Immer wieder wurde die Aufklรคrung von Taten des NSU (oder solcher, die man ihm bis heute zuschreibt) hintertrieben. Den ersten Teil des Buches widmet Hajo Funke der Analyse der wichtigsten und bis heute ungeklรคrten Fรคlle. Und nicht immer ist eindeutig, ob es wirklich nur die diversen Verfassungschutzbehรถrden waren, die hinter den Kulissen ihre Muskeln spielen lieรen und รผber die Regierungsebene die stรถrenden Aufklรคrungsbemรผhungen der Polizei unterbinden lieรen.
Am Beispiel Bayern exerziert Funke das verwirrende Zusammenspiel von politischer Ignoranz und zielgerichteter Einflussnahme durch. Ein Thema, bei dem die ganze Kleinkariertheit konservativer deutscher Politik deutlich wird, die lieber รผber zehn Jahre lang die Familien der NSU-Opfer schikaniert mit unhaltbaren Thesen zu organisisierter Kriminalitรคt und Drogenmilieu, als dem auf der Hand liegenden Motiv Fremdenhass nachzugehen. Die Arbeit der Soko โBosporusโ (deren Namen schon die Ressentiments der Ermittler verriet) wurde regelrecht in die Irre gesteuert โ sie beschรคftigte jahrelang das Land, lieร die Boulevard-Medien von โDรถner-Mordenโ faseln โ und der Verfassungsschutz, der sogar angefragt worden war, mauerte.
Und irgendwann wird Funkes Buch natรผrlich auch eine Analyse zu diesem Amt, das eigentlich dafรผr da sein sollte, Gefahren fรผr das Land, die Demokratie und die Verfassung abzuwenden. Doch nichts davon ist geschehen. Noch vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss sagte der verantwortliche Staatssekretรคr, Hans-Dieter Fritsche, den Abgeordneten ins Gesicht, dass sie รผber die Arbeit der Verfassungsschรผtzer nichts erfahren wรผrden. Statt der von der Bundeskanzlerin versprochenen umfรคnglichen Aufarbeitung der NSU-Morde gab es von Regierungsseite eine komplette Verweigerung der Aufarbeitung. Und wรคhrend den gewรคhlten Volksvertretern in den Untersuchungsausschรผssen ins Gesicht gesagt wurde, dass die Regierung bei der Aufklรคrung jede Zusammenarbeit unter der Begrรผndung des Geheimnisschutzes verweigern wรผrde, wurden nicht nur im Bundesamt fรผr Verfassungsschutz รผber 300 Akten zum gewalttรคtigen Rechtsextremismus (Aktion โKonfettiโ) vernichtet, sondern auch in Landesรคmtern wurde der Reiรwolf angeworfen, um kompromittierende Akten zur engen Verquickung von Verfassungsschutz und Spitzenkadern der rechten Terrorszene zu vernichten.
Wobei auch hier mehr Fragen bleiben als belastbare Antworten. Denn ging es tatsรคchlich nur darum, nach dem 4. November 2011 schnell alle Belege zu vernichten, die fรผr ein gescheitertes Spitzelwesen im Verfassungsschutz sprachen? Oder ging es um mehr? Um eine echte staatliche Unterstรผtzung des rechten Terrors? Immerhin waren all die Nazi-Funktionรคre, die รผber Jahre als V-Mann gefรผhrt wurden, auch saftig honoriert worden fรผr ihre Zutrรคgerei, die bei einigen Fรผhrungsbeamten wohl auch in echte Kumpanei ausartete. Und das Geld war oft genug direkt in den Aufbau terroristischer Strukturen geflossen, wurde zur Grรผndung radikaler Magazine verwendet, zur Unterstรผtzung abgetauchter Rechtsextremer oder wohl auch zur Beschaffung von Waffen.
Und wo noch 2011 / 2012 gern das Bild erzeugt wurde, man habe es mit Einzeltรคtern und lokal begrenzten Netzwerken zu tun, ist lรคngst รผberdeutlich geworden, wie eng vernetzt die radikalisierte Szene der deutschen Rechtsextremisten ist โ und wie gut vernetzt auch der NSU mit all diesen Leuten war. Und reihenweise wurden die Spitzenkrรคfte dieses Netzwerkes รผber Jahre als V-Leute des Verfassungsschutzes gefรผhrt.
