Den Bildband zu den rebellischen 1980er Jahren in West-Berlin hat der Lehmstedt Verlag gleichzeitig mit diesem neuen Bildband des Ostberliner Fotografen Harald Hauswald vorgestellt. Natürlich ergänzen sich die beiden Bände, denn beide fotografierten zur selben Zeit. Der eine im Westen, der andere im Osten. Hauswald sogar in Farbe, was für den grauen Osten schon außergewöhnlich genug war.

Harald Hauswald, der aufgrund seiner Fotoarbeiten für das in Hamburg erscheinende Magazin GEO mit den so wertvollen Kodak-Filmen ausgerüstet wurde, konnte dem Westen ein Ostberlin zeigen, das westliche Fotografen so nicht sehen konnten. Denn für wirklich authentische Fotografie muss man heimisch sein in der fotografierten Landschaft, da braucht es – wenn schon nicht eine intime – dann doch eine vertraute Nähe. Dann muss man regelrecht Gesichter lesen und Situationen entziffern können. Was Hauswald ganz ähnlich genial beherrschte wie Bernd Heyden und Gerd Danigel, mit denen Herausgeber Mathias Bertram ihn vergleicht. Von beiden liegen natürlich ebenfalls Fotobände bei Lehmstedt vor, Bilderwelten, die ebenfalls dieses markante „Good bye“ verdient hätten, denn während sich Westberlin in Rebellion und subventioniertem Übermut eingeigelt hatte, war auch Ostberlin auf seine Weise eine eingemauerte Stadt. Aber eine in Betrübnis. Eine, die nicht mehr an ihre Zukunft glaubte.

Die Menschen hatten sich eingehaust in ihrem Alltag. Da hilft nicht mal der Farbfilm aus dem Westen: Gerade die Stadtlandschaften bleiben grau. Die Passanten tragen Pastelltöne, als wollten sie mit dem Hintergrund verschmelzen. Was nicht heißt, dass es nicht ähnliche Formen des Aufbegehrens gab. Wer die ersten beiden Hauswald-Bände aus dem Lehmstedt-Verlag durchblättert hat, weiß, mit welcher Energie sich junge Leute ihre Parallel- und Protestwelten erschufen. Einige der Fotos, die in diesem Band in Farbe zu sehen sind, kennt man auch schon in Schwarz-Weiß. Hier werden die jungen Punks, Popper und Partyfeierer sichtbar als bunte Tupfer in einem Meer der ausgeblichenen Farben.

Natürlich hat Hauswald auch immer den Kontrast gesucht, ist nicht nur in die Milieus eingetaucht, die manchmal staatlich einfach nur geduldet wurden, um dem zunehmenden Frust ein Ventil zu lassen, die aber auch akribisch überwacht wurden – wie die Kirchen und die Literatenszene Berlins. Es gibt auch die Fotos von den letzten großen Inszenierungen der Staatsmacht, die ihre Festivitäten immer wieder zelebrierte, obwohl diese Darstellungen von parteilicher Siegesgewissheit nichts mehr mit der erlebten Realität im Alltag zu tun hatten.

Frappierend ist der grimmige Ernst in den Gesichtern derer, die Hauswald in diesen Inszenierungen fotografiert hat. Man ist natürlich geneigt, das 1989 Folgende hineinzulesen in diese Bilder. Und es war ja drin – als sichtlich wahrgenommener unaushaltbarer Zustand. Ein Zustand, der zuweilen wirkt wie der ruinöse Vorhof der Hölle, einer Hölle, die nur noch ein einziges Warten ist. So sieht eine Stadt aus, deren Regierende nicht mehr handlungsfähig sind, die nur noch skurrile Demonstrationen inszenieren, aber niemanden mehr überzeugen. Noch einmal marschieren die Kampfgruppen, von denen die SED noch im Oktober 1989 glauben würde, man könnte sie gegen die Demonstranten in Leipzig in Aufstellung bringen, völlig blind für die Tatsache, dass die bewaffneten Arbeiter dort ihren eigenen Kollegen gegenüberstehen würden. Die DDR ist ja nicht an ihrer aufmüpfigen Intelligenz zugrunde gegangen, sondern daran, dass die SED-Führung am Ende den Respekt bei ihrer hofierten „herrschenden Klasse“ verloren hatte. Hauswald zeigt zwar keine Aufnahmen aus den Betrieben, das haben andere seiner Kollegen getan. Aber er zeigt diese „herrschende Klasse“ in ihrer Freizeit – in Laubenkolonien, in der Kneipe, beim Schlangestehen. Und er zeigt die Kinder dieser gleichgültig gewordenen Klasse, die auf ihre Weise ausbrachen und rebellierten.

