So richtig spendabel ist der Freistaat Sachsen, wenn es um Literatur geht, nicht. Da freuen sich natürlich die Dichter, wenn sie doch mal "Tage der Poesie" organisiert bekommen. 2015 hat es die Lyrikgesellschaft nach drei Jahren wieder geschafft, drei "Tage der Poesie" auf die Beine zu stellen.

Sehr zur Freude der Zwickauer Stadtväter, die die rund 50 Autorinnen und Autoren aus der ganzen Bundesrepublik in ihrem hübschen Städtchen begrüßen durften – sehr zur Überraschung vieler der Angereisten, die Zwickau natürlich vor allem mit dem Autobau, dem Trabi und einer gewissen Industriestadt-Tristesse verbanden – und sich dann verblüfft in einer piekfein sanierten Robert-Schumann-Stadt wiederfanden, in der sie die Auswahl hatten zwischen einer ganzen Anzahl recht attraktiver Tagungs- und Vortragsorte: vom Robert-Schuman-Haus über die Stadtbibliothek im alten Kornhaus, die eindrucksvolle Ratsbibliothek bis hin zum Alten Gasometer.

Echter Vorteil für Anreisende aus Westsachsen: Die S-Bahn aus Leipzig fährt hin.

Vom 25. bis 27. Juni trafen sich die Autorinnen und Autoren in Zwickau und brachten ihren Tag mit lauter Vorträgen zum großen und gar nicht leicht zu fassenden Thema “Spiel-Arten der Lyrik” herum. Die Beiträge sind jetzt alle in dieser Publikation der Lyrikgesellschaft versammelt – manche kurz und spielerisch, andere wie Essays, manche auch etwas eitel, wieder andere tatsächlich auf Klärung bedacht, wie ein Gedicht denn nun funktioniert oder gebaut werden sollte. Was nicht einfach war, denn zwei Strömungen waren in Zwickau höchst präsent, die eigentlich Nachdenken übers Eingemachte fast unmöglich machen. Das eine war die Einladung an echte Poetry Slammer, die dann auch im Abendprogramm einmal zeigten, wie publikumswirksam gut gebaute Texte sind. Und das andere war die Anwesenheit von Eugen Gomringer, der 90 Jahre alten Legende der Konkreten Poesie.

So dass dann auch über diese Spiel-Arten der Lyrik gesprochen wurde – und noch ein paar mehr, die auch damit zu tun haben, dass Texte nur Sinn machen, wenn sie auch ein Publikum erreichen. Ein weites Feld, hätte Günter Grass gemurmelt, Fontane zitierend. Ein sehr weites Feld. Denn es geht nicht nur um Live-Publikum, sondern auch um Sprache, den hartnäckigen Umgang mit einem Stoff, den die meisten benutzen wie Dutzendware und Billigbier. Tatsächlich ist Lyrik in den Alltagsspielarten überall gegenwärtig – als miserabel geschluderter Werbespruch, als flotter Reim in Hochzeitszeitungen, als sentimentaler Schlagerschaum.

Dass Lyrik mehr kann, das wird erst sichtbar, wenn man sich ernsthaft wirklich mit Gedichten beschäftigt. Was einige Autoren und Autorinnen dann auch in ihren Vorträgen versuchten. Die Erfahreneren wissen um die Tatsache, dass zwar eigentlich alles möglich ist, wirklich stringente Texte aber geradezu zu Strenge und sauberer Arbeit zwingen. Selbst wenn sie hinterher ganz leicht und einfach aussehen, spielerisch eben. So leicht, dass beim oberflächlichen Lesen die tieferen Bedeutungen, Anklänge, Anspielungen nicht gleich erfasst werden. Was nicht nur am Inhalt liegt, sondern auch an unserer Sprache. Denn erst wenn man sich wirklich ernsthaft mit diesen komprimierten Welten beschäftigt, bekommt man wieder mit, dass die deutsche Sprache (so wie wohl fast alle Kultursprachen) hochkomplex ist, farbenreich und tief emotional, sensibel sowieso. Und die Lyriker wissen es, dass manchmal fünf gelungene Verse genügen, um all das zu fassen, wofür die Kollegen aus dem Roman-Metier oft 500 Seiten brauchen.

Natürlich sind die Vorträge allesamt nur Streiflichter. Viele Teilnehmer der Tagung äußerten sich hinterher bedauernd, dass eigentlich keine Zeit eingeplant war, über die Vorträge zu diskutieren. So sind die Dichter: Sie machen sich richtig Arbeit und vergessen die Zeit zum Streiten, das Programm war straff gestrickt, 5 Minuten durfte ein Vortrag dauern. Das Auditorium wurde hibbelig. Und dann waren sie alle brav und haben sich nicht einfach dazwischengemeldet, wissend, dass es am Nachmittag und Abend gleich weiterging mit Lesungen, die augenscheinlich gut besucht waren. Trotz fehlender großer Außenwerbung – die Zwickauer waren wohl trotzdem neugierig, was die poetischen Gäste zu bieten hatten.

Der Band bietet nicht nur die dargebotenen Vorträge und Gedichte (manche Dichter bieten eben Gedichte, wenn sie schon mal was zum Thema Spiel-Arten sagen sollen), sondern auch eine ganze Bilderstrecke, die ein durchaus zufriedenes Lyriker-Völkchen zeigt. Man fühlte sich wohl in Zwickau und war hinterher froh, dass die große Hitzewelle erst eine Woche später ausbrach.

Der Band, der vor allem als Gabe an die Teilnehmer gedacht ist, ist so zu einer ziemlich typischen Beschäftigung mit einem großen Thema geworden – voller Abschweife, Eigensinnigkeiten, aber auch Sichtweisen, die sich beißen würden, wären sie alle in einer Person vereint. Aber gerade so machen die Beiträge auch sichtbar, wie vielfältig der Kosmos Lyrik mittlerweile ist und dass es von leichter Kost bis hin zu echten Kostbarkeiten längst alles gibt. Und die Botschaft wie immer? Zu wenige Leser für ein anspruchsvolles Stück Literatur? – Nur nebenbei. Eher das gemeinsame Vergnügen zu wissen, dass die deutsche Sprache noch immer ein brauchbar hochwertiges Material ist, damit Dinge zu sagen, die übers bloße Schreiben und Benennen deutlich hinausgehen.  Übers Alltagsgeplänkel sowieso.

Ralph Grüneberger (Hrsg.) “Spiel-Arten der Lyrik”, Edition Kunst & Dichtung, Leipzig 2015

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