Es gibt Leute, die machen sich richtig viel Arbeit. Die knien sich noch einmal hinein in die ganzen vergangenen 25 Jahre der Leipziger Stadtentwicklung. Eine echte Schotterstrecke, von der man eigentlich - so im Nachhinein betrachtet - gar nicht mehr wissen will, wie heftig das war in den ersten zehn Jahren. Aber Dr. Arnold Bartetzky hatte das ja schon zum Thema eines ganzen Seminars am Institut für Kunstgeschichte der Uni Leipzig gemacht.
Eigentlich ist er Germanist, Philosoph und Kunsthistoriker, muss sich also eigentlich gar nicht mit so schwermütigen Themen wie der modernen Stadtentwicklung beschäftigen. Aber er tut es dennoch. Seit Jahren, und immer wieder mit Engagement. Denn er gehört zu den vielen Leipzigern, die die ganze Zeit mitgelitten haben. Und die sich freuen, dass es seit etwa zehn Jahren nun sichtlich endlich aufwärts geht. Aber die Zeit davor.
Die war schlimm.
Man hat es glatt vergessen. Erzählt haben es schon einige Bücher. Mit staunender Liebe Niels Gormsen und Armin Kühne in ihren großen Bildbänden “Leipzig im Wandel”, “Leipzig – den Wandel zeigen”, “Leipzig – Stadt des Wandels”. Bücher, die im direkten Bildvergleich zeigen, wie dramatisch der Leipziger Verfall bis 1989 war – und in welcher Schönheit hunderte Baudenkmäler wieder erstrahlten, nachdem um 1995/1996 endlich, endlich die Sanierungswelle begann, die Leipzig binnen weniger Jahre aus einem zum Abriss bestimmten Aschenputtel in die schönste Gründerzeitstadt der Gegenwart verwandelt hat. Und nicht zu vergessen Helge-Heinz Heinkers grimmig-liebevolles Zwischen-Resümee-Buch “Boomtown Leipzig”, 2004 bei Faber & Faber erschienen, aus dem Arnold Bartetzky immer wieder zitiert.
Bartetzky fängt trotzdem noch einmal ganz am Anfang an, bei der zum flächenhaften Abriss heruntergewirtschafteten Stadt von 1989 und der nicht zu unterschätzenden Rolle dieses “planmäßigen” Verfalls als einer der Auslöser der Demonstrationen im Herbst 1989. Ein Großteil der Energie in diesem “Wendeherbst” war pure Wut – Wut auf eine Politik, die eine der reichsten und schönsten Städte Deutschlands regelrecht hatte kaputtgehen lassen. Der Zorn wuchs im Osten, wo die ersten Wohnquartiere niedergewalzt wurden, um neue Plattenbauten hochzuziehen. Die Wut kochte in Connewitz, wo es genauso zuging. Die Wut brodelte in den heruntergewirtschafteten Häusern des Westens und des Nordens. Und sie wurde sichtbar in der TV-Doku “Ist Leipzig noch zu retten?”, die bis heute immer wieder zitiert wird – bei Planern, Architekten, Historikern.
Doch fast vergessen ist, wie lange es dauerte, bis die Rettung der Stadt tatsächlich in Gang kam. Was mit den anfangs völlig falschen Weichenstellungen auf Bundesebene zu tun hat. Denn in den ersten Jahren nach der deutschen Einheit gab es die Förderungen und Steuerabschreibungen praktisch nur für Neubau. Im ganzen Osten brach ein regelrechter Bauboom aus. Nur kam der den historisch gewachsenen Städten nicht zugute. Denn dort war man noch auf Jahre hinaus mit der Klärung der Eigentumsansprüche beschäftigt, entwickelte kluge Rahmenpläne, wie das auch in Leipzig passierte.
Doch die Millionen wurden da verbraten, wo sofort große, billige Bauflächen zur Verfügung standen: auf der “grünen Wiese”. Riesige Gewerbegebiete, Wohnparks und Einkaufstempel entstanden. Mit einer einzigen falschen Entscheidung hatte die Bundesregierung binnen weniger Jahre das geschafft, wozu die Suburbanisierung im Westen 40 Jahre gebraucht hatte.
