Auch in protestantischen Gemeinden wird diskutiert - über Gott und die Welt natürlich. Und dann und wann auch über die Fragen von Wissenschaft und Glauben. Ein heikles Thema, auch heute noch. Wo sind die Grenzen? Gibt es überhaupt welche? Oder entstehen gar neue Konflikte? Liegen Glaube und Wissenschaft im Clinch?

Das ist ein uraltes Thema. Und die beiden Autoren geben sich alle Mühe, die Leser (und Gemeindemitglieder) mitzunehmen auf die Reise in eine Geschichte der menschlichen Kultur, die ursprünglich so eine Trennung zwischen Glaube und Wissenschaft nicht kannte. Erst die Griechen begannen vor rund 2.500 Jahren die Grundlagen des wissenschaftlichen Denkens zu definieren. Und es war ein großer christlicher Gelehrter, Albertus Magnus, der im 13. Jahrhundert auch für die Theologen deutlich herausarbeitete, dass wissenschaftliches Denken und Glauben an Gott zwei unterschiedliche Herangehensweisen sind – sich aber eigentlich nicht ins Gehege kommen. Wenn man die Grenzen nicht überschreitet. Eine Haltung, die sich bis in die Zeit der Aufklärung findet und von hochkarätigen Philosophen immer mehr verfeinert wurde. Denn unübersehbar waren die sich entwickelnden Wissenschaften herrliche Instrumente, die Welt in all ihren Zusamenhängen zu erkunden und zu erkennen. Aber genauso unverkennbar war auch, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse immer weniger zu dem passten, was in der Bibel zu lesen war.

Doch ignorieren konnte auch die Kirche die Entwicklung nicht. Denn es waren unübersehbar die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Welt veränderten, die Technik revolutionierten, die Medizin, den Ackerbau. Unsere moderne Welt ist ohne die revolutionierenden Erkenntnisse der Wissenschaft nicht denkbar. Da könnte man sich eher fragen: Wer glaubt da noch an Gott?

Braucht es den noch? – Für Gläubige natürlich keine Frage. Aber auch für Ungläubige. Denn Wissenschaft an sich kennt ja keine Moral, kein Gut und Böse, setzt keine ethischen Maßstäbe. Kann sie auch gar nicht. Das braucht etwas anderes, einen Wertekanon, den die beiden Autoren im Glauben sehen. Der Covertext verspricht eine Co-Produktion zwischen einem Theologen und einem Naturwissenschaftler. Doch das ist nicht ganz so. Hans-Peter Großmann ist Professor für Systematische Theologie. Das wäre also der Theologe. Und Rainer Eckel hat neben Physik, Chemie und Philosophie auch Evangelische Theologie studiert. Das verschiebt den Schwerpunkt der Frage – und zwar gleich in mehreren Dimensionen.

Das beginnt mit der Positionierung: Stehen sich Glaube und Wissenschaft eigentlich auf gleicher Augenhöhe gegenüber? Oder Religion und Wissenschaft? Dürfen sie einander kritisieren?

Die beiden haben sich richtig viel Mühe gemacht, die oft heftigen Diskurse der vergangenen 500 Jahre auf den Punkt zu bringen – die Erschütterungen nachzuzeichnen, die Kopernikus und Galilei, Darwin und Heisenberg und viele andere Forscher in die Welt des Christentums brachten, als sie wissenschaftlich nachwiesen, dass unsere Welt auch ohne großen Schöpfer funktioniert. Und dass auch das Leben auf der Erde ganz ohne ersten Schöpfungsakt auskam und auskommt. Aber die beiden Autoren zitieren auch zu Recht Heisenberg, der sich als Atomforscher sehr wohl Gedanken gemacht hat über die Verantwortung des Wissenschaftlers und über die Tatsache, dass auch Forschung und ihre Anwendung eine Ethik und eine Werteskala brauchen. Er sah sie in den Gleichnissen der Religion. Und zumindest für Eckel und Großhans ist das die Basis, auf der Wissenschaft und Religion im Dialog bleiben müssten.

