Es ist ein widerspenstiges Buch. Nicht das erste seiner Art aus dem Verlag Voland & Quist. Was an den Leuten liegt, die bei diesem Verlag andocken – nicht nur Akteure der Spoken-Word-Szene, die große Touren durch Clubs und Tavernen auf sich nehmen, um sich ihren Unterhalt zu verdienen. Auch junge Leute, die wissen, was für ein hartes Brot es ist, sich mit Kreativität in Deutschland einen Platz an der Sonne zu erarbeiten. Afanasjew gehört dazu.

Auch er ist Poetry Slammer, hat sich mit Aushilfsjobs das Studium finanziert, schreibt als Freier für mehrere Zeitungen. Und er lebt in Berlin, der Stadt, in der die Modernisierung der Bundesrepublik am rabiatesten vonstatten geht – mit Brüchen und Stürzen und eisigen Winden, aber trotzdem schneller als anderswo. Und das erleben gerade die jungen Leute, die hier ein Sprungbrett zum Durchstarten suchen, die hier vor noch gar nicht langer Zeit auch die nötigen Freiräume fanden.

Eigentlich ist auch Afanasjews Held Jakob Ziegler so einer – in diesem Fall ein junger Maler, der zwar mit seinem Galeristen irgendwie den Fuß schon ein bisschen in der Tür hat – aber der große Erfolg stellt sich nicht ein. Im Grunde ist er zutiefst frustriert, sieht auch keinen rechten Sinn in dem, was er tut. Sein Leben ist eine Abwärtsspirale geworden. Das erfordert auch vom Leser Mut, denn das zieht einen natürlich mit runter. Schon wieder so ein Künstlerroman, möchte man schreien und wird innerlich beinah zum Galeerenaufseher und möchte die Peitsche schwingen: Schwing dich endlich auf, Jakob! Komm in die Puschen!

Ist einem ja so anerzogen.

Man braucht ein Weilchen, um zu merken, dass es gar nicht um das traurige Künstlerschicksal geht, aus dem Jakob so gern ausbrechen möchte, auch wenn er an so manchem Abend völlig versackt. Denn nach und nach erfährt man, dass es seinen Freunden Ben und Carlo nicht anders geht. Und auch Jakobs Freundin Jolanda nicht, die im Café jobbt, in dem sie eigentlich Geschäftsführerin sein könnte, denn den Laden hat ihr Vater einfach mal gekauft.

Auch über Jakob und Ben schweben stinkreiche Eltern und Onkel, die mit Geld eigentlich alles kaufen könnten – auch die Karriere der Kinder. Wir haben es also mal nicht so mit den armen Kerlen aus der ostdeutschen Provinz zu tun, die die paar Kröten wirklich brauchen zum Leben, sondern mit jener sagenhaften Generation Y oder Millennium oder wie sie nun genannt wird, die im biederen Westen sozialisiert wurde, deren Elterngeneration fett im Geld schwimmt und die trotzdem ein gewaschenes Problem hat. Denn Geld schafft keinen Sinn im Leben.

Was man mit Jakob so langsam merkt, denn tatsächlich ist sein Hängenlassen auch eine Rebellion gegen diese knauserig-spendable Elterngeneration, gegen deren Erwartungen und Bevormundungen. Eigentlich rebellieren auch die Anderen alle auf ähnliche Weise – vor allem mit Verweigerung. In ihren Köpfen spukt der Traum von einem sinnerfüllten Leben, von einem Beruf, der sie wirklich ausfüllt und – nicht zu vergessen – die heillose Erwartung unserer Gesellschaft an die allumfassende Kreativität der jungen Leute. Benedict Wells spricht vom „Karussell der urbanen Selbstverwirklichung“. Jeder kann ein Stück vom Ruhm bekommen, jeder kann Erfolg haben, wenn er nicht nur will, sondern auch die Regeln des Erfolgs begreift.

Und da ist man bei der schäbigen Rückseite dieses falschen Traums, die Jakob kennenlernt, als seine Idee, ein Alter ego namens Johann Zeit zu schaffen, in die Hände des Marketing-Mannes Dorian fällt. Denn der weiß, wie man aus einer Idee einen Marketingerfolg macht. Das ist alles planbar und berechenbar. Die Idee verselbständigt sich und zeigt ziemlich schnell, dass Marketingerfolg nichts mit Inhalten oder Moral zu tun hat.

„Dann aber entgleitet Jakob die Kontrolle über sein Alter ego“, schreibt der Verlag.

Solche Sätze sind verführerisch und trügerisch. Man wartet ja regelrecht drauf.

Aber gerade als der „Marketing-Coup“ so richtig in die Binsen geht, merkt zumindest der Leser, was eigentlich Jakobs Problem ist. Und möglicherweise das vieler seiner Altersgenossen: Er hat sich sein ganzes Leben aus der Hand nehmen lassen. Dorian exerziert es ja mustergültig vor, entkernt regelrecht Jakobs Idee und Jakobs Leben. Am Ende wird ihm so auch noch die Freundin genommen, seine Freunde wirken sogar mit an der Zerstörung seiner Hoffnung.

