Warum werden die Abchasen eigentlich so alt? Warum gibt es gerade in diesem Landstrich an der Ostküste des Schwarzen Meeres so viele 100jährige? Liegt es am Klima, das hier zwischen den Westausläufern des Kaukasus und dem Meer besonders gesund ist? Oder liegt es tatsächlich an der Küche? Oder gar an der Gastfreundschaft? Die Küche zumindest ist eine besondere.

Und natürlich hängt sie aufs engste zusammen mit der in Abchasien gepflegten Gastfreundschaft. Und das war auch schon vor 3.000 Jahren so. Es hat sich bis in die griechische Sagenwelt herumgesprochen. Denn hier lebte damals das Volk der Kolchier. Und Kolchis, das war die Heimat von Medea. Jason machte sich mit den Argonauten nach Kolchis auf, um das Goldene Vlies zu holen. Ein sagenhaftes Land also, dessen Klima bis heute so gesegnet ist, dass hier selbst Früchte aus tropischen Regionen gedeihen. Was die Abchasier also brauchen für einen gastlich gedeckten Tisch, das wächst hier in fruchtbaren Tälern.

Es überrascht dann nicht, dass diese Küche nicht von Brot, Kartoffeln und Fleisch dominiert ist, sondern von Obst und Gemüse. Direkt aus dem Garten Eden, wie Violetta Rudat schreibt (obwohl der natürlich woanders lag – auf das echte Kochbuch aus dem Garten Eden warten wir noch ein bisschen). Bohnen, Walnüsse, Auberginen und Zucchini nehmen einen völlig anderen Platz ein als in der europäischen Küche. Dasselbe gilt für den zumeist selbst hergestellten Joghurt, Käse und Polenta.

Und die großen fetten Braten, wie sie in Deutschland gern als Hausmannskost serviert werden, sind ebenfalls nicht typisch. Dafür das berühmte Fleisch am Spieß – Schaschlik von Lamm und Rind. Fleisch landet gern auch im Topf. Und pikant lieben es die Abchasen sowieso, egal, ob sie Adshika herstellen oder Tomatensauce auf die Abchasische Art – mit ordentlich Knoblauch, scharfem Paprika und – noch einem Schuss Adshika. Wobei man hier nicht an die scharfe ungarische Küche denken darf, denn die Abchasen lieben eher den würzig-aromatischen Geschmack. Man will ja nicht völlen und stopfen, sondern sich in geselliger Runde gut unterhalten. Deswegen sitzen auch alle im Haus wohnenden Generationen am Tisch. Gut vorstellbar, dass auch das Oma und Opa richtig jung erhält, denn sie sind ja noch mittendrin im Leben der Familie, gefragt um ihre Ratschläge und Erinnerungen. Und während es schon mal ein Grappa sein darf, um die gesellige Mahlzeit einzuleiten (bei den Abchasen gilt ein Schlückchen als Arznei), hört man mit dem Schmausen (für deutsche Verhältnisse) mittendrin auf, nämlich noch mit leichtem Hungergefühl. Denn dem leckeren Essen sollen ja noch ein paar Gläser des vollmundigen Weines folgen.

Dafür gehören Süßigkeiten eher nicht zum Alltag, auch wenn Honigkekse traditionell als Wegzehrung gelten und als eiserne Reserve im Haus, wenn man doch mal was knabbern möchte. Denn diese Kekse sind sehr lange haltbar, gut geeignet also auch für den Jagdausflug in die Berge. Bier wird man in dieser Küche nicht finden, auch die bei uns üblichen Getreideprodukte eher nicht. Ob es dann wirklich der gern als Lebensverlängerer gepriesene Joghurt ist, der die Menschen hier auf rüstige Weise alt werden lässt, ist völlig offen. Vielleicht sind es auch die beliebten Bohnen oder die regelrecht heilig gehaltenen Walnüsse und der Verzicht auf Zucker. Denn getrunken werden vor allem Wasser und selbstgemachte Obstgetränke.

Der sagenhafte Reichtum der Kolchis war vielleicht gar nicht das Gold, sondern wohl eher die reiche Küche aus einer fruchtbaren Tallandschaft mitsamt dem beliebten Rotwein, der schon damals als herzstärkendes Getränk bekannt war.

Kleine Einführungen in jedes Kapitel erläutern, welche Rolle die Mahlzeiten und die einzelnen Gerichte in der abchasischen Küche und Geselligkeit spielen. Und natürlich gibt es auch lauter Rezepte, die einen neugierig machen auf diese Küche. Jetzt muss man nur noch einen Markt finden, wo man ordentliche Wachtelbohnen bekommt. Und einen Laden, der auch abchasische Weine im Angebot hat. Und dann kann man langsam üben, wie das ist, zum 100-Jährigen heranzureifen.

Violetta Rudat Die Küche der 100-Jährigen, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2016, 5 Euro.

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