Die Suche auf Willy Weglehners Homepage spuckt zwar zu den Namen Ilf und Petrow keinen Treffer aus. Aber Ilja Ilf und Jewgeni Petrow sind, wenn man es recht bedenkt, die eigentlichen Vorbilder für das, was Willy Weglehner in seinen Büchern anstellt. Man kann den Olymp auch um Michail Sostschenko und Nikolai Gogol erweitern. Denn eins wussten die Russen nur zu gut: Ämter und Behörden führen ein bizarres Eigenleben. Und Revisoren und Ministerialbeamten ist nicht über den Weg zu trauen.
Nicht unbedingt, weil sie keine sympathischen und fleißigen Leute wären oder ihre Arbeit nicht täten. Aber – das musste nicht erst Kafka erfinden – Behörden entwickeln ein Eigenleben und sie neigen dazu, sich zu verselbständigen. Die Vorgänge werden wichtiger als die betroffenen Menschen. Und die eigene Position auf der Titel- und Einstufungsleiter wird wichtiger als die Lösung der vorliegenden Probleme.
Deshalb sieht auch in Deutschland vieles so aus, wie es aussieht, stockt auf völlig unerklärliche Weise, scheint jeglicher Kontrolle durch gewählte Parlamente entzogen. Und wenn dann so ein Behördenleiter mal öffentlich Stellung nehmen muss, versteht er ganz offensichtlich das Problem nicht mehr oder hält es für ganz selbstverständlich, dass Dinge unerledigt blieben oder mit einem behördlichen Befund abgewimmelt wurden, den man mit dem alltäglichen Sachverstand eines nicht verbeamteten Fußgängers nicht mehr verstehen kann.
Und das passiert nicht nur auf Bundes- oder Landesebene. Selbst im Lokalen macht man diese fast mystischen Erfahrungen und bekommt immer wieder das drängende Gefühl, dass sich Verwaltungshandeln auf sehr deprimierende Weise verselbständigt hat. Und das ist auch nicht nur in Sachsen so. Willy Weglehner scheint seine eigenen mystischen Erfahrungen mit solchen Beamten im schönen Franken gemacht zu haben.
In Sachsen haben wir zwar eher das baden-württembergische Beamtenmodell übernommen, aber warum soll es den Bayern besser gehen? Auch sie erleben mit, wie ungreifbare Behörden Planungen für Großprojekte durchziehen, gegen die die betroffenen Bevölkerungsteile vergeblich protestieren. Auch sie erleben mit, wie die seltsamen Geschäfte dubioser Investoren mehr Einfluss auf die Entscheidungen im Ort nehmen als die Beschlüsse des eigenen Gemeinderats.
Und sie werden sich genauso oft fühlen wie Laurence J. Peter, der ja bekanntlich das berühmte Peter-Prinzip beschrieb, das möglicherweise genau beschreibt, wie mit unfähigen Amtswaltern umgegangen wird, wenn ihre Unfähigkeit nicht mehr zu übersehen ist. In der Regel werden sie nämlich nicht gefeuert oder mit fürstlicher Vergütung in den Ruhestand geschickt, sondern befördert. Erst recht, wenn sie vorher viel Einfluss hatten und möglicherweise über Insider-Wissen verfügen und sich auch noch festklammern an ihrem Posten.
So wie die vier Beamten aus vier verschiedenen Bundesländern, die Willy Weglehner in seinem Buch den eigentlich fälligen Abschied aus dem Staatsdienst überleben lässt. Eigentlich wären alle vier in jener Wonneposition, über die sich jeder Malocher im Land freuen würde – mit 58 oder 59 in Pension gehen zu können. Aber augenscheinlich haben sich alle vier so erfolgreich gegen den Ruhestand gewehrt, dass sich ihre Vorgesetzten nur noch dadurch zu helfen wussten, dass sie die vier in eine völlig neu geschaffene Geschäftsstelle im Innenministerium abschoben, also quasi ausparkten.
