakuläre und ihre Lage mitten in Deutschland wahrscheinlich mehr über Deutschland erzählt, als so manche teure Attraktion, die jedes Jahr die Millionen anlockt.

Gerold Wucherpfennig (Hrsg.) u. a. Das Eichsfeld, Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar 2018, mit 2 Übersichtskarten und 2 Satellitenbildern in Rückentasche, 30 Euro.

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