Eine Beobachtung, die beide gemacht haben, stimmt natürlich: Immer wieder werden auch wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer Ideologie erhöht. Übrigens das Pendant zum Versuch der Kirche, sich zum Richter über wissenschaftliche Erkenntnisse aufzuwerfen. Beides geht schief und sorgt in der Regel für gesellschaftliche Verwerfungen. Und beides sind Grenzüberschreitungen. Denn der Glaube selbst schließt wissenschaftliches Denken aus. Er ist “eine geistliche Lebensform”, betonen die Autoren. Er hinterfragt seine Glaubensinhalte nicht, sondern lebt aus Vertrauen darauf. Das gibt vielen Menschen Halt, Trost und eine Geborgenheit in einer Welt, die die meisten durchaus als unfassbar, chaotisch, katastrophal und unzuverlässig erleben.

Es gibt übrigens auch ein kleines Kapitel, das sich dem Versuch widmet, die Entstehung der Religion historisch, sozial- und neurowissenschaftlich einzuordnen. Denn auch Historiker beschäftigen sich ja mit der Frage, wann die Religion entstand, warum, und ob sie den Menschen, die die ersten Kulte entwickelten, vielleicht sogar einen evolutionären Vorteil verschaffte?

Ein Thema übrigens, das Bernhard Streck in seinem im Eudora-Verlag erschienenen Buch “Sterbendes Heidentum” (2013) sehr gründlich durchgearbeitet hat.

Aber man darf die Frage natürlich nicht so einseitig stellen. Denn die Mythen, die ja auch im Buch “Genesis” der Bibel erzählt werden, sind ja auch frühe Versuche der Menschen, sich die Phänomene der Welt zu erklären. Wozu sie ja bekanntlich anfangs eine ganze Menge Götter brauchten, da war praktisch ihre ganze Welt animiert von unzähligen kleinen und großen Wesenheiten, die man gütig stimmen musste. Oder denen man mit tiefer Ehrfurcht und Respekt begegnete.

Ist es ein Zufall, dass die großen monotheistischen Religionen zum selben Zeitpunkt entstanden wie die ersten systematischen Wissenschaften? Vieles deutet darauf hin, dass Wissenschaft und Religion ursprünglich aus dem selben Topf kommen – beides Versuche der frühen menschlichen Gesellschaft, die Welt zu begreifen und ihr (augenscheinlich ein tiefes menschliches Bedürfnis) einen Sinn zu geben. Nur dass die religiöse Antwort auf die Sinn-Frage ist, dass ein höheres Wesen alles geschaffen hat für den Menschen. In der religiösen Weltsicht bezieht sich alles auf den Menschen im Zentrum der Welt, Gott hat die Welt für ihn geschaffen (worauf ja alles hindeutet: es ist eindeutig eine Welt wie für den Menschen gemacht – zumindest wenn man auf der Erde bleibt).

Die wissenschaftliche Antwort ist eine andere. Sie wertet nämlich nicht, sie kennt auch keine äußere Ursache oder ein Ziel, keine Eschatologie. (Deswegen war auch das, was einige jüngere Gesellschaften als “wissenschaftliche Weltanschauung” verkauften, gequirlter Käse, echtes Opium für ein Volk, das sich ja bekanntlich am Ende nicht mehr für blöd verkaufen lassen wollte.) Wissenschaft untersucht alle Dinge und Verhältnisse zweckfrei, versucht die wirkenden Gesetze zu erfassen. Nicht mehr. Das Erkennen der Welt ist ihr einziges Ziel. Da, wo sie ideologisch wird oder gar ein “Ziel der Geschichte” definiert, hört sie auf, Wissenschaft zu sein.

Womit man zwei Geisteshaltungen hat, die sich für einige Menschen sogar sehr gut vertragen – sie können wissenschaftlich denken und dennoch eine gläubige Haltung bewahren.

