Wenn es nicht da stünde, wann diese Fotografien entstanden sind, man würde wohl eher auf die 1970er Jahre tippen, vielleicht noch die 1980er. In der Maramures in Rumänien scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Dabei ist der Rostocker Fotograf Axel Heller in den Jahren 2005 bis 2014 hingereist, um eine Region zu fotografieren, bevor sie ihr Gesicht verliert.

Ganz so hat er sich seiner Aufgabe zwar nicht gestellt. Aber der Fotograf, der 2012 bei Lehmstedt schon den Fotoband “Fotografien 1991 – 2012” herausbrachte, ist seit 2005 jedes Jahr in die Region im Norden Rumäniens gefahren, die von Bergen geprägt ist und auch für rumänische Verhältnisse recht abgelegen. Hier dominiert noch die klassische Landwirtschaft, bestehen die Ortschaften aus Kleinbauernhöfen mit traditioneller hölzerner Tor- und Hausarchitektur. In gewisser Weise begegnet der Fotograf hier einer konservierten Welt, die auch deshalb bis in die Gegenwart überdauert hat, weil Rumänien so lange von der Entwicklung des Westens abgeschottet war. Doch mit dem Beitritt des Landes zur EU im Jahr 2007 änderte sich das. Zumindest erzählen die eher poetischen Texte von Björn Reinhardt im Band davon, die versuchen, den Leser einzustimmen auf die vier Bilderzyklen.

Denn Heller hat seine Fotos nicht nach Jahresdaten sortiert, sondern nach Jahreszeiten, was naheliegt, denn noch wird das Leben in der Maramures vom Jahreszeitenzyklus der Landwirtschaft geprägt, von Saat, Hege und Ernte, und von Festen, die den Jahreslauf in der Landwirtschaft begleiten – Frühlingsfest, Almauftrieb, dazu die kirchlichen Feiertage von Ostern bis Allerheiligen. Die Religion ist hier noch allgegenwärtig, kirchliche Feiertage ein Treffpunkt für die ganze Region, Hochzeiten und Todesfälle sind gesellschaftliche Ereignisse, an denen das ganze Dorf teilnimmt.

Dass da ein neues Tempo droht, ein neuer Wettbewerbsdruck entsteht, das beschwören bislang nur die Texte. Heller selbst hat eine Landschaft festgehalten, die fast zeitlos wirkt, grandios und doch gnadenlos still unter richtigen Gebirgshimmeln. Stünde nicht dabei, dass diese Bilder aus Rumänien stammen, man könnte sie auch im Italien der 1950er Jahre verorten oder im Polen der 1980er. Manches könnte so auch in den großen Bildbänden des Lehmstedt Verlages erscheinen, in denen die Dorflandschaften der DDR in den 1960ern und 1970ern festgehalten sind. Alles verschwunden mittlerweile, entrümpelt, saniert, überholt vom Galopp einer ganz anderen Zeit. Und trotzdem wirkt diese Kärglichkeit vertraut, wirken diese geflickten Zäune, zusammengestoppelten Kleidungsstücke, einsamen Kneipenszenen so, als hätte das auch hierzulande genauso stattfinden können. Kürzlich erst, als auch der Osten Deutschlands so festgenagelt schien in der Zeit und alle Zeiger stillzustehen schienen.

Der Effekt wird dadurch verstärkt, dass Heller in Schwarzweiß fotografiert. Das nimmt den Fotos das Bilderbuchhafte, rückt sie in die Sehwelten der Dokumentarfotografie. Und dokumentarisch sind diese Bilder, auch wenn Heller das Land mit dem Blick des Künstlers erkundet. Er wartet auf seine Momente. Und dem geht wohl (was im Begleittext nur angedeutet ist) auch die wachsende Vertrautheit mit seinen Gastgebern voraus. Er ist nicht als Tourist unterwegs, sondern taucht ein in das Leben der Dörfer rund um die Kreisstadt Baia Mare, die wie so viele Städte des Ostens stecken geblieben scheint zwischen den Zeiten, von Bauten der Moderne durchzogen, an denen selbst schon wieder der Zahn der Zeit genagt hat, während die Menschen unten auf schlammigen Wegen doch wieder ihr altes Leben führen mit dem lokalen Markt, auf dem die Produkte aus der Region gehandelt werden.

