Am Ende hat er sich wahrscheinlich diebisch gefreut รผber all das, was er angerichtet hat mit seinen Schriften: Dr. Karl Marx, Hegel-Schรผler, Emigrant und der berรผhmteste politische รkonom der Weltgeschichte. Die spรคten Fotos zeigen ihn als spรถttischen alten Mann. Nun hat Dietmar Dath รผber ihn auch ein Bรคndchen fรผr die Reihe โ100 Seitenโ von Reclam geschrieben. Ein kleines Plรคdoyer, das den 1818 Geborenen auch wieder entdรคmonisiert.
Es ist nicht das erste Buch in letzter Zeit, das den Burschen mit dem Rauschebart wieder herunterholt von dort, wo ihn seine Verehrer und seine Verรคchter hingestellt haben. Denn dass er heute noch immer so befehdet wird, hat mit einem Bild zu tun, das erst nach seinem Tod geschaffen wurde. Das freilich auch direkt anknรผpft an seine Sprachgewalt: Dieser Dr. Marx ist nie auf Barrikaden gestiegen, hat keine bewaffneten Brigaden angefรผhrt und auch keine Revolution angezettelt. Seine Waffe war immer das Wort. Und so hat er sie auch eingesetzt: Er wollte erschrecken, aufschrecken und wehtun.
Die schรคrfsten Sottisen lieร er gegen Leute vom Stapel, die man heute eigentlich fรผr seine Verbรผndeten halten wรผrde โ Utopisten, Linksintellektuelle, Anarchisten und Reformisten. Was auch damit zu tun hat, dass er einer der besten Schรผler Hegels war, ein echter Junghegelianer, der von Hegel vor allem eines mitnahm: die Lust am Paradox, am Widerspruch. Und natรผrlich die Denkmethode der Dialektik als Instrument, eklatante Widersprรผche zu finden, offenzulegen und damit fruchtbar zu machen. Dath kennt seinen Marx. Und er weiร, wo das alles herkommt. Selbst auf 100 Seiten schafft er es, diesen Mann verstรคndlich zu machen, dessen grรถรte Freude immer der offen ausgetragene intellektuelle Streit war.
Nur so am Rande: So etwas kennt die verkohlte und vermerkelte Bundesrepublik Deutschland gar nicht mehr. Selbst die Zeitschriften, wo es so etwas um 1968 herum noch gab, sind verschwunden. Der โStreitโ ist in dummdreiste Talkshows abgewandert, wo man Leuten bei Schwachsinnsreden zuschauen kann, die einem Marx und seinen (heute unbekannten) Streitgegnern nicht mal das Wasser reichen kรถnnten. Denn zum intellektuellen Streit gehรถrt Wissen. Man muss sein Denkwerkzeug beherrschen und die Argumente des Gegners kennen. Und deren Widersprรผche.
Der Reclam-Verlag macht sich eine Freude daraus, zum 200. Geburtstag von Marx auch gleich noch โDie deutsche Ideologieโ in einer Taschenbuch-Auswahl zu verรถffentlichen. โEine schallende Ohrfeige fรผr die Lehrstuhl-Philosophie ihrer Zeitโ, nennt der Verlag dieses Buch. Es ist die Schrift, in der Karl Marx und sein frisch gefundener Freund Friedrich Engels 1845/1846 auch gleich in einem groรen Abwasch mit den Junghegelianern abrechneten. Sie wendeten Hegels dialektisches Denken einfach gleich mal auf seine Schรผler an und zerfetzten deren Argumente in der Luft.
Das Buch ist deshalb die Keimzelle dessen, was man dann dialektischen Materialismus nannte. Der Anfang von all dem, was Marx dann zu den Kommunisten fรผhrte (die es schon vor Marx gab, das wird gern vergessen) und dann dazu, die Konturen einer wirklich funktionierenden kommunistischen Gesellschaft zu entwickeln (was dann 1848 im โKommunistischen Manifestโ stand). Auf dem Stand sind auch die meisten Marx-Verehrer hรคngengeblieben und haben dabei รผbersehen, dass das alles noch gar nicht untermauert war. Die Faszination von Marx fรผr die wirtschaftlichen Erfolge des Kapitalismus hat man vielleicht noch mitgekriegt. Aber meist hat man dann das Lesen des Dreibรคnders โDas Kapitalโ unterlassen. Wobei die spannendsten Stellen alle in den Bรคnden 2 und 3 stehen, beide posthum von Friedrich Engels herausgegeben, beide im Grunde ein Sammelsurium von Anfรคngen und Fragmenten.
