Die meisten Sachsen werden erst mal ins Grübeln kommen: Johann Georg III. von Sachsen? Wer war das eigentlich? Muss man den kennen? Zu den Oftgenannten aus der Riege der Wettiner gehört er nicht. Obwohl: Eigentlich sollte man ihn und seine Braut, die dänische Prinzessin Anna Sophie, kennen. Sie waren die Eltern von August dem Starken.

Als der 18-jährige Johann Georg 1665 nach Kopenhagen aufbrach, um sich mit der Tochter des dänischen Königs Friedrich II. zu verloben, war er natürlich noch lange nicht Fürst im Land. In Sachsen regierte sein Vater Johann Georg II. Nicht nur Sachsen erholte sich noch mühsam von den Verwüstungen des 30-jährigen Krieges. Auch Dänemark hatte eine Reihe verheerender Kriege hinter sich. Es war also eine durchaus spannende Zeit, in der der junge Adlige mit relativ überschaubarem Gefolge Richtung Norden aufbrach, um sich aus dem verbündeten dänischen Königshaus eine Prinzessin zu holen.

Nur so am Rande: Wer sich heutzutage immer noch wundert, warum wir in einer Welt von Machos leben, lese einfach den Wikipedia-Beitrag zu Johann Georg III., wie Johann Georg ab seiner Thronübernahme 1680 hieß. Anna Sophie taucht erst ganz unten auf, als beiläufiges Anhängsel: „Verheiratet war er seit dem 9. Oktober 1666 mit Anna Sophie, der Tochter des dänischen Königs Friedrich III. Mit dieser hatte er zwei Söhne.“

Ich weiß nicht, ob das die Autoren, die bei Wikipedia schreiben, überhaupt begreifen, was für eine verstaubte mittelalterliche Welthaltung sie mit so einer Art, Geschichte zu schreiben, an den Tag legen. Man tut modern – und legt ein Weltbild an den Tag, das so engstirnig ist, dass man schreien möchte. Wann wachen diese Stubenhocker eigentlich endlich auf und begreifen, dass auch Fürstinnen nicht einfach nur Gebärmaschinen waren?

Schon gar nicht Anna Sophie, über die sich die Wikipedia-Autoren dann ganze fünf Zeilen abringen. Das ist peinlich.

Aber es erzählt genau davon, was einen auch an heutiger Geschichtsschreibung so verzweifeln lässt: diese bornierte Fokussierung eingebildeter Männer auf eingebildete Männer der Weltgeschichte.

Frauen kommen immer nur als Beiwerk vor.

Nur so als Anmerkung – und der Jenaer Historiker Andreas Schulz, der dieses Buch herausgegeben hat, geht im wichtigen einführenden Teil auch auf diesen Aspekt der Geschichte ein: Anna Sophie ist eine zentrale Gestalt für die rund zwei Jahrhunderte währenden sächsisch-dänischen Beziehungen, die vor allem politische Beziehungen zwischen zwei protestantischen Königshäusern waren. Besonders beliebt war – 100 Jahre vor Anna Sophie – die ebenfalls aus dem dänischen Königshaus stammende Landesmutter Anna von Sachsen, über deren hauswirtschaftliche Arbeit und ihre Kochkunst Regina Röhner ein Buch veröffentlicht hat.

Wie wichtig Anna Sophie für die Regierungszeit Johann Georg III. war, kann auch Andreas Schulz nur andeuten. Da muss sich wahrscheinlich wirklich einmal jemand in die Archive knien und diese Biografie endlich aufarbeiten. Denn ihr kühner Johann Georg war ziemlich oft einfach nicht da. Er war der Draufgänger unter den sächsischen Herrschern, beteiligte sich lieber an den großen Kriegen der Zeit –was ihm Ruhm einbrachte. Denn dass die Türken vor Wien geschlagen wurden, daran hatte Johann Georg mit seinen sächsischen Truppen erheblichen Anteil. Er war der Soldatenfürst unter den sächsischen Fürsten, stellte – weil er auf Augenhöhe mit den Habsburgern und Brandenburgern sein und in der europäischen Politik mitmischen wollte – das erste stehende Heer in Sachsen auf. Er legte damit die Basis dafür, dass sein Sohnemann Friedrich August überhaupt mitpokern konnte, als es um die polnische Königskrone ging.

