Da blättert man nun ganz hektisch durch - und nichts. Kein Warnblitz, kein Achtungszeichen. Das Jahr 2011 war ein ganz normales, popliges Jahr, was das Wetter in Leipzig betrifft. Ein bisschen mehr Schnee als sonst im Januar. Aber nicht mal erwähnenswert für Peter Noack: das kleine Winterhochwasser, das im Januar die halbe Medienwelt in Leipzig in Panik versetzte und die Verantwortlichen dazu animierte, den "Tornadoerlass" des sächsischen Umweltministers auf Leipzig anzuwenden. Und dann das.
Dabei gehört Peter Noack zu den Urgesteinen der Leipziger Wetterexperten. Er hat es nicht studiert, hat kein offizielles Amt inne, beschäftigt sich seit über 50 Jahren als Wetterbeobachter, betreibt sein Hobby hochprofessionell, war als Ansprechpartner für die Medien immer gefragt und findet auch bei den hauptamtlichen Meteorologen hohe Wertschätzung. Prof. Dr. Franz Jacobs und Dr. Michael Börngen sind solche hauptamtlichen Geophysiker und Meteorologen. Und für sie war es natürlich ein Erlebnis, das Archiv von Peter Noack einmal durchforsten zu können. Sie haben es gesichtet und digitalisiert. Und so nebenbei entstand aus dem Material, das Noack seit den 1950er Jahren gesammelt hat, dieses Buch.
Und es befasst sich nicht nur mit diesen über 50 Jahren, die voller Ereignisse und Überraschungen stecken, die damals die ganze Stadt in Aufregung versetzten – ob das eine Riesenfuhre Schnee zur Messe war, ein Extrem-Hagel oder eine extreme Trockenheit. Irgendwie ist fast jedes denkbare Wetterphänomen, das in Leipzig möglich ist, in der Zeit auch mindestens einmal aufgetreten. Noack hat es registriert, hat auch noch seine persönlichen Erlebnisse aufbewahrt und sich auch von den amtlichen Meteorologen Material besorgt. Er hat sich sogar eine eigene kleine Wetterstation aufgebaut. Und er hat sich das nötige Rüstzeug angelesen. Denn Meteorologie ist nach wie vor eine Wissenschaft. Alle Welt redet zwar gern übers Wetter. Immerhin beeinflusst es unser täglich Leben – manchmal höchst heftig, manchmal auch sehr erfreulich.Doch in der Regel weiß man als Laie so gut wie nichts über Wetterfronten, Hoch- und Tiefdruckgebiete, Wolkenformationen und Niederschlagsmengen, über typische Wetterlagen und Extremereignisse. Man lässt sich schnell ins Bockshorn jagen, wenn selbsternannte Experten ihre Meinungen verkünden oder eher kleine Normalereignisse (wie das Winterhochwasser 2011) fast zu Katastrophenereignissen aufblasen. Auch zu Hochwassern in Leipzig gibt es ein eigenes Kapitel im Buch, das gerade Jacobs und Börngen auch dazu nutzen, die größeren meteorologischen Zusammenhänge zu erläutern. Es gibt einen faktenreichen Ausflug in die Entwicklung der Wetterbeobachtung in Leipzig, das man wohl mit Fug und Recht den Ort nennen kann, an dem die amtliche Wetterbeobachtung in Deutschland Gestalt annahm. Deswegen gibt es hier auch Messreihen, die teilweise an die 200 Jahre weit zurück reichen.
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Davor wird es aus guten Gründen recht dünn, denn wer keine Messgeräte hat, kann auch keine Daten sammeln, bestenfalls Beobachtungen. Aber auch das interessiert mittlerweile nicht nur Historiker, sondern auch heutige Meteorologen und Klimatologen. Denn die Beobachtungen, die Menschen vergangener Jahrhunderte über extreme Wetterereignisse niederschrieben, lassen überhaupt erst einmal Vergleiche zu. Noch spannender wird es in vorgeschichtlicher Zeit. Aber selbst dazu lässt sich so einiges sagen, denn wenn Archäologen, Geologen oder Paläontologen ihre Ausgrabungen machen, dann sammeln sie natürlich auch die Indizien, die Rückschlüsse zulassen auf frühere Klimaperioden und ein Thema, an dem sich heute manche Leute den Kopf heiß reden: die Temperaturveränderungen. Wenn man nur weit genug zurück geht in der Geschichte, dann findet man dort alle Extreme. Selbst in Zwischeneiszeiten wurde es im heutigen Raum Leipzig oft wärmer, als es derzeit ist.
