Bücher zu den Problemen der Wegwerf- und Wachstumsgesellschaften haben wir an dieser Stelle schon mehrere besprochen. Selbst den meisten Ökonomen ist nicht bewusst, dass unser Wachstumsdenken vor allem eines verursacht: Berge von Müll. Und zwar nicht irgendwelchen Müll, sondern hochgiftigen, unverweslichen, nicht recyclebaren Müll. Wir müssen uns ändern. Wir dürfen es sogar. Ein richtiges Buch für alle, die raus wollen aus der Mühle.
Denn auf den ersten Blick sieht es ja reineweg unmöglich aus. Unser ganzes Wirtschaften und Konsumieren ist auf eine immer schnellere Durchlaufrate bei Produktion und Verkauf ausgerichtet. Wachstum definiert sich über Masse. Unsere Wohnungen füllen sich mit lauter Krimskrams, den keiner braucht. Selbst die Lebensdauer von Luxusprodukten verkürzt sich immer mehr. Und jeder Einkauf im Supermarkt endet in einem riesigen Berg aus Verpackungsmüll.
Wer sich erst einmal allein mit den eigenen Müllbergen daheim beschäftigt, der bekommt das große Grübeln: Was wird mit dem ganzen Zeug? Und was gehört eigentlich alles dazu? Der private Müll, den die Leipziger Stadtreinigung abholt, ist es allein nicht. Aber auch das sind 185 Kilogramm pro Nase im Jahr. Tatsächlich aber fallen auf alle Bundesbürger gerechnet über 600 Kilogramm Müll an. Vieles davon schon in den Produktionsbetrieben, im Transport, im Handel. Und da sind die Schädigungen der Natur noch gar nicht eingerechnet – die Verseuchung von Feldern und Flüssen, die Rückstände im Grundwasser, die Verunreinigung der Luft.
Wir wissen es eigentlich, welche Folgen unser bequemes Leben für die Welt hat. Aber: Können wir es ändern? Verlieren wir nicht enorm an Lebensqualität, wenn wir anfangen zu – verzichten?
Fragen, die sich schon Greta Taubert gestellt hat in ihrer großen Erkundungstour „Apokalypse jetzt!“
Denn längst gibt es überall Gruppen und Netzwerke, die ein Leben jenseits des wilden Konsums probieren, sich unabhängig machen von den Fertigwaren der Supermärkte und den vergänglichen Angeboten der Technik. Nicht nur, weil sie darum wissen, welch eine zerstörerische Last der Konsum in der heutigen Form ist. Tatsächlich haben wir eine Menge Lebensqualität eingebüßt, als wir uns zu Sklaven des Konsums gemacht haben. Das Ergebnis ist mehrfach schockierend, denn dadurch hat sich nicht nur unser Leben massiv verteuert – wir haben auch Wichtiges verloren: Zeit. Zeit und Aufmerksamkeit für uns selbst, unsere Familien und Freunde. Und Wissen um die Welt, die uns umgibt.
Ein Thema, das an dieser Stelle schon in Dutzenden Büchern auch aus dem Buchverlag für die Frau aufgegriffen wurde. Denn auch aus dieser Richtung sind kluge, wissbegierige Frauen und Männer längst wieder dabei, alte Tugenden neu zu entdecken – beim Kräutersammeln, Selberbacken, dem Selberfertigen von lauter Dingen, die Hausfrauen früher tatsächlich noch selbst gemacht haben. Vom Weben über das Wollespinnen bis hin zum Konservieren von Nahrungsmitteln.
Und das gar nicht Überraschende ist: Das fließt alles zusammen, wenn jemand wie Olga Witt sich mit der Frage beschäftigt, wie man sein Leben gänzlich ohne Müll gestalten kann. Sie ist eigentlich Architektin, hat aber irgendwann aus ihrer Neugier eine neue Existenz gemacht – einen verpackungsfreien Laden in Köln.
Davon, dass das Buch über 300 Seiten dick ist, muss man sich nicht erschrecken lassen. Denn die Fülle kommt ja erst dadurch zustande, dass Olga Witt wirklich versucht alle Lebensbereiche zu beschreiben, die wir umkrempeln können, um einmal ohne Müll zu leben. „Zero Waste“ ist das Idealziel. Und es gehört sehr viel Hartnäckigkeit dazu, um auch nur in die Nähe zu kommen.
Aber dazu ist niemand gezwungen. Nur wenige Menschen werden das Thema so energisch und kompromisslos anpacken wie die junge Kölnerin, die durchaus auch anmerkt, dass so eine Grundsatzentscheidung auch für Partnerschaften zur Nagelprobe werden kann. Wirkliche Ermutigung bekommt man erst, wenn auch der Partner mitzieht und sich in der eigenen Umgebung entsprechende Netzwerke entwickeln. Letzteres ist nicht mehr das Problem. Auch in Leipzig kann man schon unterschiedlichste Gruppen finden, die daran arbeiten, ihr eigenes Leben zu ändern.