Auch fast vergessen, wie sehr diese Monstren draußen vor der Stadt auch die Entwicklung der Leipziger Innenstadt über Jahre ausbremsten. Als der Immobilienjongleur Jürgen Schneider in Leipzigs guter Stube zusammenkaufte, was immer seine Kreditgeber ihm finanzierten, war selbst in diesem Kleinod der kompakten Stadt noch nichts begonnen, standen reihenweise die Baudenkmäler zum Abriss. Niemand traute sich zu investieren. Die City war trist und grauenvoll verlassen.
Auch fast vergessen, dass es nicht Herr Schneider war, der der City wieder Leben einhauchte, sondern ein Großprojekt, dem die damalige Leipziger Öffentlichkeit geradezu widerborstig begegnete: der Umbau des Hauptbahnhofs mitsamt den Promenaden. Eine beliebte Leipziger Zeitung befeuerte auch damals schon das Volksgemüt – und das Volk ging demonstrieren, die einen gegen den Shopping-Tempel, die nächsten gegen das überdimensierte Parkdeck (das nach einer Intervention von OBM Hinrich Lehmann-Grube denkmalverträglich angepasst wurde). Die Sache hätte auch schief gehen können.
Doch die Bahn, die den sichtlich ebenso entleerten alten Bahnhof mit Leben erfüllen wollte, hatte in diesem Fall recht gehabt. Mit der Fertigstellung des Projekts begann das Aufblühen der Leipziger Innenstadt, kam auch wieder Leben in die Leipziger Einkaufs-Boulevards.
Es war ein langer, zäher Weg. Auch wenn einige der Sanierungen das Denkmalschützer-Herz bluten ließen. Denn von vielen Leipziger Prachtstücken blieb nicht mehr als die imposante Hülle stehen. Drinnen wurde entkernt und völlig neu gebaut. Das ist eigentlich das Kernthema, das Arnold Bartetzky abarbeiten wollte in seinem Buch, das anfangs durchaus etwas schmaler ausfallen sollte. Aber wie das so ist, wenn ein Verleger zu einem Autoren sagt “Mach mal!”, dann entwickelt der Stoff manchmal ein Eigenleben und es wird immer mehr. Erst recht, wenn einer wie Bartetzky sich eben nicht nur mit der Bewertung der wichtigsten Bauprojekte beschäftigt, sondern auch mit den Stadtentwicklungsplänen, die teilweise schon vor dem Wendeherbst ’89 entstanden, weil auch den Planern und Architekten im Rathaus das Herz blutete, weil die ganze schöne Stadt in Trümmer ging und die paar Leipziger Baukolonnen alle in Berlin gebunden waren. In Leipzig ackerte eigentlich nur das Baukombinat Leipzig (dann und wann sah man auch ein paar fleißige polnische Restauratoren) und kannte freilich nur ein Thema: Betonplatte für alle. Für den Substanzerhalt fehlte jegliche Kapazität. 30.000 oder (nach anderen Schätzungen) 60.000 Wohnungen waren unbewohnbar.
Und noch 1990 zweifelten auch die Fachleute, ob das alles überhaupt noch gerettet werden konnte.
Und der Zweifel war berechtigt. Denn die großen Abschreibeprogramme zur Sanierung von Baudenkmälern, die legte die Kohl-Regierung erst fünf Jahre später auf, als sich auch bis nach Bonn herumgesprochen hatte, was für einen Unfug man mit der Neubau-Förderung angerichtet hatte. 70.000 Leipziger flohen in dieser Zeit aus der desolaten Stadt und zogen in die in Windeseile hochgezogenen Wohnparks im Speckgürtel. Die Hälfte des Leipziger Einwohnerverlustes zwischen 1989 und 1999 waren solche Verluste ans direkte, zugemörtelte Umland. Deswegen sind einige Zahlen, die Bartetzky da und dort zitiert, nicht ganz so schrecklich, wie sie klingen.
