Man kann es ja mal versuchen, die ganzen Wettiner in so ein kleines Buch zu packen. Das ist mutig. Noch viel mutiger, als eine „Kurze Geschichte Deutschlands“ zu schreiben, wie es James Hawes getan hat. Denn zu Recht weist schon der Umschlag darauf hin, dass die Wettiner „eine der ältesten, mächtigsten und herausragendsten Familien des deutschen und des europäischen Hochadels“ sind.

In Deutschland gibt es nur zwei Adelsfamilien, die ihre Ursprünge ebenfalls vor das Jahr 1.000 zurückverfolgen können: die Welfen und die Reginaren. Wobei diese beiden Fürstengeschlechter natürlich unerreichbar sind – denn die Welfen waren ja schon große Herzöge in Sachsen, da waren die Wettiner noch so namenlos wie der Hügel, auf dem sie mal ihre Stammburg über der Saale bauen würden. Von den Reginaren ganz zu schweigen, auf die sich das Haus Hessen genauso zurückführt wie das Haus Burgund und das Haus Luxemburg.

Nur haben die Wettiner das Glück, früh schon in Chroniken zu erscheinen – zum Beispiel in der des Thietmar von Merseburg, über den ja in diesem Jahr viel berichtet wird, weil sich sein Todestag zum 1.000. Mal jährt. Er erwähnt erstmals Graf Dedo und seinen Vater Dietrich, die beide schon im 10. Jahrhundert lebten und daran arbeiteten, ihr kleines Grafengeschlecht im Osten des expandierenden Heiligen Römischen Reiches zu verankern und dabei ein möglichst großes Stück vom Kuchen abzubekommen.

Ihre Grundherrschaft just dort, wo sie ihre Burg bauten, wurde tatsächlich 961 schon in einer Kaiserurkunde genannt. Parallel saßen sie auch schon auf der Eilenburg und wären beinah schon 1032 groß rausgekommen, als Dietrich II. von Eilenburg Markgraf von Meißen wurde. Aber die ersten Jahrhunderte war der Besitz der Markgrafschaft mal heiß umkämpft, mal völlig unsicher, denn auch diverse Kaiser wollten hier gern ein Stammland aufrichten. Wirklich als Start der Karriere der Wettiner als Markgrafen, Kurfürsten und Könige gilt das Jahr 1089, als Heinrich I. von Eilenburg mit der Markgrafschaft belehnt wurde.

Mit über 800 Jahren an der Macht regierten sich die Wettiner auch in die Riege der am längsten regierenden Fürstenfamilien. 38 ihrer namhaften Vertreter sind im Fürstenzug am Dresdner Schloss abgebildet. Nur einer fehlt dort – der letzte, jener August III., den selbst sein letzter ihm in den Mund gelegter Spruch sympathisch macht: „Nu macht doch euern Dregg alleene.“

Womit er etwas sagte, ohne das man Hartmut Ellrichs tour de force durch die Geschichte der Wettiner gar nicht mehr lesen kann. Denn fast immer werden Adelsfamilien verklärt, mit einem Nimbus des Auserwählten umgeben, als hätten wir es hier mit einer Art historischer Inszenierung zu tun. Wofür die Adligen in vergangen Jahren ja selbst viel getan haben. Manche wollten ja unbedingt von Gott Auserwählte gewesen sein.

Eine Pirouette, die man von den Wettinern in der Markgrafschaft Meißen und dem späteren Kurfürstentum Sachsen so eher nicht kennt. Die meisten empfanden sich eher als Pragmatiker der Macht und sorgten dafür, ihr Land zu vergrößern, funktionsfähig, reich und schuldenfrei zu machen. Ihnen war durchaus bewusst, dass Fürstsein eigentlich zuallererst heißt, ein Regierungsmensch auf Lebenszeit zu sein.

Einige fielen aus der Rolle. Keine Frage – sie gaben das Geld dann lieber für wahnwitzige Königsprojekte in Polen, Mätressen, Schlösser und Prunkkammern aus, um nur mal den berühmteren August unter den Wettinern zu nennen. Andere interessierten sich nicht für die Staatsgeschäfte und überließen das Schuldenmachen eitlen Kanzlern wie weiland dem Grafen Brühl.

Aber da saßen sie schon fest im Sattel, nur bekriegt vom machtlüsternen Nachbarn Preußen, wo man seit Friedrich Zwo noch Höheres im Sinn hatte – nämlich die Vormacht im ganzen Reich.

Und natürlich fehlt trotzdem vieles in Ellrichs Geschichte. Denn um überhaupt das Material im Zaum zu halten, beschränkt man sich wirklich am besten auf die Dargestellten im Fürstenzug. Da kommen dann zwar noch die ersten Ernestiner vor, jene Bruderlinie, die sich nach der Leipziger Teilung von 1485 abspaltete und dann die vielen kleinen Herrschaften im Thüringer Raum begründete.

