Nein, ein runder Geburtstag ist nicht der Grund für dieses dicke Buch, das sich nicht nur Freunde der „Vater und Sohn“-Geschichten mit Freude ins Regal stellen werden. Manche werden durch das Buch erstmals erfahren, dass hinter dem Pseudonym e. o. plauen ein Mann namens Erich Ohser steckt. Und dessen Karriere begann – natürlich, wo sonst? – in Leipzig. In einer Zeit, als hier noch Karrieren starteten.

Als Leipzig für viele Künstler und Schriftsteller gefühlt die Nummer 2 war in Deutschland, gleich hinter der pulsierenden Weltstadt Berlin, was Berlin ja zwischen dem 1. Weltkrieg und der Machtübernahme der Nazis tatsächlich war. Hier gärte das intellektuelle Leben der Weimarer Republik. Berlin war modern, experimentierfreudig, libertär.

Umso erstaunlicher war, was damals in Leipzig abging, einer Stadt, die von einem extrem konservativen Bürgertum geprägt war, das aber auch stark von den Kämpfen der Linken zerrissen war. Und mittendrin versuchte ein liberales, weltaufgeschlossenes Bürgertum seinen Platz zu finden. Seine Zeitung war die „Neue Leipziger Zeitung“, wo ein Hans Natonek Feuilletonchef war und auch ein Erich Kästner sich seine frühen Meriten verdiente. Und mit Kästner verflicht sich auch die Biografie des 1903 geborenen Vogtländers Erich Ohser, der 1920 nach Leipzig kam, um hier an der Staatlichen Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe zu studieren. Das Talent hatte er. Nur dass das Mindestalter 18 Jahre war – und der 17-jährige noch ein Jahr warten musste, bis er zum regulären Studenten wurde.

Aber eigentlich war Ohser längst auf dem Weg.

Er illustrierte Bücher – auch aus Leipziger Verlagen. Die Buchgestaltung Ohsers erzählt heute von der Revolution der Buchästhetik, die damals vor sich ging. Auch das vergisst man ja so leicht: Dass der aufkommende Nationalsozialismus vor allem eine Bewegung gegen die Moderne war, gegen Weltoffenheit und die Freiheit des Geistes. Darin war er von Anfang an Verbündeter des stockkonservativen Bürgertums, das sich 1927 zu Wort meldete in einer Kampagne der konservativen „Leipziger Neuesten Nachrichten“.

Da ging es gegen ein Gedicht von Erich Kästner, das „Abendlied des Kammervirtuosen“, in dem die Geliebte des Virtuosen zu seiner „neunten letzten Sinfonie“ wird – Musik und Erotik. Eigentlich ein Grundtopos der Kunst der Weimarer Republik. Aber für die strengen Sittenwächter der Leipziger Hohen Musik ging das gar nicht. Immerhin war Beethoven-Jahr. Die LNN redete gar von Tempelschändung. Und das Verblüffende ist: Die „Neue Leipziger Zeitung“ knickte ein, entließ ihren Redakteur Erich Kästner und schickte auch Erich Ohser in die Wüste, der das Gedicht mit einer entsprechend erotischen Zeichnung versehen hatte.

So wurde Leipzig beide los. Beide gingen nach Berlin.

Wwo Kästner dann zum berühmten Buchautor wurde. Seine ersten Gedichtbände hat Erich Ohser illustriert, der sich in dieser Zeit auch einen Namen machte als Karikaturist, der gerade die Nazis mit bissigem Federstrich aufs Korn nahm. Was sie ihm nie vergaßen. Die Rechthaber von rechts vergessen nie etwas. Sie sind rachsüchtig bis ins Mark. Und das bedeutete auch für Ohser praktisch Berufsverbot. Bis 1934. Bis die „Berliner Illustrierte“ einen Zeichner für eine Serie suchte. Und eigentlich keinen fand, der das Zeug für das Gewünschte hatte – außer Erich Ohser. Dem dann gnädigerweise erlaubt wurde, unter Pseudonym zu zeichnen. Das Pseudonym verbindet sich heute nicht nur mit seinen „Vater und Sohn“-Zeichnungen, sondern mit seinem ganzen Werk: e. o. plauen.

