Derzeit darf man ja staunen, in welche irrationalen Welten die politischen Diskussionen in Europa abgedriftet sind. Man fasst sich an den Kopf und fragt sich: Sind die Politiker denn närrisch geworden? Sind die Bürger in mittelalterliche Denkweisen zurückgefallen? Stürzt unsere Zeit jetzt zurück in finsteren Aberglauben? Es könnte an unserer Art liegen, unsere Welt zu denken und in Worte zu fassen.
Und nur der geringste Teil davon ist bewusst und rational. Ein Verdacht, der Soziologen, Linguisten und Psychologen schon im ganzen 20. Jahrhundert umgetrieben hat. Denn wie konnten immer wieder Länder, die man eigentlich als aufgeklärt und modern begriff, abstürzen in Diktaturen, in die Zerstörung von Kulturen und in Kriege oder Bürgerkriege?
Wie konnten uralte nationale und rassistische Ressentiments die Oberhand gewinnen und aus vernünftig regierten Staaten binnen kürzester Zeit Länder machen, in denen höchst seltsame Ideologien scheinbar die komplette Bevölkerung erfassten?
Woran liegt das?
Das ist seit ungefähr 30 Jahren Thema der Kognitionsforschung – schwerpunkmäßig in den USA. Deswegen ist die in Hamburg geborene Soziologin, Linguistin und Journalistin Elisabeth Wehling auch an der University of California in Berkeley gelandet, wo sie seit 2013 diverse Forschungsprojekte zu Ideologie, Sprache und unbewusster Meinungsbildung leitet. Aber auch in Europa ist sie immer wieder gern gesehene Fachfrau. Und nun war es einfach auch mal Zeit, den deutschen Lesern zu erklären, worum es dabei geht, fand sie.
Denn eines steht mittlerweile fest: Politische Meinungsbildungsprozesse finden nicht auf der rationalen Ebene statt. Nur 2 Prozent unserer Entscheidungen sind rational durchdacht. Was nichts mit einem dräuenden, finsteren Unterbewusstsein zu tun hat, sondern mit der Funktionsweise unserer Sprache. Damit beschäftigt sich die Autorin ausgiebig im ersten Teil des Buches, in dem sie anhand von vielen Beispielen und vielen Forschungstests erläutert, wie Wortbildung in unserem Gehirn funktioniert, wie bei jedem einzelnen Wort ganze Hirnareale aktiviert werden, weil unser Gehirn gar nicht fähig ist, Worte abstrakt zu bilden – es schafft zu jedem Wort noch während des Sprech- / Denkprozesses ganze Denkbilder, die nicht nur das Gedachte bildlich machen, sondern auch ganze Assoziationswolken drumherum.
Denn Worte „denken“ können wir nur, wenn wir sie aus unseren bildhaften Erfahrungsmustern immer wieder neu zusammensetzen. Das fällt bei seltener benutzen Worten schwerer, bei oft benutzten leichter. Es entstehen regelrechte Frames, auf die wir jederzeit leicht zurückgreifen können, die aber auch im gesellschaftlichen Diskurs leicht aufgerufen werden können. Und die deshalb bei der Bildung politischer Schlagworte und journalistischer „Hingucker“ besonders beliebt sind.
Sie rufen gerade deshalb, weil sie so direkt auf unsere emotionale Wahrnehmung wirken, besonders schnell Aufmerksamkeit hervor – verbunden mit einem ganzen Bündel von Reaktionen und Gefühlen, die direkt mit dem Frame verbunden sind.
Wehling kann Dutzende Tests zitieren, die die Funktionsweise dieser Frames demonstrieren – und die auch zeigen, wie sehr wir von den Worten in diesen Frames tatsächlich beeinflusst werden – ohne dass wir es bewusst wahrnehmen.
