Nach 1989 waren auch in Leipzig die großen Aufräumer am Werk. Straßen wurden umbenannt, Denkmäler demontiert, Gedenktafeln entfernt. Was da in DDR-Zeiten alles hingebaut wurde, das konnte ja wohl nur Schrott sein. Oder? Bei Einem jedenfalls waren die Wegräumer und Abschrauber zu eifrig: Bruno Apitz, Ehrenbürger der Stadt und Autor des Weltbestsellers "Nackt unter Wölfen".

Über die Forschung des jungen Chemnitzer Historikers Lars Förster zum Leben des am 28. April 1900 in Leipzig geborenen Schriftstellers haben wir an dieser Stelle schon kurz berichtet. Mittlerweile hat er seine Dissertation abgeschlossen und sie liegt nun als politische Biografie im be-bra-Verlag vor. Für Jeden nachlesbar, der sich mit den einfachen Legenden über die DDR, den Kommunismus und die KPD/SED nicht zufrieden geben mag. Und mit diesen einfachen Legenden sind nicht nur die Schnellschreiber nach 1990 gemeint, die das alles gern in der Tonne versenkt hätten auf Nimmerwiedersehen. Nur ja nicht mehr damit beschäftigen. Müllhaufen der Geschichte, war so ein Schlagwort.

Zu den Strickern einfacher Legenden gehörten auch schon die Propagandisten in der DDR, die Apitz und sein weltberühmtes Buch früh schon vereinnahmten und ihrerseits einseitige Deutungen lancierten. Was dabei immer verloren geht, ist die Vielschichtigkeit von Biografien. Auch solche eingefleischte Kommunisten, die nach ihren Erfahrungen im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, im Nazi-Reich und in zwei Weltkriegen aus vollem Herzen daran glaubten, man könne eine andere Gesellschaft mit anderen Menschen und Werten aufbauen.

Fast alle gelangten sie in den 1950er und 1960er Jahren an den Punkt, an dem ihre Ideale mit der Wirklichkeit eines stalinistischen Funktionärsapparates kollidierten. Die Einen gerieten direkt in die Mühlen der Parteijustiz (wie Janka, Harich, Loest), die anderen verließen das Land, das mit ihrem Ideal nichts mehr gemein hatte (Bloch, Mayer). Und wieder Andere versuchten trotzdem ihre Überzeugung zu bewahren, gingen aber trotzdem auf Distanz zum Parteiapparat. Wie Apitz.

Solche Haltungen kann man verdammen. Das ist immer die billige Version. Aber die macht niemanden klüger und beantwortet vor allem auch nicht die Frage, warum durchaus kluge Köpfe den ostdeutschen Weg – zum Teil bis in die 1970er Jahre – als gangbare Alternative zum kapitalistischen Weg im Westen betrachteten.

Von “emanzipatorischer Kraft des Kommunismus” spricht der Verlag. Und Apitz steht in seiner Haltung geradezu symbolisch für diesen Glauben – und geriet gerade deshalb in Dissenz zur SED, die er in den 1960er Jahren nicht mehr als seine Partei begriff. Was auch mit dem Umgang zu seiner Idee zu tun hat, die er erst 1955 tatsächlich begann, in einen Roman zu verwandeln. Vorher hatte er sie der DEFA angeboten, um einen Film draus zu machen. Doch die hatte abgelehnt und lieber den unbequemen Dramaturgen ziehen lassen.

Auch das gehört zu der in DDR-Zeiten nicht geschriebenen Geschichte von “Nackt unter Wölfen”, die Förster nun ausführlicher erzählt – wie man selbst beim seinerzeit mutigen und experimentierfreudigen Mitteldeutschen Verlag daran zweifelte, ob sich “noch eine KZ-Geschichte” überhaupt würde verkaufen lassen. Damit, dass das Buch sofort mit Veröffentlichung 1958 zum Bestseller wurde, rechnete selbst Apitz’ Lektor Martin Gustav Schmidt nicht, der sich nach Fertigstellung des Buches noch 1958 in den Westen absetzte. Eine Geschichte, die Förster nur kurz andeutet, die aber natürlich in die Geschichte des gewaltigen Abflusses vieler kritischer Intellektueller gen Westen nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands und der verschärften Verfolgung kritischer Köpfe durch die DDR-Justiz gehört. Die Stasi hatte Martin Gustav Schmidt längst im Visier.