Aber eines können sie nicht wirklich: Verstehen, wie Menschen, die nicht religiös sind, mit der ganzen Sache umgehen. Denn wenn jemand nicht an Gott glaubt, heißt das ja noch lange nicht, dass er in der Lage ist, wissenschaftlich zu denken. Mit Betonung auf “wissenschaftlich denken”, denn “die Wissenschaft” an sich gibt es ja genauso wenig wie “die Religion” an sich. Und wie ist das nun mit diesen komischen Atheisten? Haben die keine Moral?

Augenscheinlich doch. Selbst dann, wenn sie sich nicht auf die Zehn Gebote beziehen oder die Bibel zitieren. Denn auch die Kodizierung von Gesetzen und gesellschaftlichen Moralvorstellungen ist ja kein Alleinstellungmerkmal der Religion, auch wenn die Religionen eindeutig dazu beigetragen haben, mit ihrer starken Festlegung von erwünschten Verhaltensmustern das Leben in modernen Staaten zu zivilisieren und zu ermöglichen. Und wenn Eckel und Großhans am Ende des Buches darauf bestehen, dass Religion durchaus einen Anspruch erheben darf, Wissenschaft zu kritisieren, wenn sie humane Werte gefährdet oder gar zur Ideologie entartet, dann hat das hier seinen Ursprung, im Begreifen von Religion als starke moralische Festung.

Aber dasselbe darf man auch ohne jeden religiösen Hintergrund tun. Denn die Welt, wie sie ist, wird ja nicht dadurch wertlos, dass Atheisten sie sich auch gänzlich ohne einen großen Schöpfer denken können, sogar als einsame, gefährdete Lebensinsel in einem gewaltigen, ansonsten lebensfeindlichen Kosmos. Ein bisschen kritisch gehen Eckel und Großhans mit der Tatsache um, dass unsere Erde, wie sie ist, augenscheinlich Ergebnis von vielen, vielen “Zufällen” ist und die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo in dieser Milchstraße überhaupt Leben entstanden sein könnte, winzig gering ist.

Aber es sieht derzeit ganz danach aus, dass der “Zufall” sogar ein wesentliches Grundelement der kosmischen Entwicklung ist, eines Kosmos, der bei bestimmten Voraussetzungen die Entstehung hochkomplexer Gebilde und Prozesse nicht nur ermöglicht, sondern sogar höchst wahrscheinlich macht.

Tatsächlich stellt das Buch, das eigentlich für christliche Gemeinden auch als Diskussionsbasis gedacht ist, eine Frage, die für die gesamte Gesellschaft steht, wenn es um Wissenschaft, ihre Ergebnisse, die Grenzen der Forschung und ihrer Anwendung geht: Wo müssen wir aus moralischen und ethischen Gründen klare Grenzen ziehen? Wo sind diese Grenzen? Und wo beginnen wir unsere menschlichen Werte, unsere Achtung vor dem Leben über Bord zu werfen für ein rein rationales Kalkül? Das sind Fragen, die sind nicht ein für allemal geklärt, sondern sie tauchen immer wieder auf, überall dort, wo einzelne Menschen Grenzen überschreiten. Oft genug gedankenlos, oft genug gewissenlos. Das braucht Stopp-Schilder, keine Frage. Und im Grunde schwingt das als Anliegen mit, wenn beide Autoren am Ende der Analyse schreiben, dass man sich aus “Sicht des Glaubens” sehr wohl zu Wort zu melden habe, “wenn die wissenschaftlich verfolgten Interessen vor allem einer politischen und ökonomischen Machsteigerung dienen”.

Am Ende also dann doch noch das Wort, um das es immer geht, wenn Glauben und/oder Wissen missbraucht werden: Macht.

Und wenn es um Macht geht, dann verlieren eine Menge Menschen jedes Maß, jede Rationalität und jeden Maßstab für die Wirklichkeit. Aber wie man sie zur Raison bringt, dieses Mittel haben augenscheinlich weder Kirche noch Wissenschaft bis dato gefunden.

Rainer Eckel, Hans-Peter Großhans “Gegner oder Geschwister? Glaube und Wissenschaft, Evangelische Verlagsbuchhandlung, Leipzig 2015, 9,95 Euro

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