Wenn wirklich Aufklรคrung gewollt gewesen wรคre, dann hรคtte auch Angela Merkel spรคtestens ab 2012 die Chance genutzt, das Bundesamt fรผr Verfassungschutz zu รถffnen, Ermittlern und Untersuchungsausschรผssen die Erkenntnisse der Verfassungschรผtzer zukommen zu lassen und den Dienst wirklich vรถllig neu zu organisieren und mit einer funktionierenden Kontrollinstanz zu versehen. Genau das ist aber nicht geschehen. Was die Verfassungsschรผtzer und die jeweils zustรคndigen Staatssekrektรคre als Reform verkauft haben, ist reine Kosmetik. Die Erkenntnisse der Schlapphรผte sind heute so geheim, wie sie es auch vor dem 4. November 2011 waren. Und es drรคngen sich natรผrlich weitere Fragen auf. Denn wenn eine echte Reform und รffnung dieser รmter von politischen Instanzen derart massiv hintertrieben wird, fragt natรผrlich nicht nur Hajo Funke nach dem Ursprung dieser Dienste, ihrer geistigen Haltung und der Rolle, die sie in unserem Staatswesen spielen.
Doch noch heute gerieren sich die deutschen Verfassungsschรผtzer wie eine Instanz auรerhalb aller staatlichen und demokratischen Kontrolle, fabrizieren Berichte, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt sind, denn all die kriminellen Netzwerke, die sich seit den 1990er Jahren gebildet, radikalisiert und aufmunitioniert haben, kamen entweder nicht drin vor oder wurden geradezu verharmlost. Obwohl die Dienste รผber das Treiben ihrer V-Leute bestens Bescheid gewusst haben. Aber was nutzt ein Geheimdienst, der seine Erkenntnisse nicht weitergibt, Polizeiarbeit nicht nur behindert, sondern โ wie im Fall NSU โ sogar verhindert? Oder war der Verfassungsschutz in Deutschland so nie gedacht, sondern spielt gar noch eine ganz andere Rolle mit einem sehr, sehr fragwรผrdigen Staatsverstรคndnis?
Auch Hajo Funke kann diese Frage nur anreiรen. Er hatte und hat genug mit Entscheidungstrรคgern zu tun, die ihn bei solchen Fragen nicht nur abwimmeln, sondern sogar angrinsen. Seine groรe Hoffnung: Dass es endlich Politiker gibt, die den Mut und das Rรผckgrat haben, eine echte Reform der Verfassungsschutzรคmter anzupacken, die sich zusammentun und ihre Krรคfte bรผndeln. Denn der Fall NSU ist schon lรคngst ein Staatsskandal.
รbrigens auch in Sachsen, das in Funkes Buch eher nur am Rande vorkommt, auch wenn das NSU-Trio just hier untertauchen konnte. Aber die Erkenntnisse, die der 1. NSU-Untersuchungsausschuss im sรคchsischen Landtag gewonnen hat, deuten darauf hin, dass auch die sรคchsischen Schlapphรผte in diesem finsteren Spiel ihre Rolle gespielt haben. Es gibt genug Verdachtspunkte, die vermuten lassen, dass das Trio in Zwickau schon viele Jahre frรผher hรคtte ausgehoben werden kรถnnen. Und seine Verschleierungsberichterstattung setzt das โreformierteโ Amt bis heute fort. Mit Ressourcen, die der sรคchsischen Polizei bei der Verfolgung des sรคchsischen Rechtsextremismus fehlen.
Und auch hier steht die Frage: Wozu wird dieser Verfassungsschutz, der nur sich selber schรผtzt, eigentlich gebraucht? Und warum verweigern die zustรคndigen Regierungen eine wirkliche Reform und Transparenz dieser Behรถrde? Auf die letzte Frage gibt es ein paar mรถgliche Antworten. Aber die sind fรผr unsere Demokratie allesamt nicht erfreulich.
Hajo Funke โStaatsaffรคre NSU. Eine offene Untersuchungโ, Kontur-Verlag, Berlin 2015, 20 Euro
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Der Ralf schuldet mir ne Portion Nudeln. Das war wieder so spannend zu lesen, da sind mir die doofen Dinger in der Zeit tatsรคchlich angebrannt. ;0)