Im zweiten Teil des Buches setzt sie sich dann mit der Funktionsweise der Frames in der Politik auseinander. Denn die Stärke der Frames ist auch ihre Schwäche: Sie fokussieren auf ein Bild und damit in der Regel auf eine einzige Sichtweise, bilden also besonders stark eine bestimmte politische Position ab – blenden aber andere Sichtweisen komplett aus. Alles fokussiert sich auf das eine Bild (Weiter hinten im Buch analysiert sie dann mehrere Beispiele, darunter auch Frames wie „Flüchtlingswelle“ und „Das Boot ist voll“, die mittlerweile alle anderen Sichtweisen auf den Umgang mit Flüchtlingen fast völlig verdrängt haben.)
Der Frame sorgt also dafür, dass keine rationalen, von Fakten getragenen Einschätzungen und Entscheidungen mehr stattfinden, sondern immer mehr eine von (zumeist starken) Emotionen getragene Interpretation durch einen Frame dominiert, auch wenn sich selbst deren Nutzer oft gar nicht bewusst sind, was sie mit dem gewählten Bild alles transportieren. Und genauso geht es den Vertretern politischer Gegenpositionen, die sich der emotionalen Wucht eines Frames oft nicht entziehen können und diesen durch Verneinung sogar noch verstärken. Denn er bleibt ja präsent.
Übrigens etwas, was auf alle Anti-Frames zutrifft. Elisabeth Wehling erläutert es im Zusammenhang mit der Anti-Baby-Pille, die immer wieder das Bild einer Pille gegen Babys assoziiert und nicht den eigentlichen Sinn von Verhütung. Aber dasselbe trifft auch auf Anti-Faschismus zu, auch das eine Wortschöpfung, die den Faschismus geradezu aufwertet, weil sich dessen Gegner nur über das Anti definieren. Im Grunde ist es bei allen Frames so, dass ein wenig Nachdenken (mit den im 1. Teil des Buches geschilderten Grundlagen) deutlich macht, welche Emotionen, Haltungen und Vorurteile Frames bedienen, ohne dass es auf den ersten Blick deutlich wird.
Und wenn solche Frames nur oft genug und immer wieder prominent verwendet werden, werden sie irgendwann zum kaum noch hinterfragten Bestandteil der gesellschaftlichen Diskussion. Man verwendet sie einfach und merkt gar nicht mehr, wie alle eingelagerten Botschaften des Frames wirken und die eigenen Entscheidungen beeinflussen – und verändern.
Mit Frames wird Politik gemacht
Und es verblüfft eher, dass das augenscheinlich in der Vergangenheit eher unbewusst geschah. Oder war es längst Praxis in den Think Tanks der Politik und die Kognitionsforscher kommen der Masche erst jetzt so langsam systematisch auf die Schliche?
Denn ganze politische Ideologien bauen ja geradezu darauf auf, dass sie mit Hilfe neuer Frames die vernünftigen Einsichten einer Gesellschaft aushebeln, verwandeln und oft genug geradezu ins Gegenteil verkehren. Da wird „liberalisiert“ (also befreit), obwohl der Vorgang wichtige gesellschaftliche Freiheiten zerstört. Da wird dereguliert, als wäre die Existenz von Regeln etwas Schädliches, da werden lebendige Menschen in „Humankapital“ verwandelt, als wären sie nur noch Objekte, werden Arbeiter zum reinen „Kostenfaktor“, als würden sie mit ihrer Arbeit den Laden nur belasten und nicht am Laufen halten usw. Alles Begriffe aus der neoliberalen Schule.
Aber andere Schulen – die nationale oder die konservative – sind auch nicht besser. Und was die aktuell um sich greifenden Angst-Frames zur Flüchtlingsthematik betrifft, ist die Sache kaum zu übersehen. Nur die Frage bleibt: Wer schafft und bedient eigentlich diese Frames? Und wer verwendet sie so, dass sie „die Massen ergreifen“? Da schwenkt der Blick logischerweise von der Politk zu den (Massen-)Medien, die ihrerseits mit Frames wieder Politik machen und Emotionen verstärken. Die einen wahrscheinlich sehr bewusst, wenn man an die gern verachteten Boulevardmedien denkt, die anderen wohl eher mit einer nicht zu überbietenden Naivität, wenn wir an die deutschen Fernsehsender denken. Gerade sie füllen die „beste Sendezeit“ mit Sendungen, die geradezu aufgeladen sind mit den emotionalen Frames der Zeit und die damit natürlich Meinung nicht nur beeinflussen, sondern machen.