Afanasjew lässt seinen Helden dann zwar irgendwie wieder zu seinem Anspruch, Künstler zu sein, zurückfinden – schickt ihn gar noch ans „Ende der Welt“.

Aber das wirkt dann eher wie eine Flucht, ein bisschen kopflos. Und damit auch wieder typisch. Nicht für die Generation. Afanasjew selbst zeigt ja, dass man sich trotzdem behaupten kann. Aber tatsächlich zeigt sein Dorian, wie Ideen und Werte in einer Welt, in der alles vermarktet wird, kurzerhand entkernt werden, wie Emotionen geschürt und verraten werden und Menschen zum Objekt einer Komplettvermarktung werden, in der alles seinen Preis hat. Die Mohrrübe „kreative Jobs“ ist tatsächlich nur eine Mohrrübe. Dorian verachtet seine ach so kreativen Angestellten. Gerade in ihm bündelt sich der ganze Zynismus einer Gesellschaft, die keine Grenzen mehr kennt, auch keine moralischen. Alles wird verwurstet, wird zum Happening. Nur der Skandal sorgt noch für Aufmerksamkeit, weil die eigentliche Aufmerksamkeit der Menschen füreinander keinen Wert (mehr) hat.

Es gibt ein paar hübsche Exkurse insbesondere in Jakobs Gedankenwelten, die das Thema umkreisen. Auch wenn er nicht den Mut findet, die Sache selber anzupacken und für sich selbst zu kämpfen. Denn untergründig geht es genau darum: Eine junge Generation, die um ihre Autonomie ringt und um autonome Lebensentwürfe – aber aus dem Status des schlecht bezahlten Jobbers nicht herauskommt. Eine Dienstleistergeneration, die sich in Berliner Nächten bis zur Besinnungslosigkeit besäuft, weil sich die Träume von einem selbstbestimmten Leben nicht erfüllen, weil man über einen Handlangerjob als kreatives „Prekariat“ (Dorian) nicht hinauskommt. Irgendwie kommt einem diese Welt sehr vertraut vor. Denn das ist ja wirklich die „schöne, neue Welt“, die der jungen Generation zugemutet wird. Wer sich nicht anpasst und die Regeln des Marktes verinnerlicht scheitert, der wird aussortiert oder – wie in diesem Buch Jakob – schamlos ausgenutzt.

Selbst das Gefühl, einmal an einer richtig mutigen Aktion teilzunehmen, wird nachträglich abgetan und verramscht. Und beim kurzen Nachsinnen nach Zuklappen des Buches erinnert man sich an Jakobs Begegnung mit dem Wachmann auf der Baustelle, der im verlassenen Rohbau seine Träume vom Leben an die Wand malt – und trotzdem weiß, dass 40 Jahre Kampf für ein besseres Leben nicht belohnt wurden. Und warum malt er dann im verlassenen Rohbau? – „Um nicht einzugehen.“

Ein kurzer Satz, der eigentlich die ganze Panik beschreibt, die Jakob und seine Altersgefährten umtreibt (weshalb sie dann auch mit Wonne die Berliner Straßenuhren zerschmeißen): Denn die Gesellschaft, in der sie leben, hält jedem Einzelnen die Mohrrübe „Erfolg im Leben“ vor die Nase. Wer es – wie der Wachmann – mit 61 nicht geschafft hat, steht vor dem leeren Tableau. Das hält die jungen Leute am Laufen und Strampeln, bringt sie dazu, auch noch den letzten Scheißjob anzunehmen, um nur ja auch ihren Eltern zu beweisen, dass sie begriffen haben, wie „der Laden läuft“.

Es nutzt nur nichts. Was Jakob in aller Ernüchterung erfahren muss. Am Ende ist es ein bisschen wie im „Meister Floh“. Der Held steht ohne Alles da, ein Anderer ist einfach in seine Rolle geschlüpft, hat seine Idee okkupiert. Und er kann nichts tun. Die Flucht „ans Ende der Welt“ ist eigentlich eine Niederlage, in der ein kleines Stück Protest steckt. Nur: Gegen wen protestiert man, wenn der Diebstahl aller Werte und Ideen normal geworden ist und clevere Marketing-Stars die Helden der neuen Zeit sind, in der sich auch noch die klügsten Köpfe als „Prekariat“ verdingen müssen?

So gesehen eine sehr zynische Kritik an einer Gesellschaft, die äußerlich voller Verheißungen ist, innerlich aber hohl und aus lauter Nützlichkeitserwägungen völlig entkernt.

Nikita Afanasjew Banküberfall, Berghütte oder ans Ende der Welt, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2017, 22 Euro.

Am 25. Oktober präsentiert Nikita Afanasjew sein Buch „Banküberfall, Berghütte oder ans Ende der Welt“ übrigens im Voland & Quist Literatursalon im „Horns Erben“ (Arndtstraße 33) in Leipzig. Beginn der Veranstaltung ist 20 Uhr.

 

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