Wer diese Bilder sieht, der weiß, dass die Friedliche Revolution kein Geschenk und kein Wunder war, sondern ein Ereignis, das so sicher kommen musste wie das Amen in der Kirche. Und wäre es nicht mit Kerzen in Leipzig gekommen, wäre es im Blaumann in Bautzen gekommen oder mit rußverschmierten Arbeiterkolonnen in Leuna, Chemnitz oder Eisenhüttenstadt. Die SED hatte sich in den 1950er und 1960er Jahren einen teuren Burgfrieden erkauft, dessen Preis die wirtschaftliche Grundlage des Landes war. Was auch ein anderes Blendlicht auf die Unruhen in Leipzig wirft – aber das Buch dazu besprechen wir erst in den nächsten Tagen an dieser Stelle.

Die letzte Chance, dem Land eine andere Zukunft zu geben, hatte die SED im Jahr 1968 verspielt. Ab da gab es keine mehr und das Vertrauen ins eigene Tun schmolz selbst im Parteiapparat weg wie Schnee in der Sonne.

Die 1980er Jahre in Ostberlin waren schon das Ende eines langen Prozesses der Entfremdung. Denn anders als Parteien halten Völker Erstarrung und Stagnation nicht aus. Leben braucht immer ein Ziel – und zwingend auch immer Veränderung. Das Immergleiche wird nicht nur trist, es verschleißt ganz einfach – moralisch sowieso. Auch dann, wenn die viel bejubelten Best- und Facharbeiter brav Morgen für Morgen zur Straßenbahn und zur S-Bahn eilen, um in den maroden Betrieben den Laden noch irgendwie am Laufen zu halten. Ein Laden, von dem sie alle wussten, dass er seit den frühen 1970er Jahren vom Innovationszyklus der Weltwirtschaft abgekoppelt war. Es ist zwar prima, wenn man den allgegenwärtigen Trabant mit eigenen Händen reparieren kann – wenn der Standard aber irgendwo in den 1960er Jahren klemmen blieb, verschwinden selbst dem eifrigsten Bastler Mut und Gelassenheit.

Das Rumoren, das man natürlich nicht sieht in den Bildern, nur spürt, erinnert schon erstaunlich an so Manches aus unseren Tagen. Nur dass die „alternativlose“ Ideologie diesmal eine andere ist, genauso wie die Entfremdung und die neue Perspektivlosigkeit. Es ist schon erstaunlich, wie völlig unterschiedliche Gesellschaften mit technokratischer Ignoranz immer wieder in dieselben Sackgassen fahren. Aber auch, wie unberechenbar sich der Unmut dann äußert.

Den jungen Leuten auf den Bildern von Hauswald sind bunte, couragierte Demonstrationsumzüge allemal zuzutrauen. Den braven Malochern und Laubenpiepern aber nicht. Aber gerade sie würden am 9. November die Ersten sein, die an der Mauer stehen und in jubelnden Trabi-Kolonnen nach Westberlin fahren würden. Sie sind es, die diese Mauerfall-Bilder dominieren, nicht die jungen Punks und – ja – Bürgerrechtler.

Natürlich sieht man sich die Fotos auch anders an, wenn man vorher die Bilder von Christian Schulz aus Westberlin gesehen hat, wo sich ein anderer Protest entwickelte und eine völlig andere Sehnsucht nach Frei-Raum. Das würde dann nach dem 9. November zu jeder Menge neuer Irritationen und Frustrationen führen, auch zu mancher Fehlinterpretation. Dass eindeutige Zuweisungen nicht einmal die Lage in diesem scheinbar so übersichtlichen Ostberlin beschreiben, auch das machen Hauswalds Bilder deutlich. Denn auch wenn er unterschiedliche Milieus ins Bild brachte, zeigt sich ein gemeinsamer Nenner: Dass hier eine ganze Stadt schon Abschied nahm von etwas, das noch irgendwie plakativ da war, aber nichts mehr verband und vereinte. Den weggeworfenen Plakaten vom Pfingsttreffen 1989 mit ihren alten Schrifttypen von anno 1950 folgen die Bilder vom Kirchentag-Protest, von Bluesmessen und dann dem völlig anderen Plakatmeer vom 4. November, als es in Ostberlin die erste genehmigte Großdemonstration gab. Und wer sich erinnert, hat noch die Buh-Rufe und Protestchöre im Ohr aus der riesigen Menge, der das alles schon längst viel zu langsam ging und die sich auch mit den klugen Gedanken der Redner nicht mehr beschäftigen wollte.

Harald Hauswald; Mathias Bertram Goodbye Ostberlin, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2016, 19,90 Euro.

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