Was schon ein herrlicher Kniff ist. Man ahnt schon Monty-Pythonsche Auftritte, kämpfende Ritter der blanken Amtsgewalt. Aber es wird noch besser. Denn die vier können wirklich nicht loslassen. Und: Sie kennen die deutschen Behörden nur zu gut. Sie wissen, wie man sich als Staatsbediensteter Projekte macht und sie durchzieht mit allen Finessen.
Und da sich die Leute, die sie so in eine völlig namenlose Dienststelle abschoben, augenscheinlich keine Gedanken gemacht haben darüber, was vier im Dienst ergraute Beamte dann eigentlich anstellen, werden sie kreativ, erfinden sich eigene Aufgaben, lassen sich Stempel machen und verschaffen ihrer namenlosen Dienstelle bald einen unheimlichen Ruf. Denn was so namenlos agiert, das muss ja wichtig sein. Da funktionieren alle Schreckmomente in jeder Hierarchie. Da wird nicht nachgefragt. Es könnte ja sein … In Hierarchien regiert das Gesetz der Unterordnung. Wenn eine unbekannte Dienststelle nicht unterhalb der eigenen Verantwortlichkeit auszumachen ist, muss sie ja drüber stehen.
Natürlich ist ein schönes Gedankenexperiment. Aber so ganz realitätsfern nun auch wieder nicht. Solche Kunststücke bekommen ja auch sehr wohl bekannte Ämter fertig – sie werden von Rechnungshöfen dafür gerügt, im Fernsehen dafür belästert, manchmal auch von Staatsanwälten genervt. Aber in der Regel passiert den staubgrauen Beamten, die gerade einmal wieder mehrere Millionen DM oder Euro verbrannt haben, nichts. Kann ja passieren. Sie haben sich ja trotzdem ans Regelwerk gehalten. Der Bund der Steuerzahler kann ein Lied davon singen. Er kann es aber nicht ändern.
Und was die vier ehrwürdigen Herren hier vormachen, wirkt nur zu vertraut. Man muss nur auf der richtigen Ebene die richtigen Anrufe tätigen oder Anforderungen stellen, schon fließen die Millionen, flutschen die Geschäfte und werden die Infrastrukturprojekte flugs aus dem Boden gestampft, für die gewöhnliche Gemeinderäte und arme Länderminister ein ganzes Leben brauchen.
Wir landen mit Willy Weglehner in den wilden 1990er Jahren, der Zeit, die für einige Leute auch eine echte Goldgräberzeit war. Und einige der mehr als seltsamen Förderprojekte, die die vier Herren mit herrlichen Millionen aus dem Boden stampfen, entstehen natürlich im wilden Osten.
Aber wer so mit Millionen agiert, lebt auch im Misstrauen. Das Quartett bleibt nicht lange ein vertrautes Häufchen, das Misstrauen wächst, man wird auch sichtlich etwas kriminell. Wobei das auch nicht ganz so klar ist, denn so emsig wie diese vier vertickt ja auch die Bundesrepublik Deutschland alte und neue Waffen an allerlei zahlungsbereite Leute mit schlechtem Leumund in aller Welt.
Man zweifelt nicht wirklich daran, dass so eine mysteriöse Geschäftsstelle entstehen könnte im riesigen Behördenapparat der Republik. Man ist eher geneigt, sie exemplarisch für ein paar real existierende Dienststellen zu nehmen, wo sich Unfähigkeit mit Unersetzlichkeit tarnt und die Millionen für die seltsamsten Dinge in der Landschaft verbaut werden.
Nur ist Willy Weglehner vorsichtig. Er vermeidet den Eindruck, er könne tatsächlich die eine oder andere konkrete Behörde und den einen oder anderen sehr besonderen Behördenleiter gemeint haben. Er führt extra noch einen fleißigen hessischen Trinkbruder ein, der mit dem fränkischen Teil der so gar nicht kaltgestellten Altbeamten regelmäßig beim Äbbelwoi zusammensitzt und sich erzählen lässt – quasi als trinkfreudiger Beichtvater.