Elisabeth Wehling spricht zwar stets in der Wir-Form, weil die Frames nun einmal in der gesamten Gesellschaft wirken und es am Ende unsere Entscheidungen sind, die davon beeinflusst werden. Aber eigentlich ist das Büchlein eine Warnung und ein Stück Aufklärung für Politiker und vor allem Medienmacher, die bis jetzt mit dem ganzen wilden Heer der Frames so ahnungs- und verantwortungslos umgingen, dass man sich eigentlich nicht darüber wundern muss, wie schnell Stimmungen kippen und ein ganzes Land (völlig ohne rationale und faktische Gründe) beginnt, in Angst und Panik zu verfallen.
Wenn man sich vorstellt, dass auch entscheidende Politiker geradezu angefüllt sind mit den Assoziationen der Frames „Das Boot ist voll“ (Hilfe, wir gehen alle unter!) und „Flüchtlingsflut“ (Hilfe, das überrollt uns!), dann ahnt man schon, warum diese Leute nicht mehr rational handeln und das Notwendige tun, die verfügbaren Ressourcen auch einsetzen und vor allem eins im Sinn haben: Die Sache so gut wie möglich zu deichseln. Stattdessen sind sie im Panik-Modus, ganz so, als stünden sie auf einem „sinkenden Schiff“ und suchten verzweifelt nach einem Rettungsring.
Ob das Wissen um das Funktionieren von Frames jetzt etwas ändert, das bezweifle ich freilich. Denn dazu bräuchte es auch lernwillige Redaktionen und Anstaltsleitungen in den großen Medien und ein Umdenken – weg von der Quoten-Besessenheit (und mit emotional starken Frames kann man Quoten regelrecht in den Himmel jazzen), hin zu einem klugen und bewussten Berichterstatten.
Das ist fast völlig verloren gegangen. Und das Gefühl verstärkt sich, dass eine eigentlich rational gedachte Gesellschaftsform wie die Demokratie durch genau diese Wirkungsmechanismen und das Nicht-Wissen der redenden Akteure darum noch immer so gefährdet ist, einfach umzukippen, wie 1933. Alternative Denk-Angebote können sich kaum mehr etablieren. Fehlen ihnen die starken Frames? Oder haben sie das Thema einfach den rücksichtslosesten Elementen auf dem Markt der politischen Meinungen überlassen? Letzteres trifft wohl zu.
Und die Warnung ist deutlich: Wer selbst keine eigenen, starken und vor allem zur eigenen Haltung passenden Frames entwickelt, wird regelrecht marginalisiert von den hochemotionalen Frames der Gegenpartei. Und wenn man dann auch noch in die Negations-Falle tappt, ist man erst recht unterlegen, denn dann verstärkt man tatsächlich die Frames und Behauptungen der Gegenseite.
Aber vielleicht setzen sich jetzt endlich mal ein paar kompetente Akteure aus der eher vernunftgeleiteten Politik hin und entwickeln starke Frames, die das betonen, was die ganze Zeit untergebuttert wird: Dass Deutschland z. B. kein Boot ist, das unterzugehen droht, sondern eher ein großer, schwerer Tanker mit einer Kraft, die die meisten kleinen Nationen ringsum nicht haben. Wer soll denn da ausfahren und retten, wenn nicht der starke Tanker?
Und warum bitteschön fangen die Leichtmatrosen an zu jaulen „Wir schaffen das nicht“, wenn die Kapitänin sagt: „Wir schaffen das.“ Wer, wenn nicht wir? Muss man ja mal fragen dürfen.
Elisabeth Wehling: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht, edition medienpraxis, Köln 2016, 21 Euro.
Keine Kommentare bisher