Nur dass der starke August das Geld doch lieber wieder für Prunk ausgab und nicht für Soldaten. Was ihm dann seine legendären Niederlagen gegen die Schweden eintrug.

Schulz deutet nur an, dass Anna Sophie der Einfluss auf die sächsische Politik nach dem frühen Tod ihres Mannes 1794 entglitt. Aber entgleiten kann einem nur, was man hatte. Und unübersehbar ist es an der Zeit, dass sich die sächsischen Historiker endlich einmal auch mit der weiblichen Seite der sächsischen Geschichte beschäftigen. Da gibt es etwas nachzuholen. Denn auch Leute wie Christian Schütze haben leider nicht hingeguckt. Obwohl der Fund seiner Aufzeichnungen über die Reise von 1665 eine kleine Sensation war, denn bei Lebzeiten hat er seine Reisebeschreibung nie veröffentlicht. Die Handschrift wurde erst kürzlich im Raum Weißenfels gefunden, wo Schütze nach der Reise wirkte.

Seine Reisebeobachtungen hat er wohl noch in zeitlicher Nähe niedergeschrieben. Andreas Schulz hat sie transkribiert und in eine lesbare Fassung gebracht. Und er hat sie mit vielen Anmerkungen versehen – insbesondere zu all den Personen, die Schütze erwähnt. Da war Schütze ganz Gelehrter seiner Zeit: Ihm war es wichtig, all die berühmten Stadthalter, Feldherren, Professoren, Pfarrer und Bürgermeister zu erwähnen, denen er auf dieser auch fürs 17. Jahrhundert ungewöhnlichen Reise begegnete. Denn die meisten Deutschen kamen auch damals über den engsten Umkreis ihres Geburtsortes nie hinaus. Reisen waren strapaziös, dauerten selbst bis ins nahe Dänemark Wochen. Man war zu Pferd und zu Kutsche unterwegs. Selbst für das überschaubare Aufgebot des sächsischen Prinzen musste durch vorausreitende Quartiermeister jeder einzelne Wegabschnitt mit Übernachtung und Bewirtung organisiert werden. Für Christian Schütze war es wahrscheinlich die Reise seines Lebens und er zeigt sich richtig stolz, dass er unterwegs etlichen Amtsträgern begegnete, die wie er an der berühmten Universität Leipzig oder in Wittenberg studiert hatten. Er wirft zwar mit den Namen um sich – aber dass er es hier mit einigen Berühmtheiten zu tun hat, die zum Teil auch in der dänischen Geschichte eine eminente Rolle spielten, das muss Andreas Schulz noch hinzufügen.

Denn Fakt ist auch: Die dänische Geschichte ist uns heute fast gar nicht bekannt. Was auch an der Verschiebung der Wahrnehmung liegt. Denn heute nimmt man aus großmäulig deutscher Perspektive kaum noch wahr, welche wichtige Rolle Länder wie Dänemark, Schweden oder die Niederlande im 17. Jahrhundert innerhalb der europäischen Geschichte spielten. Für Schütze muss das selbstverständlich gewesen sein, deswegen erzählt er da und dort bestenfalls ein paar Anekdoten, wie er sie unterwegs erfuhr – die Schulz dann in langen Anmerkungen wieder korrigieren muss, weil auch die Geschichtserzählung des 17. Jahrhunderts noch eher etwas mit Fabelwesen und schönen Legenden zu tun hatte, als mit den tatsächlichen Ereignissen.