Aber eigentlich ist er nur ein versoffener Autor, der in den Erzählungen seines Trinkgenossen auf einmal den Stoff für einen fetten Roman entdeckt, den er dann auch zu schreiben beginnt. Und je mehr er schreibt, umso häufiger verzichtet er auf Alkohol – und so nebenbei wird er seinem Trinkbruder unheimlich, weil er über die so geheimen Vorgänge in der so geheimen Dienststelle augenscheinlich besser Bescheid weiß als die dort Residierenden. Was dann dazu führt, dass er selbst zum Teil des Kleeblatts wird – und noch unheimlicher.
Am Ende weiß man nicht wirklich, wer aus der Runde alles überlebt hat und ob die Geschichte nicht doch nur eine sehr phantasievolle Erfindung dieses trinkfreudigen Leo sein mag. Immerhin geht der Trug sehr lange, findet das Treiben der Geschäftsstelle unerwarteten Widerhall bis nach Brüssel, wo ja auch diverse Leute ihre kleinen und großen Projekte versuchen, in Taten und Gelder umzusetzen. Sodass am Ende selbst die Einführung des Euro – als völlig schiefgelaufener Versuch einer Geldumverteilung – noch aus dem Wirken der vier übermütigen Herren entsprießt, die aus der Tatsache, dass sie nicht aufhören wollen zu walten, ihr Recht erdenken, dann eben das ganz große Rad drehen zu dürfen.
Je größer, umso besser, umso undurchschaubarer für die Kontrollinstanzen, die es möglicherweise irgendwo gibt. Die Frankfurter Presse ist es nicht, erfahren wir noch. Die emsig recherchierte Geschichte des dortigen Reporters wird von den Chefs als völlig unglaubwürdig eingeschätzt. Ganz ähnlich geht es einem emsigen Steuerprüfer.
Man wird schon sehr misstrauisch beim Lesen, weil einiges von dem Geschilderten einem doch verflixt vertraut vorkommt: Behördenleiter müssen ihr Tun nicht rechtfertigen, niemand wird für verfehlte Großprojekte zur Verantwortung gezogen, Steuermillionen versickern in ungreifbaren Quellen, aber niemand weiß, wer sie verschwinden ließ usw.
Logisch, dass man da wieder Lust bekommt, bei Gogol, Ilf und Petrow zu lesen und in ihrem von Titeln besoffenen Russland das von Ämtern und Rängen eingelullte Deutschland wiederzuerkennen. Sind unsere emsigen Würdenträger denn anders als die bei Gogol? Weniger eitel, weniger machtdurchdrungen und weniger besessen von dem Wunsch, diese Macht auch zu gebrauchen und die starren Grenzen des Amtes zu überschreiten? Wer will denn nicht strahlend im Blitzlichtgewitter stehen als großer Zampano und Gönner?
Am Ende landet Leo dann gar noch in der Klapsmühle. Der Inhalt seines Buches scheint dann doch diversen Instanzen zu brisant gewesen zu sein. Und allein ist er da natürlich auch nicht. Wer wird die heilige Redlichkeit der Ämter infrage stellen wollen, schon gar, wenn sie gar keinen Namen haben und nicht existieren, wenn mal einer versucht nachzufragen?
Oh, dieser leise Ruf von Macht und Gnädigkeit. Fast vermisst man ihn selbst, den verehrten Pawel Iwanowitsch Tschitschikow. Aber irgendwie steckt in jedem der vier so ein Tschitschikow und in Leo eher kein Tolstoi, sondern ein listiger Gogol, der weiß, dass ihm für die Veröffentlichung zumindest nicht Sibirien droht. Eher ein paar Persönlichkeitsklagen von fülligen älteren Herren, die sich porträtiert fühlen, obwohl sie gar nicht gemeint waren.
Willi Weglehner Die Geschäftsstelle, Einbuch Buch- und Literaturverlag, Leipzig 2018, 13,90 Euro.
Keine Kommentare bisher