Im Westen machte der Mann dann unter dem Pseudonym Martin Gregor-Dellin als begnadeter Journalist und Schriftsteller zu Recht Karriere. Und auch Apitz war sich dessen bewusst, dass es ohne das beharrliche und kluge Lektorat von Schmidt nie diesen Weltbestseller “Nackt unter Wölfen” gegeben hätte.

Dass anderseits diese Geschichte nur einer wie der überzeugte Kommunist Bruno Apitz schreiben konnte, wird deutlicher, wenn seine gesamte Lebensgeschichte erzählt wird, nicht nur seine achtjährige Gefangenschaft im KZ Buchenwald, die in DDR-Zeiten auch nur rudimentär erzählt wurde, quasi als begleitendes Hohelied auf die Kommunisten als einzige wichtige Kraft des antifaschistischen Widerstands. Dass dieselben gerühmten Widerstandskämpfer schon früh wieder aus dem SED-Apparat hinausgedrängt wurden, wurde natürlich nicht berichtet. Genauso, wie man die ehemaligen Buchenwaldhäftlinge ausbootete, als es um die Gestaltung der Erinnerungsstätte Buchenwald ging.

Oder mal etwas überspitzt: Mit richtigen Kommunisten konnte die ulbrichtsche SED nichts anfangen. Sie störten, auch deshalb, weil sie gelernt hatten, selbst Verantwortung zu übernehmen. Ohne das hätten sie weder in der Weimarer Republik reüssieren können noch die Nazi-Zeit überlebt. Schon gar nicht die Zeit im KZ. Dass die SS ausgerechnet den politischen Häftlingen in Buchenwald die Organisation im Lager überließ, hat damit zu tun. Kurz diskutiert Förster auch die Frage, inwieweit sich die Kommunisten damit auch schuldig gemacht haben an den Taten der SS. Aber genau das ist ja die Frage, die Apitz in “Nackt unter Wölfen” diskutiert. Oder diskutiert hat. Denn viele Stellen, in denen er sich intensiv mit den moralischen Fragen dieser Art des Schuldigmachens in einer derart ausweglosen Situation beschäftigte, sind in der 1958 veröffentlichten Endfassung nicht enthalten. Die sind erst wieder in einer Neuausgabe des Romans im Aufbau Verlag, die 2012 erschien, zu finden.

Aus der liebenswerten Geschichte um die Rettung eines Kindes wird so viel deutlicher die Geschichte von Menschen, die unter schlimmsten Umständen nicht nur die Kraft gefunden haben, “sich als Menschen zu beweisen”, sondern die jeden Tag aufs Neue auch mit Entscheidungen konfrontiert waren, die in der Regel keine zwischen Gut und Böse waren, sondern zwischen schlimm und grauenvoll und weniger schlimm und verhängnisvoll. Und mehrfach hat Apitz dann auch in Interviews betont, dass er versucht hat, diese Zerrissenheit auch erlebbar zu machen. Das Buch handelt eben doch von ein bisschen mehr als nur dem “Triumph der Menschlichkeit”, wie Marcel Reich-Ranicki einmal schrieb.

