Die Welt ist voller Sprüche: Werbesprüche, Politikerzitate, Sprüche aus Filmdialogen, Zitate berühmter Philosophen, Liedzeilen, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen. Die meisten davon sind so flach wie eine überfahrene Bierbüchse. Und trotzdem hat man den ganzen Krempel im Ohr. Die Jungs, die mit Marc-Uwe Kling regelmäßig auf der Bühne stehen, können ein Lied davon singen.

Zumindest sieht es so aus, als hätten sie sich nach anstrengenden Lese- und Singeauftritten hinter der Bühne oder danach in der Kneipe mit solch lustigen Ratespielen unterhalten nach dem Motto: „Wer hat das gesagt?“. Die natürlich erst richtig lustig werden, wenn man die Zitate mal anderen Leuten in den Mund legt, wo sie entweder besser passen oder erst ihre satirische Potenz entfalten.

Und irgendwann hat Marc-Uwe Kling dann angefangen zu sammeln und die Sprüche alle aufgeschrieben und die potenziellen Sprücheklopfer gleich dazu. Manchmal hat wohl auch das Leben hineingespielt. Denn Autoren und andere Kreative im Land erleben ja, wie das so ist, wenn kreative Leistungen allerorten entwertet werden und es für all die Mühe überall nur ein Trinkgeld gibt. Da fällt einem zu dem Spruch „Mit einem Wisch ist alles weg“ eigentlich nur noch der Gerichtsvollzieher ein.

Wobei das mit dem Trinkgeld nicht so ganz stimmt. Es wird noch immer jede Menge Geld für „kreative“ Leistungen ausgeschüttet in Deutschland. Nur die Institutionen, die diese Gelder einstreichen, haben für wirklich originelle Künstler nichts übrig. Sie füttern nur die üblichen Stars und Sternchen aus dem „Immer-wieder-dasselbe“-Topf. Reich werden in Deutschland nicht die Begabten, sondern die Blender.

Da ist dann irgendwann so ein Kalender eigentlich die logische Folge. Wenn einen die gut bezahlten Großmäuler schon die ganze Zeit mit bekloppten Sprüchen nerven, die auf allen Kanälen in der Dauerschleife laufen und von ebenso phantasielosen Moderatoren und Moderateusen  aus dem Zettelkasten geholt werden, weil sie diese Sprüche für genial halten, dann macht man irgendwann eine Sprüchesammlung, in der man den schein-klugen Kladderadatsch einfach mal Typen in den Mund legt, wo er sich entlarvt.

Dass da ein paar Machos etwas häufiger auftauchen, liegt daran, dass sie in ihrer ganzen Fragwürdigkeit längst unvergleichlich sind. Der Schröder-Berater Peter Hartz zum Beispiel, dem man so einen verächtlichen Spruch durchaus zutrauen würde: „Ein Bett im Kornfeld, das ist immer frei.“

Auf den 11. Januar platziert. Aber das ist eher Zufall, denn der Kalender führt sein Kalender-Dasein gleich mehrfach ad absurdum. Abreißen kann man die Kalenderblätter. Das geht ratzfatz. Hintendrauf ist viel Platz für Notizen – oder für neue bekloppte Sprüche. „Mach Amerika wieder groß“, zum Beispiel. Könnte man ja mal Sitting Bull in den Mund legen, um dem aktuellen Großmaul aus Amerika den Schneid abzukaufen.

(Sitting Bull kommt tatsächlich vor mit dem Liedtext: „Get up, stand up: stand up for your rights.“)

Denn das ist der liebste Trick, den Marc-Uwe Kling und Freunde angewendet haben. Denn viele der Vorschläge hat er im Freundeskreis eingesammelt. Und es tauchen einige der übelsten Sprücheklopfer drin auf, die gleich mehrfach anderer Leute Spruchbeutelmaterial in den Mund geschoben bekamen. Zum Beispiel, weil es einfach passt und alles sagt über den Selbstverliebten, einen wie Thilo Sarrazin zum Beispiel, den die Rechenunlustigen in diesem Land so anhimmeln: „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“ Passt.

