So manche Universität und Hochschule im freundlich runderneuerten Osten hat sich ja in den vergangen Jahren (oft aus Jubiläumsgründen) etwas intensiver mit ihrer eigenen Geschichte beschäftigt. Oder sich eine Geschichte zugelegt, schön ruhmreich. Aber mit Löchern drin. Gerade das 20. Jahrhundert bereitet etlichen Hochschulleitungen augenscheinlich arge Zahnschmerzen. Auch in Weimar.

Dort hat sich einer mit ins Zeug gekniet, den L-IZ-Leser schon kennen: Roland Mey. Auch von seinen Leipziger Attacken gegen die oft schöngeredete Geschichte Kurt Masurs oder die Löcher in der Hochschulchronik in der Hochschule für Musik und Theater haben wir berichtet. Es ist nicht nur die DDR-Zeit, die manchen Chronikschreibern arge Probleme bereitet, das Geschehene einzuordnen, zu werten oder gar zu benennen. Die NS-Zeit wird meistens genauso eilig überflogen. Nur ja nicht erzählen müssen, dass auch Musiker, Lehrer und Genies fehlbar sind. Dass staatliche Willkür tief in die eigentlich heiligen Strukturen der Kunst eingreifen kann, Karrieren befördert und zerstört, Forschung verhindert, Charaktere verbiegt oder gar entkernt – das alles müsste und dürfte eigentlich Thema sein. Auch in den Chroniken der Kunsthochschulen. Denn damit wird auch sichtbar gemacht, wie Diktaturen Kunst deformieren und Menschen zerrütten.

Ein richtiges Mey-Thema also, in dem er sich mit dem 1942 in Aue geborenen Günter Knoblauch zusammentat.

Beide Autoren haben die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar in den Blick genommen und Kritikwürdiges gefunden. „Ihnen stellte sich schließlich im Lauf ihrer Gespräche und Recherchen die Frage: Wird hier bis heute absichtlich die jüngste Geschichte geklittert, werden bewusst alte SED-Seilschaften und Täter im Lehrkörper geschützt, und wird Opfern die Rehabilitation verwehrt? Ist die HfM eine der letzten ‚roten Bastionen‘ der ehemaligen DDR, die zwar die kulturellen Leistungen der Vergangenheit für sich in Anspruch nehmen, ihre Verantwortung für die politischen Verformungen zu DDR-Zeiten aber von sich weisen?“, fasst der Verlag zusammen, was die beiden anhand von Dokumenten, Interviews, Veröffentlichungen und einer Podiumsdiskussion herausbekommen haben.

Ihr Antrieb? Eine gehörige Portion Unmut, was den Umgang mit der Geschichtsschreibung der Hochschule betrifft.

Der Passus zu diesem Geschichtskapitel auf der Hochschul-Homepage ist kurz: „1947 schloss die Theaterabteilung wieder (die Opernschule blieb erhalten). Im Jahr 1948 gesellte sich zu den obligatorischen musiktheoretischen und musikgeschichtlichen Begleitfächern die Musikwissenschaft als eigenes Studienfach – das heute immer noch gültige Ausbildungsprofil war komplett. Seit dem Jahr 1956 trägt die Hochschule den Namen ihres Initiators im Titel.“

Das war’s. Als wäre nichts passiert.

Zeit für eine offene Diskussion der jüngsten Vergangenheit der Hochschule, „wo der Präsident wiederholt gegen die Widerreden mehrerer Opfer öffentlich falsch behauptet, die Rehabilitationen seien an der HfM abgeschlossen, und auf einen sehr konkreten Klagebrief eines (bisher unbekannten) Opfers nicht reagiert“, sagt Mey. „Das Büchlein ‚Defekte einer Hochschulchronik‘ wurde mit einem reziproken Ansatz geschrieben: Nicht DDR-Aufarbeitung mit ‚nur‘ philosophisch-moralischer Korrelation in die Gegenwart und deshalb dort meistens wirkungslos; sondern Gegenwartsverhalten von Entscheidungsträgern im Kontext der institutionellen DDR-Vergangenheit – also hochbrisant, aber eben nur dann, wenn mit aufwendiger Nach-Bucharbeit eine umfangreiche Öffentlichkeit erreicht wird. Ich träume nicht davon – ich arbeite daran, dass im Jahr 2018 innerhalb und außerhalb der HfM in Weimar, Erfurt und Jena die fundamentale Frage entschieden wird: ‚Weiter so oder anders?‘“

Womit er auch ähnlich glattgestrickte Geschichtssichten an der Hochschule für Musik und Theater (HMT) in Leipzig meint, betont Mey. „Der habe ich ein analoges Buch angekündigt und erste brisante Fakten zunächst in der Selbstverlags-Broschüre ‚Kurt Masur entzaubert‘, der Fünfzehnte nach Bach entlarvt und alles an der HMT in Leipzig ‚den Bachelor-Studenten um die Ohren gehauen‘ zusammengefasst. Die letzten Worte formulierte der HMTL-Rektor bezogen auf die Broschüre mir gegenüber unmittelbar, bevor ein wichtiger Teil daraus in der Österreichischen Musikzeitschrift (ÖMZ 03/2016) veröffentlicht wurde.“

Natürlich ist es immer der unbequemere Teil der Hochschulgeschichte, wenn man sich mit den beiden Diktaturen beschäftigen muss. Die Hochschulen waren keine geschützten Inseln, auf die die jeweils Mächtigen keinen Zugriff gehabt hätten. Aber der Teil macht natürlich deutlich mehr Arbeit, weil man es immer auch mit gebrochenen Biografien zu tun hat – auf beiden Seiten. Und ganz sicher brauchen diejenigen, die diese Chronikteile bearbeiten, auch das entsprechende Grundwissen um das Funktionieren von Diktaturen. Erst so lassen sich Biografien, Karrieren und Ereignisse wirklich einordnen. So wird aber auch sichtbar, dass es in vormundschaftlichen Staaten keine Schonräume gibt.

Die DDR-Bürger mochten sich alle in ihre berühmten Nischen zurückgezogen haben (und auch die Musik war eine), aber den Auswirkungen einer überheblichen Macht konnten sie sich nie wirklich entziehen. Und schon gar nicht auf den konsequent durchherrschten Hochschulen der DDR. Wie weit das ging, zeigen zum Beispiel die Forschungsbeiträge von Martin Morgner zur Friedrich-Schiller-Universität Jena und von Elise Catrain zur Karl-Marx-Universität Leipzig. Beide Arbeiten zeigen aber auch, wie viel intensive Forschung so etwas braucht.

Aber wenn man es gar nicht anpackt, bleibt auch jede Diskussion über so ein durchaus folgenreiches Thema aus. Für den Verlag ist auch die kleine Streitschrift zur Musikschule FRANZ LISZT: „Ein Buch gegen das (absichtliche) Vergessen.“ ein Anfang.

Günter Knoblauch, Roland Mey Defekte einer Hochschulchronik, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2018, 10 Euro.

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