Ein halbes Pseudonym – verbindet es doch seine Initialen mit seiner Geburtsstadt, der er – auch aus der Ferne – immer treu blieb. Was die Plauener zu schätzen wissen. Seit 1993 gibt es dort die e. o. plauen Galerie, seit 2010 sogar ein richtiges Erich-Ohser-Haus. Man pflegt die Erinnerung und das Werk des berühmten Zeichners. Und deswegen hat auch dieses großformatige Buch seine Wurzeln dort in Plauen. Die Texte, die den Leser ins Leben und Werk von Erich Ohser einführen, stammen alle von Dr. Elke Schulze, Stiftungsvorstand der 2012 gegründeten Erich Ohser Stiftung.

Erinnerungen an Erich Ohser gibt es schon einige – etwa von seinem Freund Erich Kästner. Aber bislang gab es noch keine solche große, reich illustrierte Monografie, die dem Leser nicht nur das kantenreiche Leben des Künstlers nahebringt, sondern auch die Vielfalt seines Werkes sichtbar macht. Denn oft genug verschwindet Erich Ohser hinter den berühmten „Vater und Sohn“-Geschichten. Die er ja eigentlich aus schierer Not zeichnete – anders wäre ihm ein Broterwerb im NS-Reich gar nicht mehr möglich gewesen. Die Geschichten hatten aber auch deshalb Erfolg und fanden auch in Buchform ein großes Publikum, weil sie den Mann und seinen Charakter nur allzu deutlich zeigen.

Nicht nur im markanten Strich, sondern gerade in der Lebensfreude und Großherzigkeit dieser kleinen Szenen. Ein Stück weit spiegelt sich in den zwischen 1934 und 1937 erschienenen Geschichten natürlich auch Ohsers väterliche Liebe zu seinem Sohn Christian. Aber nicht nur. Erfolg hatten diese Zeichnungen auch deshalb, weil sie so gar nichts mit der NS-Ideologie und der Gleichschaltung bis hin in den Kinder- und Jugendbereich zu tun hatten. Hier lebte ein völlig anderes Erziehungsideal – und auch Ohsers Sehnsucht nach einer friedlichen Welt ist unübersehbar.

Was nicht bedeutet, dass er mit dem Erfolg dieser Bilder glücklich wurde.

Deswegen sind die Einleitungstexte von Elke Schulze zu jedem einzelnen Kapitel so wichtig. Sie zeigen einen Künstler, der das 1933 installierte Reich und die Einschränkung seiner Arbeitsmöglichkeiten immer als Bedrückung erlebte. Der sich an all dem gehindert sah, was er eigentlich schaffen wollte. Und der sichtlich seine emotionalen Probleme hatte damit, sich derart verbiegen zu müssen, um überhaupt noch arbeiten zu dürfen.

1937 lief die Serie aus. Wohl auch, weil Ohser sich ausgebrannt fühlte. Aber damit war sein Dilemma nicht beendet. 1940 war er wohl wieder auf ein regelmäßiges Einkommen angewiesen und ließ sich zur Mitarbeit an der von Goebbels gegründeten Wochenzeitung „Das Reich“ überreden, die so etwas wie ein Feigenblatt für die NS-Presse war: Hier durften zahlreiche Autoren schreiben, deren Name einen Klang hat und deren liberale Einstellung bekannt waren, die anderswo aber schon lange nichts mehr veröffentlichen durften. Die Nazi-Führung war vom Erfolg dieser Publikation, die bald die 1-Million-Auflage erreichte, wohl selbst überrascht.

Dass Ohser mit seinen politischen Karikaturen für diese NS-Postille dann erst recht gegen seinen eigenen Charakter anarbeitete, ist eigentlich unübersehbar. Dass er über seine Auftraggeber völlig anders dachte, war dann spätestens 1944 klar, als er und sein Freund Erich Knauf denunziert wurden und auch sofort verhaftet und im Schnellverfahren vor Freislers Gerichtsstuhl gebracht wurden. Während Knauf zum Tode verurteilt wurde, beging Ohser Selbstmord.