Aber für die stolze Bürgerstadt war es trotzdem ein Aderlass, der am Ende der 1990er Jahre weitere fatale Entscheidungen nach sich zog. Denn jetzt war zwar die Altbausanierung endlich in Gang gekommen – doch nun fehlten die Mieter. Und in einigen Stadtteilen begannen die kaputten Häuser von allein in sich zusammenzurutschen. Da tat sich das zuständige Dezernat aber ganz schwer, ein Sicherungsprogram aufzulegen. Was auch wieder mit der Bundesebene zu tun hatte, die nun einen erneuten “Lichtblick” hatte. Auch dort hatte man gemerkt, dass im Osten Hunderttausende Wohnungen leer standen – nicht nur, weil die Ostdeutschen zur Arbeit in den Westen gegangen waren, sondern weil auch in anderen Städten und Dörfern riesige Wohnparks am Rand der alten Orte hochgezogen worden waren. Aber wer reißt denn Neues ab? Also gab es ein riesiges Abrissprogramm für die Städte. Das auch in Leipzig zuschlug.
Und wenn es nicht so nachhaltige Proteste von Bürgern gegeben hätte (besonders markant beim Abriss der Kleinen Funkenburg und wenig später beim geplanten Abriss der Wohnanlage in der Zerbster Straße), die von Engelbert Lütke-Daldrup erfundene “perforierte Stadt” wäre Wirklichkeit geworden.
Fast vergessen.
Dabei ist gerade dieses heftige Kapitel gerade erst zehn Jahre her. Leipzig war längst wieder eine wachsende Stadt, obwohl es in Beiträgen der überregionalen Presse immer noch als Musterbeispiel der “schrumpfenden Stadt” verkauft wurde. Egal ob Politik oder Medien – sie tun sich alle schwer, Entwicklungen zeitnah zu erkennen.
Der einzige Vorteil für Leipzig: Hier dauerte der Lernprozess nur fünf Jahre. Der Nachteil: Eine politische Ebene höher ist der Groschen immer noch nicht gefallen, der Lernprozess dort dauert augenscheinlich 10 oder 15 Jahre. Wenn die Leipziger Pech haben, noch länger.
Aber ist denn alles schön, was in den letzten Jahren gebaut wurde?
Mehr dazu in Teil 2 hier auf L-IZ.de
Arnold Bartetzky “Die gerettete Stadt. Architektur und Stadtentwicklung in Leipzig seit 1989“, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2015, 19,90 Euro
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“Doch fast vergessen ist, wie lange es dauerte, bis die Rettung der Stadt tatsächlich in Gang kam. Was mit den anfangs völlig falschen Weichenstellungen auf Bundesebene zu tun hat. Denn in den ersten Jahren nach der deutschen Einheit gab es die Förderungen und Steuerabschreibungen praktisch nur für Neubau. Im ganzen Osten brach ein regelrechter Bauboom aus. Nur kam der den historisch gewachsenen Städten nicht zugute. Denn dort war man noch auf Jahre hinaus mit der Klärung der Eigentumsansprüche beschäftigt, entwickelte kluge Rahmenpläne, wie das auch in Leipzig passierte.
Doch die Millionen wurden da verbraten, wo sofort große, billige Bauflächen zur Verfügung standen: auf der “grünen Wiese”. Riesige Gewerbegebiete, Wohnparks und Einkaufstempel entstanden. Mit einer einzigen falschen Entscheidung hatte die Bundesregierung binnen weniger Jahre das geschafft, wozu die Suburbanisierung im Westen 40 Jahre gebraucht hatte.”
Und wo die Bundesregierung (CDU) aufhörte, macht bis Landesregierung (CDU) bis heute kräftig weiter.
In 25 wird es wieder ein Buch geben, in dem dann die ganzen Gräueltaten aus Dresden nachzulesen sein werden.
Ein scheiß Spiel ist das…