Denn Marx ist โ anders als die meisten politischen Theoretiker โ eben nicht beim Polemisieren geblieben. Schon als Redakteur der โRheinischenโ und spรคter der โNeuen Rheinischen Zeitungโ zeigte er, dass er eigentlich ein Analytiker war. Er wollte den Dingen auf den Grund gehen. Widersprรผche und Unklarheiten machte er deshalb als Aufhรคnger fรผr ein richtiges Nachbohren. In einem schรถnen Satz bringt Dietmar Dath diesen Marx eigentlich auf den Punkt, dann nรคmlich, wenn er auf Marxโ Beschรคftigung mit den dominierenden gesellschaftlichen Theorien seiner Zeit kommt โ auch den Theorien der groรen รkonomen wie Smith und Ricardo. Die ja heute in Teilen wieder so im Schwange sind, weil Heiligenverehrung augenscheinlich Zeichen unserer Zeit ist. Da muss man nicht denken und sich nicht den Kopf zerbrechen. Da sind eben Marktgesetze und Herrschaftsstrukturen gegeben, ewig und unverrรผckbar.
Dafรผr findet nicht nur Dath spรถttische Worte.
Marx hat noch viel schรถner und wortgewaltiger darรผber gespottet. Vielleicht sind die bรผrgerlichen Wirtschaftstheoretiker bis heute deshalb so beleidigt: Er hat ihre Heiligen kritisiert. Aber aus gutem Grund. Denn bei Marx bleiben keine โewigen Postulateโ stehen. Sein ganzes Arbeiten am โKapitalโ ist ein Demolieren dieser alten Wahrheiten und ein zunehmendes Erkennen, dass das menschliche Dasein รผberhaupt nicht in konstanten Parametern verlรคuft und Menschen quasi per Geburt zu etwas Unverรคnderbarem gemacht sind, sondern dass es auf lauter Variablen basiert. Alle verรคnderlich und verรคnderbar. Der Mensch kann, wenn er will, die Dinge verรคndern. Deswegen redet man ihm gern ein, er kรถnne es sowieso nicht.
Dietmar Dath: โSolche Behauptungen โ eine gesellschaftliche Relation, ein Verhรคltnis zwischen Menschen, wird zu einer Eigenschaft einer Person oder eines Dings erklรคrt โ hat Marx als Eckpfeiler zahlreicher herrschaftsstรผtzender Ideologien identifiziert: Dort werden Variablen zu Invarianten des Gesellschaftlichen erklรคrt, damit man so tun kann, als mรผsse das, was irgendwie ist, auch zwingend so sein.โ
Wer erinnert sich nicht an diese Sprรผche: โThere is no alternative.โ oder โDas ist jetzt alternativlos.โ
Es ist keine รberraschung, dass sich gerade im anglo-amerikanischen Raum immer mehr รkonomen wieder auf diesen Marx besinnen. Der nie fertig geworden ist. Auch das darf Dath erzรคhlen. Denn 1848 stellte er sich zwar die gewaltige Aufgabe, herauszubekommen, wie die kapitalistische Wirtschaft funktioniert. Aber er ahnte nicht, was fรผr ein Fass er dabei aufgemacht hatte. Denn so hรผbsch einfach wie bei Adam Smith und seinen heutigen Nachbetern war diese Wirtschaftsform nie. Niemand hat sie bewusst โerfundenโ und dann installiert. Sie ist auch nicht รผber Nacht entstanden โ etwa in England oder in der Sklavenhalterrepublik USA. Sie hatte viele Vorlรคufer. Und sie setzte sich erst richtig mit den Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts durch, bei denen es eigentlich erst in zweiter Linie um โMenschenrechteโ ging, in erster Linie um Besitz und Vertragssicherheit: Der Kapitalismus ist eine Gesellschaft, die auf ausgehandelten Vertrรคgen basiert.
