Erzählen ist eine Kunst. Eine hohe, sagen die Professoren. Nein, in Wirklichkeit eine, die Talent braucht. Hohe Kunst fabrizieren genug Leute in Deutschland, unlesbares Hirngeschwurbel, bei dem sich der Autor wichtiger nimmt als seine Helden. Gute Erzähler aber wissen, dass der Stoff wichtiger ist, das ganze Zeug, aus dem unser Leben besteht. Und natürlich auch die besten Erzählungen.
Viele Autoren begreifen das nie und beschwurbeln das Publikum ein Leben lang. Aber es gibt einen Ort, wo man es lernen muss, sonst fällt man durch: das ist die offene Bühne. Da ist auch Sarah Bosetti zuhaus, mal allein im Licht der Scheinwerfer, mal mit ihrer Lesebühnentruppe. Couchpoetos heißt die. Auch vor Radio und Fernsehkamera hat die junge Dame, “seit 1984 anwesend, halb Mensch und halb Frau”, keine Angst. Ihre Kurzbiografie verrät schon, was sie für eine ist: Eine richtige Frau. Keine verschämte, klischeemäßige. Sondern eine eigensinnige. Mit allem, was zum Eigensinn dazu gehört.
Und ihre Geschichten sind es natürlich auch. Auch diese. Mit Hamster im Laufrad und auf dem Buchcover. Erste Lektion: Manchmal erzählt Frau Geschichten, die sind nicht ganz schwindelfrei. Wer das im Titel zitierte Ferienbegräbnis sucht, wird nicht fündig. Todesfälle könnte es geben. Aber das ist nicht so ganz sicher, weil durchaus auch Dinge verschwinden können, wenn sich die Ereignisse überschlagen. Und es überschlagen sich so einige Ereignisse in dieser Sarah-und-Ulf-Welt. Ulf ist der Bursche, der Sarah mal am Strand mit seinem Lieblingsanbaggerspruch angemacht hat. Ein Spruch, wie ihn einige verunsicherte männliche Zeitgenossen drauf haben, weil sie gelernt haben, dass die ganzen Anmachsprüche des 19. Jahrhunderts nicht mehr funktionieren bei den selbstbewussten Frauen von heute. Erst recht, wenn die “was mit Medien” studiert haben und ganz bestimmt für niemanden das brave Hausputtelchen sein wollen.
Wie jeder weiß, macht so etwas Beziehungen in heutiger Zeit gewaltig kompliziert. Weil es dazu zwingt, über den ganzen Kram wieder mal zu reden – Gefühle, Kinder, Haustiere und so. Denn Opa war wirklich der Letzte, der noch mit fröhlichem Lächeln sagen durfte: “Der Bestimmer bin ich.” Worte wie jung, dynamisch, orientierungslos fallen. Und wenn man so durchblätterrt, dann sind auch bei Voland & Quist jetzt schon eine Menge Orientierungslos-Bücher erschienen, in denen die Heldinnen und Helden mit durchaus nachvollziehbarer Verzweiflung versucht haben, eine gewisse Struktur in ihr Leben, ihre Partnerschaften und das Geldverdienen zu bekommen.
Kleine Zwischenbilanz nach gefühlten 101 solcher Bücher: Sie waren an ihrem Lebenslagen-Dilemma in der Regel nicht schuld. Sie gehören fast alle zu jener berühmten Generation X oder Y, an der die Altväter der Republik seit 1990 so ungefähr alles an Schikanen ausprobiert haben, was man an jungen, gut ausgebildeten Menschen so ausprobieren kann. “Arbeitsmarktreform” nannten sie das. Das Ergebnis sind jobbende Doktoren, Diplom-Physiker, Masters of Arts, Lehrer in Aushilfsjobs, ausgebildete Ärzte in Teilzeit oder als Aushilfskellner usw.
Wer kürzlich mal jung war oder es noch ist, der weiß, was einem da alles zugemutet wurde und wie das dafür sorgt, das ganze Leben in eine Reihe von Wackelpositionen zu verwandeln, das Konto leer zu fegen und das Selbstbewusstsein in einen Korkenzieher zu verwandeln. So betrachtet, ist der Weg ins Licht der Lesebühnen auch eine Flucht nach vorn: Statt sich in einer Kleinstwohnung vor dem Briefträger zu verstecken, gehen die kühnsten der begabten Jungen ins Licht und erzählen vom Leben in Wagnissen. Manche auch von den Schutzwänden, die sie sich gebaut haben, um nicht auch noch im Leben jenseits der Arbeit ständig das Gefühl des Versagens zu haben: Leben ohne Geld ist doch auch ganz schön – das zwingt zu Experimenten. Hilfe brauch ich nich – arm sein kann ich auch alleine. Oder wie die Roman-Sarah, die vielleicht mit der Autorin identisch ist oder auch nicht: Kinder will ich gar nicht.
Ihre Ausrede dabei: Als Kind war sie schrecklich hässlich. Muss man einfach so nehmen wie es ist. Als Mann fällt es sowieso schwer zu verstehen, wie viele beeindruckend schöne Frauen sich hässlich und abschreckend finden. (Über den Terror der modernen Schönheitsindustrie haben wir ja kürzlich erst geschrieben.) Klammer auf: Männern geht es oft genug genauso.