Denn das große Ganze auf einmal zu ändern, das wird nicht klappen. Dazu sind die Widerstände zu groß, haben sich zu viele Menschen mit dem bequemen Konsum eingerichtet, geraten auch zu viele Politiker in Panik, weil sie sich eine Welt ohne ständiges Konsum-Wachstum nicht vorstellen können.
Aber die Welt verändert sich auch, wenn immer mehr Menschen ihr eigenes Verhalten verändern und bewusst anders handeln. Die großen Veränderungen beginnen alle im Kleinen. Und es gehört auch zur Wahrheit, dass die Verminderung unserer ganz persönlichen 185 Kilogramm auch bedeutet, dass auch anderswo wieder weniger Müll anfällt. Müll, der in der Regel nicht wieder verwendet werden kann, weil er nicht sauber getrennt werden kann oder hochgiftig ist. Selbst das, was wir brav in gelbe, blaue und Kleidertonnen stecken, landet zum großen Teil in der Verbrennungsanlage.
Wer sich wirklich mit dem Entstehungsprozess all unserer täglichen Produkte und mit ihrem weiteren Weg beschäftigt, dem kann angst und bange werden, wie systematisch unser Konsum die Welt zerstört und die Ressourcen plündert.
Auch deshalb ist das Buch ein bisschen dicker: Olga Witt hat sich mit diesen Dingen ausgiebig beschäftigt. Bis hin zu Anfragen bei Abfallunternehmen und Herstellern, die dann nicht mehr beantwortet wurden, weil sie ans Eingemachte gingen, das, worüber niemand gerne öffentlich reden will, weil damit alle Kritik der verschiedenen Umweltverbände bestätigt werden würde.
Es bleibt nur ein Fazit: Wer die Welt verändern will, der verändert seinen Alltag. Und dazu genügen schon wenige bewusste Entscheidungen. Und jede einzelne hat für sich: Sie bereichert uns. Was schon beim Einkauf beginnt. Denn den Meisten ist gar nicht bewusst, dass sie mit jedem Weg in den Supermarkt nicht nur riesige Mengen an Verpackungsmaterial mitschleppen, die dann teuer entsorgt werden müssen, sondern zumeist auch (Fertig-)Produkte erwerben, die vollgestopft sind mit Zutaten, die nicht gesund sind. Auf die wir aber durch jahrelange Berieselung durch Werbung geeicht sind. Oder besser: konditioniert. Nur wer gelernt hat, die Zutatenliste zu lesen, bekommt eine Ahnung davon, was für ungesunde Nahrung wir da nach Hause schleppen.
Obwohl wir für dasselbe Geld im Bioladen oder auf dem Frischemarkt tatsächlich gesunde Produkte bekommen könnten. Halt nur noch nicht „fertig“. Wir müssen sie selbst erst in wohlschmeckende Gerichte verwandeln. Aber der Boom bei Koch- und Backbüchern zeigt: die Nachfrage ist da. Immer mehr Menschen wird bewusst, dass sie das Thema gesunde Ernährung ganz allein in der Hand haben – und dabei nicht nur wieder ein ausgefülltes Familienleben gewinnen, sondern wieder einen reichen Speiseplan, den sie selbst variieren können.
Dass man bei solchen Einkäufen sofort auch weniger Müll bekommt, ist fast schon ein Nebeneffekt. Und so geht es weiter bei allen Dingen, die wir uns sonst gestresst in riesigen Mengen im Laden holen und dabei immer unzufriedener werden, weil der Konsumrausch wie jede andere Sucht immer schneller seine Wirkung verliert. Und dann stehen wir da, fühlen uns getrieben, noch mehr zu kaufen – und werden immer unglücklicher.
Auch weil wir zu den Dingen keine echte Beziehung mehr haben. Die gewinnt man einfach nicht bei Kleidung, die schon nach einer Saison kaputtgeht und weggeschmissen wird. Die gewinnt man aber bei allen Stücken, die man selber gemacht hat. Deswegen gehen auch Bücher über das Selbermachen weg wie warme Semmeln: Es wird wieder gefilzt, gehäkelt, gewebt, genäht. Mutige beginnen auch wieder, Geräte zu reparieren. Neue Elektronik wird auf ihre Reparierfähigkeit betrachtet. Auch damit beschäftigen sich schon ganze Netzwerke.
