Wer einen wie den Leipziger Dichter Andreas Reimann einlรคdt, der kann sicher sein, dass er danach einen richtigen, vollgรผltigen und spitzbรผbischen Gedichtband bekommt. Die Dresdner haben es getan. Die Weimarer haben es nicht getan. Was schon verblรผfft. Haben sie aus ihrer Geschichte also doch nichts gelernt? Sie haben trotzdem einen Gedichtband bekommen: Poeten-Museum.
Vielleicht liegt es daran, dass man sich in der beschaulichen Stadt an der Ilm Dichter nur noch im toten Zustand vorstellen kann, museal und in Gips gegossen. Man hat keinen Stadtschreiber wie andere Stรคdte. Leipzig hat auch keinen. Man liest hier auch nicht mehr. Jedenfalls nichts Heimisches. Die armen Poeten gar, von denen Leipzigs stillster und emsigster Dichter auch in diesem Bรคndchen schreibt. Bitter und bissig. Gerade hat er seinen 70. Geburtstag gefeiert. Das hat der bei Jena ansรคssige Quartus-Verlag genutzt, ihn zu wรผrdigen, wie es 2009 zuletzt die Connewitzer Verlagsbuchhandlung in Leipzig tat, damals mit Leipzig-Gedichten. Unerhรถrt. Illustriert von Rainer Ilg. Der hat auch die Weimar-Gedichte illustriert. Das Bรคndchen steht wรผrdig daneben. Und wie gesagt: mit einer ordentlichen Prise Ironie.
Denn wer schon in vorigen Zeiten misstrauisch beรคugt wurde, weil er nicht in der allein selig machenden Partei war und deshalb nicht ernst zu nehmen, der erlebt in den neueren Zeiten den noch viel bescheideneren Umgang der Mรคchtigen (die auch das Geld zu verteilen haben โ an Gspusi in der Regel), die die Dichtenden im Land eher ignorieren. Oder ist das Absicht? Sollen sie arm bleiben und zur Bescheidenheit erzogen werden? Dass die Neueren ihren Erziehungsdrang genauso herausschauen lassen wie die Altvorderen โ die Dichter im Lande wissen ein Lied davon zu singen: โHauptsรคchlich hรคlt man sie kurz, / damit sie nicht glaubwรผrdig werden / heutigen tages.โ
Autsch. Das sitzt.
Sitzt bei diesem Stillen und Nachdenklichen immer. Wer glaubt, er habe das bei Goethe und Schiller gelernt, der wird auch in diesem Band eines Besseren belehrt. Hat er nicht. Und seine Beziehung zu den musealen Poeten ist eher eine aphoristische, sein Stil sowieso. Das ist bester Lessing, mit dem er hier die Toten und Unsterblichen piesackt. Und auch die Weimarer daran erinnert, dass es dort auch heute noch lebendige Vertreter der Spezies gibt: Thomas Schneider und Jens-Uwe Gรผnther erwรคhnt er gesondert in jenem Gedicht, in dem er die Weimarer Berรผhmten-Galerie erรถffnet.
Hernach fischt er sich (was auch sonst) die echten, vom Leben erzรคhlenden Anekdoten aus dem Liebes- und Eheleben der Herren Goethe und Schiller heraus, Dinge, die man im Gedrรคnge โvor der heiligen Grotteโ eher nicht erzรคhlt bekommt. Die aber Briefsammlungen und Biografien erst mit Leben erfรผllen, die einer wie Reimann gelesen hat. Weil er eines auch damals schon wusste: In den Museen werden nur die staatstreuen Seiten der Angebiederten gezeigt. Die privaten Kolossalitรคten unterbleiben immer. Frauen erscheinen stets nur als schรถnes Beiwerk.
Auch wenn es deutlich auch um die geistige Aufmerksamkeit der Herren Schรถngeister warb, dieses schรถn frisierte Geschlecht. So wie Bettine.
Wer sich zerstreitet mit der Obrigkeit, der wird eliminiert aus dem Erinnerungskult. So wie Bach in Weimar, wo er in Wirklichkeit seine Karriere begann. Aber der Fรผrst steckte ihn ins Gehรคus, weil der Kerl Selbstbewusstsein zeigte. Logisch, dass Reimann auch diese Leipziger Eigenheit bedichtet in Weimar, wo er nichts auslรคsst, nicht mal den Riesenschรคdel des Dichters Fรผrnberg, den heute keiner mehr kennt, der frรผher keine Lieder singen musste.