Was Schütze besonders anschaulich beschreibt, sind natürlich die strapaziösen Bedingungen so einer Reise. Selbst die Fahrt über die Ostsee hinüber auf die dänischen Inseln war noch ein Wagnis. Etliche der besuchten Städte beschreibt er – wenn auch sehr summarisch. Was schade ist, denn fast überall waren die Schäden durch die nur wenige Jahre zurückliegenden Kriege zu sehen. Was er aber gar nicht beschreibt, ist das, weswegen sie eigentlich unterwegs waren: die Verlobungsfahrt Johann Georgs. Der taucht dann immer nur als Serinissimus in den Aufzeichnungen auf und Schütze tut einfach nicht, was man sich wünscht: beschreibt den Mann nicht, nicht sein Auftreten, sein Reden, seine Audienzen am Königshof. Was machte so ein reisender Prinz eigentlich auf so einer Reise? Wie kleidete er sich? Mit wem traf er sich? Oder ging er die ganze Zeit mit der Verlobten in den herbstlich unwirtlichen Grünanlagen Kopenhagens spazieren? Oder war ihm nur der offizielle Blick erlaubt und musste er ansonsten mit den Amtsträgern des dänischen Königs Vorlieb nehmen und die Verlobungsbedingungen aushandeln?

Man bekommt mit dieser Reisebeschreibung auf jeden Fall ein gerade für das 17. Jahrhundert seltenes Stück Reiseliteratur in die Hand, das Andreas Schulz durch seine vielen Hintergrundinformationen auch historisch greifbar macht für den Leser. Das Persönliche aber, das man als Leser der Moderne sucht, ist nicht zu finden. Was aber auch wieder Vieles darüber erzählt, wie sehr sich unser Blick auf Persönlichkeiten geändert hat. Wir suchen nicht mehr den glorifizierten (und meist sehr schablonenhaften) Helden in der Geschichte, sondern den Menschen mit seinen Ansichten, Vorlieben, Gewohnheiten, seinen ganz persönlichen Besonderheiten. Dem Magister Schütze wäre das wahrscheinlich viel zu intim gewesen, das hätte er sich nicht angemaßt. Das wird deutlich, wenn man liest, wie oft er Personen, die er als im Rang über sich stehend begreift, schlicht als „hochwohllöblich“ beschreibt. Was ja keine Beschreibung ist.

Die Daten zum Leben des Christian Schütze sind noch viel spärlicher als zu den Berühmtheiten, die er benennt. Auch da musste Andreas Schulz das wenige Verstreute aus alten Akten zusammensuchen. Für den Leser wird es trotzdem eine Reise in ein Land, das sonst in hiesiger Geschichtsschreibung nie auftaucht. Für Shakespeare war dieses Dänemark zwar legendenumwoben, aber nicht unwichtig. Der wusste noch sehr genau, warum ein dänischer Prinz im sächsischen Wittenberg studierte. Für Geschichtsinteressierte, die bislang den Eindruck hatten, sächsische Geschichte hätte erst mit Johann Georgs Sohn Friedrich August (und der Cosel) begonnen, die finden hier zumindest einen kleinen Ausflug ins Leben des kriegerischen Johann Georg III., der Sachsen für einen kurzen Moment prägte, als es mit den politischen Akteuren in Europa auf Augenhöhe war.

Nur: Das Buch über Johann Georg III. ist bislang noch genauso wenig geschrieben wie das über Anna Sophie von Sachsen. Während es über Johann Georgs zweiten Sohn ganze Gebirge von Büchern gibt, von denen die meisten vor lauter Honig triefen.

Dann doch lieber so eine stürmische Reise über elende Landstraßen, bei der am Ende alle froh sind, wenn sie am Tag zehn volle Meilen geschafft und ein Dach überm Kopf gefunden haben. Und auch noch gute Verpflegung fanden. Reisen kann so aufregend sein.

Andreas Schulz (Hrsg.) Die Reise des Kurprinzen Johann Georg von Sachsen nach Dänemark, Sax Verlag, Markkleeberg 2016, 16,80 Euro.

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