Wenn man die alle noch bespräche, würde es ein ganz schön dickes Buch geben. Ihr Pech: Sie haben bei all den Herrschaftsteilungen nie wieder vermocht, ein in der deutschen Machtpolitik noch ernsthaft wahrnehmbares Kernland aufzubauen. Was den Albertinern in Dresden immer wieder gelang. Deswegen denkt man beim Namen Wettiner auch eher an Moritz, August und Albert.

Und natürlich hat der Historienmaler Wilhelm Walther, als er in den 1870er Jahren den Fürstenzug erstmals auf die Wand malte, auch die Frauen weggelassen. Was zwar damit zu tun hatte, dass der Fürstentitel bei den Wettinern immer nur in der männlichen Linie weitergegeben wurde, was dann manchmal auch ein paar Burschen traf, die lieber feierten und soffen, als zu regieren.

Aber es erzählt auch von der Blindheit des 19. Jahrhunderts für die Rolle der Frauen im Umfeld der Macht. Denn manche waren eben nicht nur Mätressen oder Töchter aus adligen Häusern, die für die Erzeugung von möglichst viel (männlichem) Nachwuchs zuständig waren, sondern auch sehr aktiv als „Landesmutter“. Wie viel weibliche Spuren gibt es eigentlich in der Wettinergeschichte? Mal von Aurora von Königsmarck und der Gräfin Cosel abgesehen?

Wie wäre es mit den beiden Wettiner-Gemahlinnen Reglindis und Uta, die beide im Naumburger Dom zu sehen sind? Oder mit Kurfürstin Anna? Ellrich erwähnt zumindest die wohltätige Königin Carola, Gemahlin des vorletzten Wettiners auf dem Thron. Oft genug waren es die Frauen, die den Draht zum Volk hielten, während die Herren lieber ordensgeschmückt in Kriege zogen (und manchmal auch darin zu Tode kamen).

Man darf durchaus staunen, wie es die Wettiner schafften, 800 Jahre an der Macht zu bleiben und die Geschicke des Landstrichs zu prägen, auch wenn ihre Denkmäler (zumindest außerhalb Dresdens) heute fast alle verschwunden sind, aber die Anhänglichkeit der Sachsen ist noch da. Auch ein bisschen künstlich geschürt vor und nach 1989. Denn vieles aus dieser Wettiner-Treue resultiert ja aus dem über Jahrhunderte geschürten Zwist mit den Preußen.

Der auch in der DDR gärte. Die Sachsen-Renaissance wurde ja mit Filmen wie „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ befeuert. Und dass die Sachsen bereit waren zu rumoren, wusste man auch im preußischen Ostberlin – weshalb man dann auch den Dresdnern ein bisschen Geld gab, wenigstens schon mal die Semper-Oper wieder aufzubauen.

Darüber schreibt Ellrich ja nicht, aber es geht einem durch den Kopf, wenn man liest, welcher Wettiner-Fürst sich wirklich bemühte um das Land und seinen Reichtum. Und mancher steht dafür eben nicht nur für Glanz, sondern auch für „gutes Regieren“. Etwas, wofür sich eben auch Leute verantworten müssen, die nicht durch Geburt in ihr Amt kommen, sondern durch Wahlen. Oder Losverfahren. In Sachsen werden die Posten in der letzten Zeit wahrscheinlich ausgelost. Sodass viele Einwohner des Freistaats durchaus sentimentale Gefühle mit diesem imposanten Zug der Wettiner-Fürsten verbinden.

Nur täuschen sie sich. Adel macht halt nicht von Natur aus bessere Politik. Nur gibt es einen wesentlichen Unterschied, den Ellrich fast beiläufig anmerkt, der aber wichtig ist: Die besten Nachfolger im Fürstenamt waren allesamt schon früh zum Regieren erzogen worden. Sie wussten also schon vorher, wie es geht und mussten es nicht erst im Getümmel lernen. Was an heutigen Politiker so oft frustriert, ist ja ihr nonchalanter Dilettantismus. Und bei manchen merkt man, dass auch acht Jahre Lehrzeit im Amt nicht viel nützen. Es fehlt noch etwas anderes: Der Mut zum Regieren.

Den man den meisten Wettinern in dieser Galerie wirklich nicht absprechen kann. Und dass es trotzdem eine ordentliche Kompressionsarbeit gewesen sein muss, sie alle in dieses Büchlein zu zwingen, merkt man immer dann, wenn ein Nebensatz dazu anregt, jetzt doch schnell mal im Lexikon nachzuschauen. Denn wer 800 Jahre lang regiert, der produziert eine Menge Geschichte. Und er kann nicht mal abtauchen, selbst wenn er es wollte – wenn man nur an den armen Georg im 30-jährigen Krieg denkt oder den verzweifelten Friedrich August in der Völkerschlacht bei Leipzig.

Hartmut Ellrich Das kleine Buch der Wettiner, Rhino Verlag, Ilmenau 2018, 5,95 Euro.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar