Manche Geschichten gehen weiter, auch wenn es ein bisschen gerumpelt hat im Verlagsleben. Und es hat bei mehreren Leipziger Verlagen heftig gerumpelt in letzter Zeit. Für den fhl Verlag, der sich zuletzt auf Krimis spezialisiert hatte, bedeutete das das Finale. Aber die Krimi-Geschichte geht weiter – nun in der neu gegründeten edition krimi. Denn Mord und Totschlag sind ewige Themen. Mit einem immerhungrigen Publikum.
Und eine ganze Reihe von Autorinnen und Autoren haben sich im Lauf der letzten Jahre hier zusammengefunden, die unbedingt weitermachen wollen. Die meisten längst mit Einzeltiteln vertreten. Aber die diversen Krimi-Reihen, in denen ganz thematisch gemordet wird, scheinen die Beteiligten erst recht anzuregen, sich was wirklich Deftiges einfallen lassen zu dürfen. Und seit „Sachsenmorde 1“ wird auch noch ganz systematisch durch den Freistaat gemordet. Andreas M. Sturm, selbst Autor und Herausgeber des Bandes mit den neuen Sachsenmorden, beteuert im Vorwort extra, dass es im schönen Freistaat ansonsten ja nicht ganz so blutig zugeht. Bis auf die 90 armen Hanseln, die da pro Jahr gewaltsam zu Tode gebracht werden, sei es ja recht sicher im Land.
Aber so ein Band funktioniert nur, wenn die Leserinnen und Leser ihre Welt eben doch wiedererkennen. Denn dass der Krimi in Deutschland seit einigen Jahren so einen Hype erlebt, hat ja nichts damit zu tun, dass die Leute jetzt die Detektive und Kommissare wieder als besonders spannende Helden der Literatur betrachten. Oder dass das Genre im Schlepptau eines besonders erfolgreichen Autors (oder einer Autorin wie der Harry-Potter-Erfinderin) eine neue Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Es steckt wohl hinter dieser neuen Aufmerksamkeit etwas ganz ähnliches, was auch in der Politik spürbarer geworden ist: Die Leser sind misstrauischer geworden. Ihre Welt erscheint immer öfter als eine mit doppeltem Boden. Im Kriminellen spiegelt sich die brüchige Selbstwahrnehmung der Gesellschaft.
Ob dabei die zunehmende Darstellung von Gewalt in den Medien eine Rolle spielt, bleibt dahingestellt. Die meisten medialen Darstellungen über die Gründe von Gewalt sind platt, oft auch falsch. Sie erklären nichts. Aber während eine Menge Leute glauben, das Irrationale sei das Zeichen der Zeit, scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein: Der mediale Triumph des Irrationalen weckt geradezu die Sehnsucht nach Klarheit, nach rationalen Erklärungen. Und bei aller Kritik an der Polizei: Gerade ihre Aufklärungsarbeit steht für das Rationale in unserer Welt.
Morde geschehen nicht, weil es irgendein Verhängnis so will oder finstere Mächte regieren. Morde haben immer ganz rational ermittelbare Motive. Und wirklich nach Klarheit verlangende Menschen können gar nicht genug bekommen von den literarischen Lösungsmustern für eine scheinbar von irrationalen Momenten gejagte Welt.
Und da sich hier 13 Autorinnen und Autoren tummeln, bekommt der Leser auch wieder 13 unterschiedliche Krimi-Stile, wird mal in die Rolle des Täters, mal in die des Ermittlers, mal in die verwirrter Zeugen geschlüpft. Mal ist es der burschikose Ermittlungsstil à la Miss Marple, mal ist es die mathematische Denkweise eines Sherlock Holmes, die zum Ziel führt. Mal wird auch ganz und gar kein Täter geschnappt. Man hat es beinah übersehen, wie auch jener Krimi-Zweig gewachsen ist, in dem einsame Helden die Sache mit der Gerechtigkeit selbst in die Hand nehmen. Denn auch das scheint ein Phänomen der Zeit zu sein: Dass man den staatlichen Behörden nicht mehr zutraut, wirklich aufklären zu wollen und die Bösewichte tatsächlich vor Gericht und in den Knast bringen zu wollen.
Was natürlich eine sehr verzwickte Frage aufs Tapet bringt: Dürfen denn Mitglieder einer so ordentlich sortierten Gesellschaft wie der unseren zur Selbstjustiz greifen? Lauern da nicht völlig andere Abgründe?