Ein Großteil seiner Arbeiten ging bei der Bombardierung Berlins verloren.

Aber vergessen ist er nicht. Das Buch zeigt überdeutlich, wie zerstörerisch eine Diktatur in das Leben eines begabten Künstlers eingreift – und wie sie es verbiegt und erwürgt. Im Grunde lernt man beim Blättern durch dieses Buch eine Menge über eine Diktatur, die nur funktioniert, wenn sie Menschen mit Charakter immerfort erniedrigt, zum Kotau zwingt und zu Handlungen, die völlig ihren Einstellungen widersprechen. Und das betrifft eben nicht nur die zermahlenen Künstler, sondern den Charakter eines ganzen Landes. Denn wenn Ehrlichkeit und Anständigkeit keine moralischen Maßstäbe mehr sind, dann beginnen Lüge, Vertuschung, genau jene zwiespältige Nicht-Wahrnehmung, die die beiden deutschen Nachkriegsstaaten so verdruckst, scheinheilig und – was den Nazismus betrifft – so auf Verdrängung bedacht sein ließen.

Was eigentlich bis heute gilt. Noch immer dominieren allerlei Hitler-Schwarten und Hitler-Dokus den Markt und die (nicht immer) Aufarbeitung, dominiert damit auch die Bildsprache der NS-Propaganda. Geschichten wie die von Erich Ohser scheinen nicht mal Teil dieser deutschen Geschichte zu sein. Als hätte es in dieser Nazi-Zeit wirklich nur das eine, Hitlers Deutschland gegeben. Das auch heute noch den Markt der Geschichtsmythen beherrscht, während das friedliche, tatsächlich auch emotional leidende Deutschland einfach ignoriert wird. Obwohl da noch jener Rest Menschlichkeit zu Hause war, aus dem nach 1945 überhaupt noch so eine Art neues Deutschland gemacht werden konnte.

Mehr als ein “Vater und Sohn”-Zeichner

Wozu auch die „Vater und Sohn“-Geschichten gehörten, die zuerst bei Ullstein erschienen waren und nun zum Südverlag wanderten und immer neue Auflagen erlebten. In diesen beiden Figuren fanden sich Viele wieder, auch wenn sie vielleicht nicht sagen konnten, warum ihnen die kleinen Szenen so vertraut waren.

Diese stattliche Werkausgabe aber zeigt eben nicht nur den „Vater und Sohn“-Zeichner, sondern auch den begabten Buchillustrator, den Karikaturisten vor und nach 1933, den Landschafts- und Porträtzeichner. Wer bislang nur die „Vater und Sohn“-Streifen kennt, lernt hier den ganzen, hochbegabten Künstler kennen und den Hintergrund seines Könnens. Jeder Schaffensbereich hat ein eigenes Kapitel mit profunder Einleitung. Und zu jedem gibt es viele schöne Seiten mit großformatigen Abbildungen, die einen Künstler zeigen, der wusste, wie man mit wenigen Strichen eine ganze Geschichte in Szene setzt.

Erich Ohser hat zwar keinen runden Geburtstag – aber das Buch war fällig. Und Kenner stellen es neben die Bücher von Erich Kästner, Hans Natonek und Hans Reimann, die er alle kannte und mit denen er zusammenarbeitete. Hier wird eine ganze literarisch-künstlerische Linie sichtbar, die in der Weimarer Republik begann und dann 1933 von den braunen Kulturbanausen radikal abgeschnitten wurde.

Und wem das dicke Buch noch nicht genug Erich Ohser oder e. o. plauen bietet, für den ist es ganz bestimmt eine Einladung, einmal nach Plauen zu fahren und das Erich-Ohser-Haus zu besuchen.

Elke Schulze Erich Ohser alias e.o.plauen – Die Werkausgabe, Südverlag, Konstanz 2017, 49,90 Euro.

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