Andere beschäftigen sich mit Tausch und Teilen. Nicht jedes teure Gerät müssen sich alle Haushalte selbst anschaffen. Und was man nicht mehr braucht, ohne dass es kaputt ist, wandert in Second-Hand-Läden oder auf Tausch- und Trödelmärkte. Alles schon da. Und alles berührt logischerweise den Weg von Olga Witt hin zu einem fast vorbildlichen Null-Müll-Haushalt. Natürlich gibt es auch jede Menge Tipps, wo man sich informieren kann. Die entsprechenden Netzwerke sind ja alle im Internet aktiv und informieren – mal über die Hintergründe unserer (Müll-)Produktion, mal zu den Alternativen, die man als Konsument finden kann. Das beginnt schon bei der Mobilität, geht weiter übers Stadtgärtnern und das Thema „Essbare Stadt“ und reicht bis zur Aufmerksamkeit auf Qualität und Haltbarkeit von Produkten, auf die wir beim Einkauf schon achten können.
Es ist eine aufregende Welt, die es da zu entdecken gibt. Eine Welt, die noch für unsere Großeltern normal war. Die eben keine Zeit mit Fernseher und Smartphone totzuschlagen hatten. Die freilich auch noch nicht ahnten, was für eine Lebensqualität es bedeutete, die Dinge noch selbst zu tun. Wer die Dinge wieder selbst tut, weiß, wie aufregend das ist – und wie ausfüllend. Und vor allem: Was für ein handfester Ausgleich es ist zu unseren täglichen Bildschirmjobs. Wer auch nur die ersten Schritte geht, der merkt schnell, dass ihm regelrecht eine Tonne Ballast von der Schulter fällt. Denn auf einmal ändern sich alle Sichtweisen auf unsere Umgebung. Wir denken nicht mehr daran, was wir noch alles haben und kaufen müssen. Die Küche wird nicht mehr zum Sammelplatz für ungesunde Fertiggerichte und sinnlose Müllberge, sondern wird wieder zum Ort kluger Vorratswirtschaft. Denn wenn man auf die geldfressenden Miniverpackungen verzichtet, werden Zutaten in Großpackungen wieder interessant, möglichst lose eingekauft, wo das möglich ist, damit wir nicht auch noch giftige Verpackungen mit nach Hause schleppen. Selbst Umweltbehörden sind ja mittlerweile alarmiert über die Giftmengen, die über die bunten Verpackungen in unsere Nahrung kommen.
Weg damit. Genauso wie mit Einweggeschirr und allen anderen Einwegprodukten. Wer langlebige Güter kauft, zahlt nur einmal – und spart im Lauf der Zeit jede Menge Geld. Die Hatz nach immer mehr Geld hört dann irgendwann auch auf. Und dann kündigt man auch den Job, in dem man nur noch das Gefühl hat, wie eine Ratte im Laufrad zu rennen, sucht sich lieber eine Tätigkeit, mit der man im Einklang ist. So wie es Olga Witt getan hat, als sie den „Tante Olga“-Laden mitgründete.
Ein anderes Leben ist längst möglich. Aber die einzelnen kleinen Schritte da hin, die müssen wir alle selbst gehen. Und viele kennen schon einige dieser Schritte. Die meisten sind voller Leben und neuer Erfahrungen. Und sie bereichern uns, weil sie uns auch den Weg zeigen aus der blinden Hatz, in der sich alle befinden, weil sie glauben, nicht mehr mithalten zu können, wenn sie nicht immer mehr konsumieren.
Gesünder ist es übrigens auch. Und etliche Rezepte, wie man im eigenen Haushalt diverse müllverursachende Produkte ersetzen kann, finden sich auch in diesem Buch, das gerade zu den kleinen Schritten ermutigt und zeigt, dass man sehr weit kommt, wenn man einfach nur mal anfängt. Ob es dann irgendwann ein Null-Müll-Haushalt ist, den man bekommt, das liegt an einem selbst. Selbst wenn man das eigene Müllaufkommen (auch jenes, das man nicht sieht, weil es anderswo anfällt) halbiert, drittelt oder viertelt, schafft man für sich selbst eine riesige Menge neuer Lebensqualität. Und anderswo entlastet man die Welt und bestärkt eine Bewegung, die längst auf dem Weg in eine Zukunft ist, in der der heutige Wegschmeiß-Wahn als das betrachtet wird, was er ist: eine krankhafte Zerstörung unserer Welt.
Das Buch zeigt, wie man da rauskommt.
Olga Witt Ein Leben ohne Müll, Tectum Verlag, Marburg 2017, 18,95 Euro.
In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer
https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/03/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
Es gibt 2 Kommentare
Müllvermeidung steht bei mir grad eh ganz oben auf der Liste, das hört sich doch nach ein paar guten Anregungen an. Das Buch setz ich dann mal mit auf die Liste.
Danke, für die sehr gut gelungene Rezession für ein nachhaltiges und, so denke ich, richtig interessantes Themengebiet.