Der kleine, aber so gern vergessene Unterschied ist: Unsere heutige Zivilisation entstand in einer Epoche mit sehr stabilem Klima weltweit. Wenn sich die Verhältnisse so drastisch ändern, wie es die Prognosen voraussagen, dann saufen nicht nur Küsten ab, dann ändern sich auch die Bedingungen für die Landwirtschaft, für unsere zum Teil sehr anfälligen Infrastrukturen. Und Leipzigs Infrastrukturen waren in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder arg strapaziert. Das Extreme ist natürlich das, was Noack immer besonders faszinierte. Deswegen gibt es dann auch das Kapitel zu den Hochwassern, die für Leipzig seit der slawischen Besiedlung normal sind. Selbst zur Völkerschlacht führte die Weiße Elster Hochwasser und erschwerte den Rückzug Napoleons.Die Aue von Weißer Elster und Pleiße war sogar regelmäßig überschwemmt. Das war bis ins 19. Jahrhundert normal. Erst mit der Industrialisierung Leipzigs (Stichwort: Infrastrukturen) begann man das als Problem zu empfinden, und begann, die Flüsse zu regulieren und Hochwasserschutzsysteme zu bauen. Was nicht verhinderte, dass es trotzdem zu so genannten “Jahrhunderthochwassern” kam, denen die Systeme nicht (ganz) gewachsen waren. Im Buch werden insbesondere die Ereignisse von 1924 und 1954 beschrieben, die vom Umfang her deutlich stärker waren als das, was die Leipziger Anfang Juni 2013 erlebten.
Aber Noack und seine beiden Ko-Autoren versuchen natürlich, das ganze Bild zu zeichnen, erzählen von Extrem-Wintern und Extrem-Sommern, bereiten die Daten zur auch in Leipzig spürbaren Erwärmung auf, erzählen von verregneten und von zu trockenen Jahren. Was aus Noacks Sicht besonders anschaulich wird, weil er für die Stadtwerke bei jedem Wetter raus musste, um wichtige Versorgungsanlagen zu reparieren, egal, ob noch immer Frost von 20 Grad herrschte oder ob die Kohlen knapp waren, wie das in DDR-Wintern sehr schnell passierte, wenn die Tagebaue absoffen.
Mittendrin und dann noch einmal im Anhang sind dann alle möglichen Wetterextreme aus Leipzig gesammelt – vom Temperaturrekord von 38,0 Grad Celsius im Jahr 1943 bis zum Negativrekord von minus 28,6 Grad im Jahr 1850. Die letzten Jahre glänzen zwar eher nicht mit Einzelrekorden – dafür mit Höchstwerten im Jahresmittel. 2003 zum Beispiel war das wärmste Jahr in den Wetteraufzeichnungen seit 1830. Und nicht nur die frühe Forschergemeinde aus Leipzig lernt man kennen, man erfährt auch, dass hier 1826 die erste Wetterkarte das Licht des Hörsaals erblickte – und was eigentlich dazu gehörte, überhaupt erst einmal Wetterkarten zu zeichnen, die für uns heute etwas ganz gewöhnliches sind.
Leipzig. Alle Wetter
Peter Noack; Franz Jacobs; Michael Börngen, Edition am Gutenbergplatz 2014, 24,50 Euro
Ein richtiges Buch also für Leute, die übers ganz konkrete Leipziger Wetter, seine Extreme und vor allem seine Einbettung ins große Wettergeschehen mehr erfahren wollen. Eigentlich auch eine Art kleines Geschichtsbuch, denn die offiziellen Historiker vergessen ja zumeist, auch das Wetter zu erwähnen. Dabei macht das Wetter ja selbst Geschichte. Man denke nur an 1813 oder – gleich danach – die finstereren Jahre 1815/1816, als ein Vulkanausbruch in der fernen Südsee auch in Leipzig den Himmel verfinsterte, die Sommer und die Ernten verdarb.
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