Natürlich beleuchtet Förster auch die Leipziger Kindheit und Jugend von Bruno Apitz, der im tief proletarischen Leipziger Osten geboren wurde und schon früh den Kontakt zur sozialdemokratischen Jugend fand. Aber die war schon vor 1918 in Leipzig deutlich radikaler als die Reichs-SPD. Was auch mit der Rolle Karl Liebknechts und seinem anfangs sehr einsamen Kampf gegen Kriegskredite und Burgfriedenspolitik zusammen hing. 1927 trat Apitz dann der KPD bei und machte sich vor allem als Kulturorganisator einen Namen. 1933 wurde er erstmals verhaftet und 1934 gleich wieder, weil er nach seiner Entlassung sofort wieder daran gegangen war, eine Parteizelle im Osten mit aufzubauen. Seine erste Haft erlebte er übrigens schon 1918, als er nach einem Streik kurzerhand wegen versuchter Kriegsschädigung ins Zuchthaus kam. Aber in der Untersuchungshaft ging es ihm wie Karl May: Er kam mit der Literatur in Kontakt, der Anstaltsgeistliche versorgte ihn sogar mit Shakespeare.

Ein neuer Shakespeare ist aus ihm nicht geworden. Woran möglicherweise auch das schuld ist, was er als Sohn einer alleinstehenden Ladeninhaberin nie bekommen konnte: einen Realschul- oder Gymnasialabschluss und danach gar ein Studium. Selbst seine erste Lehre musste er abbrechen, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Auch das unübersehbar einer der vielen Gründe, die am Ende seine Einstellung begründeten. Und seine Hoffnung, dass das nach der Zerschlagung des Faschismus anders werden könnte.

Sein Misstrauen gegen Intellektuelle wie Stefan Heym ist er nie los geworden.

Aber auch die kurze Begegnung mit der Stasi lässt Förster nicht weg, eine Liaison, die Apitz selbst beendete. In gewisser Weise sei Apitz in der DDR immer ein Unzeitgemäßer gewesen, schätzt Förster ein. Einer, der sich mit dem Antifaschismus zu beschäftigen begann, als die Offiziellen lieber den proletarischen Bauarbeiterroman haben wollten, und der sich – auch sichtlich enttäuscht – in die Geschichte des Jahrhunderts vergrub, als die regierenden Genossen die Weimarer Zeit schon im Archiv entsorgt hatten. Am Ende wird es das Porträt eines Mannes, der zwar die Regierenden nie kritisierte, sich aber trotzdem nicht mehr zu Hause fühlte in diesem seltsamen Karrierestadl SED. Und so gesehen auch unter den Widersprüchen dieses Landes litt, dem Widerstreit zwischen den anfänglichen Idealen und der zunehmend trister werdenden Funktionärsrealität. Aber das wird eben erst sichtbar, wenn man sich wie Förster tatsächlich mit der ganzen Lebensgeschichte so eines Mannes beschäftigt und die lange Zeit offiziell gehandelten Bilder hinterfragt.

Und das passiert derzeit gleich auf verschiedenen Ebenen.

Gleich mehrere Termine beschäftigen sich in den nächsten Tagen mit Bruno Apitz:

Der MDR greift das Thema in einem Beitrag in der Reihe “Geschichte Mitteldeutschlands – Das Magazin” am Dienstag, 31. März, um 21:15 Uhr auf.

Am Samstag, 18. April, gibt es von 11:00 bis 17:00 Uhr im Festsaal im Neuen Rathaus (Martin-Luther-Ring 4) ein Symposium “Verfolgt – Bejubelt – Vergessen. Zum Leben und Werk von Bruno Apitz”. Dort werden Marlis Apitz, seine Witwe, sowie Bruno-Apitz-Forscher aus aller Welt, unter anderem aus England, Österreich und Deutschland, vortragen.

Und am 2. April kommt auch die Neuverfilmung (auf Grundlage der Neuausgabe von 2012) von “Nackt unter Wölfen” durch Philipp Kadelbach als DVD in den Handel. Lars Förster: Bruno Apitz. Eine politische Biographie.

Diese Neuverfilmung wird im Vorfeld des 70. Jahrestages der Befreiung des KZ Buchenwald am Mittwoch, 1. April, im ARD um 20:15 Uhr ausgestrahlt.

Lars Förster “Bruno Apitz. Eine politische Biographie”, be.bra Wissenschaft Verlag, Berlin 2015, 36 Euro

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