Man merkt: Wo dieser Reimann hinreist, da vergisst er seinen Schabernack nicht. Und freut sich diebisch, dass der ruhmsรผchtige Bรผrgermeister Schwabe sich beim Schillerschรคdel genauso grรผndlich irrte wie der eingebildete Herr Geheimrat, der doch tatsรคchlich glaubte, er wรผrde โseinen Schillerโ auch am Schรคdel erkennen.
Im Grunde eine Anekdote fรผr die Geschichte: So schlecht kannte er seinen vielgepriesenen Freund, so wenig hat er ihn im lebendigen Zustand angeschaut. Oder vergisst man das, denkt sich nachher wunder was hinein in die Schรคdel der Verstorbenen?
Weimar ist alles: Museum, Gruft, Kulisse. Die Kunstwerke waren schon zu Goethes Zeiten aus Gips. Und die meisten der einst Berรผhmten sind zwar noch berรผhmt โ nur liest sie keiner mehr: Herder, Wieland, Nietzsche.
Ein Wort zu Herder? โ โHier sehen sie herdern, den ewig verehrten, / und brauchen nicht selbst toleranter zu werden!โ
Goethe hat diese Toleranz gefallen. Heute darf man damit keinem deutschen Innenminister mehr kommen โ der ruft gleich die Polizei.
Das ist Reimann in Weimar nicht passiert. Den Cafรฉ-Besuch hat er selig genossen, wie man einen musealen Zustand nur genieรen kann. Und natรผrlich erinnert er die Erinnerungstรผchtigen daran, dass Herr Hitler persรถnlich einst zur Neuerรถffnung des berรผhmten โElefantโ kam und gleich hinter Weimar ein Lager bauen lieร, mit dem schon damals die Eltern ihre Kinder erschrecken konnten.
Selbst Flugenten, Zwiebeln und hรผbsche Gรคrtnerinnen sind dem spazierenden Dichter aus Leipzig nicht egal. Manche Gedichte klingen so, als wรคren sie ein liebevolles Feuilleton, eine freundliche Anmerkung an das stets abwesende Publikum, es mรถge auch auf die kleinen Details und die Randfiguren achten. Die seien wichtig. Genauso wichtig wie die Gipskรถpfe.
Wobei: Ganz unbeeindruckt blieb er nicht. Dass die Anna-Amalia-Bibliothek gerettet wurde, hat ihn schon beeindruckt. Da hat er gleich ein ganzes โAlbum fรผr Anna Amaliaโ geschrieben. Der Herr Geheimrat hat keins bekommen. Denn damit ist Reimann eigentlich schon nach den ersten Versen durch, mit diesen Angehimmelten, die nur mal vorbeigefahren sein mussten, schon klatschte ein Schild โEr war hier!โ an die Wand.
Am Ende, als er die wieder prรคchtige Bibliothek bestaunt, freut er sich schneiderlich, denn: โErstaunt sahn wir danach, was wir gerettet! / Gemeinsam! โ Wir! โ Ja, wir sind noch zu retten.โ
Das vergessen die groรen Geldausgeber gern, dass sie immerfort unser Geld ausgeben. Gรถnnerhaft. Aber es ist unser Fleiรigsein, mit dem die Dinge gerettet werden. Auch die entflammten Bibliotheken. Fehlt nur noch ein kleines Nachwort, in dem Andreas Reimann die Lesenden daran erinnert, warum Dichter trotzdem immer nur Almosen bekommen. Denn der Dichter muss โlicht und schattenโ zeigen. Es ist sein Recht, โnicht nur zu sehen, / was ihm behagt.โ
Das war den Gรถnnern schon immer unangenehm.
Aber da ist Weimar wie Leipzig, ist es gehupft wie gesprungen.
An ihrem Umgang mit den Dichtern sollt ihr sie erkennen.
Andreas Reimann Poeten-Museum. Weimar-Gedichte, quartus-Verlag, Bucha bei Jena 2016, 15,90 Euro.
Kleine Korrektur: Diesen Leserhinweis haben wir beherzigt und aus Weimaranern im Text ordentliche Weimarer gemacht:
โHallo,
kurzer Hinweis zum Artikel โMehr als ein Geburtstagsbuchโ รผber den Gedichtband von Andreas Reimann: Als gebรผrtiger Weimarer weiร ich, dass sich manche Leute dort bei der Bezeichnung โWeimaranerโ ziemlich angefasst fรผhlenโฆ Das ist nรคmlich die Bezeichnung einer Hunderasse โ in Weimar wohnen โWeimarerโ.โ
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