Aber so abwegig ist das ja nicht in Sachsen, wie man weiß. Zu manifest ist die Erfahrung, dass ein heruntergespartes Justizwesen ganz und gar nicht mehr vollumfänglich garantiert, dass das Böse bestraft wird und die Gesellschaft von den schlimmsten Unzumutbarkeiten befreit wird. Was deutlich thematisiert wird – etwa beim Thema Kindesmisshandlung.
Im ersten Band der „Sachsenmorde“ fiel noch auf, das manche Geschichten bewusst konstruiert waren, um die Lücke in der Landschaft zu füllen. Doch viele der jetzt versammelten Geschichten bringen stärker die ganz konkreten sächsischen Malaisen ins Bild – die grenzüberschreitende Kriminalität, den Rauschgiftschmuggel, die Armut vieler Helden, die augenscheinlich irgendwann umgeschaltet haben vom nutzlosen Glauben, sie würden für ihre ganze Billigjobberei irgendwann einmal belohnt werden, auf ein Denken, das sie letztlich nehmen lässt, was da kommt.
Auch wenn man weiß, dass alle diese Mordsgeschichten erfunden sind, manche tatsächlich vor allem spezielle literarische Genres würdigen, bleibt nicht aus, dass man die Gesellschaft dahinter in Konturen sieht, in der die Autorinnen und Autoren leben. Und die sichtlich angefüllt ist mit zunehmender Gleichgültigkeit, sichtlich größer werdender Distanz der Bürger zu ihrem Staat und all den letztlich leeren Verheißungen, die für das eigene Leben nichts mehr bedeuten. Solche Helden, die keine Wunder mehr erwarten, tauchten auch schon vorher auf in den Büchern und Geschichten der versammelten Autoren. Auch die Polizisten, die ihre Arbeit mit zunehmender Skepsis tun.
Aber diesmal fällt es schon auf, weil es vom nagenden Zweifel erzählt, dass es in unserer Gesellschaft noch gerecht zugehen könnte. Oder ob Gerechtigkeit tatsächlich für alle gilt – und wir vor vielen Übeln nur einfach die Augen verschließen.
Natürlich wird der Leser durchgeschüttelt, gibt es die kurzen Geschichten, die das Drama wie einen kleinen Thriller erzählen, und solche, die kühn an die Rätselfreude der Leser appellieren. Manchmal heißt es wirklich noch: Wer war der Täter? Aber einige Geschichten lassen das schon ganz beiseite, da interessiert mehr das zugrunde liegende Drama – das manchmal auch schon 150 Jahre zurückliegen kann, 25 oder 14, wie in der Geschichte aus Meißen, die Mandy Kämpf erzählt. Manchmal merkt man auch noch, wie der Autor sich anstrengen musste, den Plot noch hinzubiegen. Das passiert. Gerade wenn man seine Geschichte nach Doylescher Manier aufgebaut hat. Da liest der Leser mit und wundert sich zuweilen, wo auf einmal das neue Puzzle-Stück herkam.
Aber kurze Geschichten gerade im Krimi-Gewerbe sind eine strenge Schule. Das zwingt zu Disziplin. Und es ist nicht leichter als ein Roman, ganz und gar nicht. Erst recht, wenn der Leser dann auch noch zu Hause ist in der geschilderten Landschaft und sich wundert, welche Wege die Helden nehmen. Da hilft auch aller Thrill nichts – die Topographie muss schon stimmen. Denn der Leser ist immer selbst auch Detektiv und will alles ganz genau wissen. Nur zu einem ist er bereit: Am Ende alle Fünfe gerade sein zu lassen, wenn eine Bestrafung des Täters nun wirklich nichts mehr bringt und der Mord Geschichte ist. Probleme machen Morde nur in unserer leider ganz und gar nicht rationalen Gegenwart. Die auch so ist, weil einige Leute mit einem Theater voll Unfug im Kopf herumlaufen und ihr Selbstmitleid auch nach 20 Seiten nicht in den Griff bekommen. Auch diese Typen gibt es. Und wie man so aus den täglichen Nachrichten erfährt, sind die meisten Mörder von diesem Schlag. Typen wie der frauenverachtende Steve alias Steffen, die in Sachsen ziemlich oft die Landschaft verunsichern. Das sind dann die Roald-Dahlschen-Momente, in denen der Leser freudestrahlend erfährt, dass es auch eine schwarze Gerechtigkeit gibt, ganz finster und unglaublich. Mit Grube natürlich, was denn sonst? Ein bisschen britischer Humor muss schon sein, wenn das Wetter schon derart aufs Gemüt schlägt.
Andreas M. Sturm (Hrsg.) Sachsenmorde 2, Edition Krimi, Leipzig 2017, 13 Euro.
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