Wie kommt die neue Zeit in diese Region? Auf den alten, ausgefahrenen Schienen der Bahn oder der einsamen Landstraße, die sich über den Bogdan Voda Pass schlängelt? Oder doch eher über das winzige Transistorradio, das sich ein vom Tagwerk müder Bauer ans Ohr hält? Oder mit dem Bus, auf den die beiden Männer in Budesti mit Strohhut und Bier in der Hand zu warten scheinen?

Heller wartet auf seine Momente, geht mit zu den Festen, schaut beim Schlachten zu und beim Scheren der Schafe. Er darf die kargen Behausungen der Dorfbewohner besuchen, fängt Kruzifixe und Petroleumlampen ein im Bild, zeigt die Menschen beim Trauern, beim Beten und Tanzen. Und immer wieder beim Arbeiten im Feld, bei der Heuernte, beim Holzeinfahren. Die Kinder und Jugendlichen kommen genauso ins Bild wie die Alten. Ein paar Leute arbeiten mit uralten Maschinen im Bergwerk. Das Haupttransportmittel scheint noch immer der Pferdewagen zu sein. Stimmungsvolle Landschaftsbilder zeigen, wie sehr diese abgelegenen Dörfer den Unbilden der Witterung ausgeliefert sind. Man hat sich angepasst, ist aber nach wie vor aufeinander angewiesen. Manche Szene fängt Heller in einem kargen Zwielicht ein – die Musikanten etwa, die zu Weihnachten durchs Dorf ziehen, die Alten in ihren Häusern. Er hat ein Gefühl für das Licht und denkt seine Fotos wie Gemälde. Auch deshalb wirken sie, ziehen den Betrachter in die Szene hinein und lassen ihn dennoch stutzen, weil das scheinbar Vertraute eben doch das schon Fremde ist.

Maramures ist eine verwirrende Landschaft in diesem Europa, in dem sich die Orte und Menschen immer mehr zu uniformieren beginnen, sich immer mehr dem Takt der modernen Märkte anpassen. So gesehen ist die Angst wohl berechtigt, dass auch diese einzigartige Maramures verloren gehen wird. Während sich die jungen Bewohner dieser Landschaft wahrscheinlich nichts sehnlicher wünschen, als Teil des großen Ganzen zu werden. Auch das ein  vertrautes Gefühl, das die Älteren noch kennen, die in solchen Landschaften des Ostens mal jung waren und sie für ewig und unveränderlich hielten, aufbewahrt nur in einem ewigen Flicken, Ausbessern, Wenden und Zusammenstoppeln.

Was nicht ausschließt, dass Heller gezielt nach solchen Bildern des Noch gesucht hat, ergänzt um eindrucksvolle (und zutiefst romantische) Bilder vom Nichtmehr. Meldet sich das Schonbald in den kessen Stiefeln der Mädchen oder in den Reifenspuren auf der Straße bei Viseu de Sus? – Vielleicht ist das Wissen darum sogar egal. Denn auch eine Welt, die nur noch auf die Veränderung wartet, ist es wert, festgehalten zu werden. Als Zeitschicht, als Moment menschlicher Unrast, die zwar Jahrhunderte auszuhalten weiß, wenn die Umgebungsgesellschaft wie erstarrt scheint, die aber von heut auf morgen auch alles umkrempeln kann, wenn die Ventile sich öffnen. Ein Bildband also, dessen Motive in beide Richtungen weisen, ein Durchgangsraum, in dem Heller noch einmal Bilder fand, die es in seiner eigenen Heimat seit 25 Jahren nicht mehr gibt. Immerhin kann er mit dem Wissen um diese schnelle Vergänglichkeit fotografieren und weiß auch, wie schnell diese Motive rar oder unauffindbar sein werden.

Und weil er das mit Talent für Licht, Stimmung und Kontraste getan hat, ist es auch für den Betrachter ein emotional bewegender Ausflug in ein vertraut wirkendes und doch sehr fremdes Land.

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