Natürlich kommen hier die Haltungen von Autor und Freunden zum tragen. Und gerade den namhaften Großsprechern zugeschriebenen Sprüche dienen vor allem der Entlarvung dieser Schaumschläger. Nach seinen ganzen Affären mit minderjährigen Mädchen hat ein gewisser Silvio Berlusconi gleich eine Reihe entlarvender Zitatzuschreibungen bekommen, die Herren Stoiber, Seehofer und Putin nicht besser.

Es scheint ja ein Markenzeichen unserer Zeit zu sein, dass besonders viele Leute in hohen Positionen rangieren, bei denen Worte und Taten so eklatant auseinanderklaffen. Eine regelrechte Windbeutel-Ära. Bei manchen Typen muss man freilich schon ein Weilchen nachdenken, bis einem wieder einfällt, wer das eigentlich war. Dass es nicht wirklich Baron Münchhausen war, der seine Doktorarbeit zusammengeschwindelt hat, weiß man ja. Aber bei Jürgen Möllemann und Philip Rösler muss man schon ein bisschen länger nachdenken. Dafür gibt’s dann gleich den nächsten Spruch von Peter Hartz, Sigmund Freud oder Jesus von Nazareth. Letzter übrigens auch gern und deftig zitiert. Was wahrscheinlich mit der überall im Lande aufploppenden scheinheiligen Religiosität zu tun hat, die den Bürgern des Landes als neue Heilsalbe gegen die „zunehmende Islamisierung des Abendlandes“ angedreht wird von Leuten, die Religion für eine Art geistiger Burka halten.

Manche Sprüche klingen dann regelrecht böse. Oder echt berlinerisch, wenn Lukas, dem Lokomotivführer die Irrfahrt eines Zuges in München zugeschrieben wird, der durchaus auch eine S-Bahn in Berlin sein könnte.

Und auch wenn manche Sprüche wehtun, weil sie die Narren der Gegenwart beim Narrsein ertappen, steckt auch eine gewisse Prise Trauer in den Zuschreibungen. Nicht nur, wenn diverse Film- und Musik-Legenden zu Wort kommen und damit ein Stück weit Realität gewinnen. Denn wer kann sie eigentlich noch von den Schauspielern der politischen Bühne unterscheiden? Ist das heute nicht alles eins? Für einige Akteure wie Herrn Berlusconi und Herrn Trump augenscheinlich ja. Sie sind wie Schauspieler, die nicht mal merken, dass sie die falschen Texte draufhaben und ansonsten so inhaltsleer sind wie – leere Bierdosen. Luftnummern, die von einem Publikum angehimmelt werden, dass auch aus dem üblichen Unterhaltungsalltag gewohnt ist, dass Luftnummern das Eigentliche sind. Der mehrheitsfähige Inhalt für eine Gesellschaft, in der der ganze wilde Klumpatsch nur noch mit blöden Sprüchen zusammengehalten wird.

Aber bevor wir hier alle 365 Sprüche und ihre neuen Sprecher zitieren, noch der kleine Hinweis: Es stehen keine Sonnen- und Mondphasen drin, keine Feier- und Gedenktage. Dafür ist das ganze Jahr über Wochenende, folgt dem Sonntag der Samstag, so, wie es sein muss, denn dann ist meistens irgendwo Lesebühne und man kann wieder hingehen und sich sein von Wochen-Blödsinn verschüttetes Köpfchen wieder freipusten lassen von Leuten, die Respekt nicht mit untertänigem Grinsen vor wild gewordenen Machos verwechseln.

Wer durchzählt, merkt auch schnell, dass Frauen in diesem Kalender in der Minderzahl sind. Sie bringen es meistens eben nicht fertig, derart platte Sprüche zu klopfen. Nicht mal dann, wenn sie Fußball spielen.

Marc-Uwe Kling „Der falsche Kalender“, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2016, 12,90 Euro

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