Und wer garantiert fรผr das Einhalten dieser Vertrรคge? Wer muss es garantieren?
Richtig.
Man lernt was, selbst in der Kurzfassung von Dath.
Marx und Engels durften das Ergebnis ja quasi in ihrer Frรผhphase bewundern โ wirklich bewundern. Denn diese entfesselte Wirtschaftsweise zeigte den Bewohnern des 19. Jahrhunderts so richtig, was fรผr eine Wucht sie hatte, wie viel Energie und Geld sie entfesseln konnte und wie rasant sie Reichtรผmer mehren konnte.
Und zwar ohne dass die รkonomen wirklich wussten, warum das so war und wie das funktionierte und vor allem auch, wie es das Denken und Leben der Menschen verรคnderte. Denn ein Teil der Wucht dieser Produktionsweise steckt ja darin, dass alle bereitwillig daran mittun und die Maschine nicht nur durch Konsum in Gang halten, sondern immer weiter befรถrdern. Und das Ergebnis fรผr dieses am Ende unvollendete Forschen? โ Im Grunde ein riesiger Torso, der erst in Konturen zeigte, was man alles รผber die Wirtschaftweise der Menschen noch nicht wusste und auch heute nicht weiร. Stichwort: โTransformationsproblemeโ.
Bis hin zur Markt-Staat-Problematik, die die Neoliberalen gern radikal lรถsen mรถchten, ohne die Rolle des Staates als Grundlage aller Mรคrkte รผberhaupt begriffen zu haben. Dietmar Dath: โHistorisch hat es, erstens, einen Markt โohne Staatโ, der die Vertragseinhaltung รผberwacht und dergleichen, nie gegeben, und gerade die grรถรten Gegner von Wohlfahrtsstaat und Verbrauchssubvention waren vรถllig einverstanden damit, gemeinschaftlich Erwirtschaftetes und Gesammeltes, zum Beispiel Steuergelder, zur Stรผtzung ihres geliebten Markts einzusetzen, von der Rรผstungsindustrie bis zur Bankenrettung. Zweitens aber, logisch, ermittelt ein Markt oft nicht einmal die Nachfrage, sondern hรถchstens die zahlungskrรคftige Nachfrage, und auch das, siehe Krisen, nicht unfehlbar.โ
Die heute dominierenden Wirtschaftstheorien sind dagegen meist sehr zahlen- und computerglรคubig, arbeiten mit radikal vereinfachten (und oft auch noch unzulรคssig geschlossenen) Modellen und helfen nicht die Bohne, die Komplexitรคt unseres Wirtschaftens zu erfassen. Marx hat es (quasi im Alleingang) zumindest versucht. Und die dialektisch Denkenden unter den heutigen รkonomen knรผpfen da wieder an. Man hat es sich sehr leicht gemacht, als man Karl Marx 1989 einfach in die Ecke gestellt hat โ frei nach dem Motto, er wรคre ja wohl fรผr den ganzen Mist verantwortlich, der in seinem Namen da im Osten angerichtet worden war.
So wurde man auch seine unbequemen Ansรคtze los. Ergebnis war dann die Dauerherrschaft einer Wirtschaftstheorie, die den Markt verherrlichte und die Widersprรผche weginterpretierte. Ein Rรผckfall in die Zeiten vor Marx in alte Marktglรคubigkeit und im Grunde reinen Zahlenfetischismus.
Nun ist er also wieder da. Altersweise in die Kamera grinsend. Hier mal auf 100 Seiten eingedampft fรผr Leute, die zumindest mal einen Blick werfen wollen in diesen Kosmos. Und weil auch beim Reclam Verlag Schelme in der Programmgestaltung sitzen, gibt es 2018 auch gleich noch das Werk von Marxโ Schwiegersohn Paul Lafargue โDas Recht auf Faulheitโ, in dem er sich mit der herrschenden โArbeitssuchtโ und der Unterdrรผckung der menschlichen Leidenschaften beschรคftigt.
Fast so etwas wie eine Geburtstagsausgabe โ Die neue LZ Nr. 50 ist da
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher
Ich werde diese beiden Bรผchlein zu Weihnachten verschenken. Danke fรผr den Tipp!