Woran liegt es? Ein bisschen sicher an Eltern, die selber nicht fertig geworden sind mit sich. Was mit Sarahs Eltern exemplarisch der Fall ist – insbesondere bei ihrem Vater, der sich mit steigendem Alkoholkonsum immer mehr zum Rätsel für seine Tochter entwickelt hat. (So nebenbei hat man es also auch mit jener Elterngeneration zu tun, die irgendwie nie zurande kam mit der Abschaffung des Patriarchats und den Herausforderungen einer freien Erziehung. Bestimmt schreibt auch darüber mal jemand. Aber gibt es überhaupt einen in dieser Generation, der das kann?)
Nur scheint Sarah in diesem Fall mit Ulf an den Richtigen geraten zu sein, einen, dem das Elterndilemma weitgehend schnurz ist, weil er die junge Dame mit ihrer ganzen Unfertigkeit so mag, wie sie ist. Anfangs akzeptiert er auch die Sache mit dem nicht gewollten Kind. Es klingt ja auch viel zu schön, wenn man als Ausrede sagen kann: Das kann doch nur ein Zombie werden!
Aber die Begegnung mit einem weiteren ungelösten Rätsel aus Sarahs Jugend ändert alles: Nach einem Umzug steht Sarah nicht nur ihrer einstigen Jugendfreundin und Leidensgefährtin Anna gegenüber, sondern auch ein Alptraum aus dieser Schreckliche-Jugend-Zeit kehrt zurück: Pädo-Pallasch.
Es gibt schon schreckliche Lehrer. Aber den schlimmsten Ruf bekommen die armen Schweine, die auch als Lehrer nicht geschafft haben, sich ein gewisses Selbstbewusstsein und ein bisschen Selbstvertrauen aufzubauen. Pallasch übrigens gelingt das bis zum Ende nicht. Und die kleine Erkenntnis für Männer, die noch immer glauben, sich mit Hilflosigkeit ein bisschen Trost erschwindeln zu können: Es gibt wohl Frauen wie Anna, die darauf reagieren. Aber die meisten (wie Sarah) verachten das. Und dass am Ende Pallasch es ist, der die Geschichte dadurch in Bewegung bringt, dass er völlig zum falschen Mittel greift, hätte er wohl selbst nicht geahnt. (Und der Leser merkt: Auch Männer können mit solchen Typen eigentlich nichts anfangen. Treibenlassen ist nicht wirklich eine attraktive Alternative fürs Leben.)
Trotz schrecklicher Kindheit.
Muss man ja mal sagen an der Stelle.
Sagt Sarah Bosetti so zwar nicht, sondern nimmt die Leser gleich von Anfang mit in eine durchaus schöne Beziehungskiste, in der das Hier und Jetzt (mit einem erschlafft im Tretrad liegenden Hamster und Ulfs fröhlichem Kinderwunsch) durchaus noch eine Erklärung braucht, die Vorgeschichte, die es von Sarah natürlich in trockener Schnoddrigkeit gibt. Man muss ja erklären, wie das so war als hässliches Kind mit rätselhaften Eltern und sechs Julias in der Klasse. Und weil die studierte Filmregisseurin das mit den Rückblenden gut beherrscht, gibt es auch noch schöne Zwischeneinspieler, in denen die Geschichte aller wichtigen Akteure erzählt wird – vom Hamster bis zu Pallasch, manchmal kürzer, manchmal länger, je nachdem, wieviel Lebensgeschichte wichtig ist zu wissen, um zu wissen, warum jemand sich in der ganz konkreten Hamster-tot-Geschichte nun so schrecklich unpassend benimmt. Man merkt es in anderen Romanen oft nicht mehr, dass man eigentlich vom Autor an der Nase herumgeführt wird, weil scheinbar alles zueinander passt und die Geschichte so hübsch rund läuft. In Wirklichkeit läuft ja gar nichts rund und die eigentlichen Ereignisse passieren recht unkontrolliert, haben Ecken, Kanten und retardierende Momente, weil wichtige Mitspieler das Falsche tun, die falschen Sprüche sagen oder auf andere Weise von der Rolle sind.
Sarah Bosetti macht das durch ihre vielen fröhlichen Einschübe und Abschweife sichtbar. Was nicht heißt, dass am Ende alles gut wird oder klar. Dafür ist der Hamster verschwunden, so dass eigentlich niemand etwas zu einem Begräbnis irgendeiner Art sagen kann. Was nicht schlimm ist. Denn um den armen Hamster, der ja mal dazu da war, ein bisschen das Alleinsein-Gefühl zu mindern, geht es ja nicht. Eigentlich geht es um Billy, der in dieser Geschichte immer schon da ist, auch wenn man ihn nicht sieht und nicht hört.
Das letzte Wort hat übrigens Ulf: “Aber findest du Billy wirklich so einen schlimmen Namen?”
Sarah Bosetti “Mein schönstes Ferienbegräbnis“, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2015, 16,90 Euro
Sarah Bosetti ist in Kürze auch in Leipzig zu erleben: Am 28.Oktober ist sie zur Lesung im Literatursalon im Horns Erben. Beginn der Lesung: 20 Uhr.
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