Da staunte selbst Mathias Bertram, der sich ja nun in der Fotografie der DDR auskennt wie kaum ein Zweiter: Selbst nach mehreren großen Bänden zu den großen Namen der dokumentarischen Fotografie in der DDR kann er eine echte Neuentdeckung vorlegen mit diesem Band, der das Lebenswerk der Fotografin Brigitte Voigt erstmals in einer solchen präsentablen Form darbietet. Dabei ist die heute 80-Jährige im Kosmos der DDR-Fotografen keine Unbekannte.
Sie arbeitete sogar jahrelang an einer der wenigen und deshalb umso wichtigeren Schaltstellen der Medienlandschaft der DDR, an denen engagierte Fotografie überhaupt ihren Weg in die (gedruckte) Öffentlichkeit finden konnte: als Betreuerin des Bildressorts beim legendären “Magazin”. “Eine einsame Insel in der Presselandschaft der DDR” nennt Bertram das Heft, das neben “Sibylle” und “Sonntag” und – in einigen Fällen auch der “NBI” – den wichtigsten Fotografen des Ostens eine Plattform zur Veröffentlichung bot. Von 1965 bis 1988 betreute sie die Bildabteilung des Heftes, das seine Leser monatlich mit Literatur, Kultur, Porträts, Grafik und Fotografie erfreute. Als einzige Publikation des Landes präsentierte es auch künstlerisch eindrucksvolle Aktfotografie. Und zumeist trat Brigitte Voigt hinter den im Blatt veröffentlichten Kollegen zurück. Selbst ihre eigenen Fotos im Heft wurden nicht immer als ihre erkennbar. Einen eigenen großen Bildband bekam sie nie.
Was möglicherweise mit dem Schicksal ihrer 1963 vorgelegten Diplomarbeit zu tun hat – einem professionell selbst gestalteten Bildband mit dem für ihre Arbeit kennzeichnenden Titel “Wir sind jetzt vier”. Ihre eindrucksvollen Fotos einer jungen Familie waren darin auf poetische Weise vereint mit einem Text von Günter Rücker. Doch der Versuch, das Buch tatsächlich in der DDR zu veröffentlichen, scheiterte. Es zeigte einigen Leuten “zu wenig Sozialismus” – oder eben das, was man in der Parteihierarchie dafür hielt: neue, moderne Wohnblöcke und Stadtlandschaften zum Beispiel.Mancher Fotograf fängt an so einer Stelle an, erst recht rebellisch zu werden. Aber das war sichtlich nicht die Art von Brigitte Voigt, die ihren Stil zu Fotografieren, nicht mehr aufgab. Auch in den nächsten Jahren fotografierte sie mit sensiblem Blick die Menschen in ihrer Umgebung – die Kinder der Schwester, das keineswegs inszenierte Familienleben, die Gesichter von Freunden und Bekannten. Um faszinierende Fotografien zu erstellen braucht es in der Regel keine spektakulären Momente, keine grandiosen Landschaften, Auftritte oder gar offiziösen Veranstaltungen. Wer den Blick des Fotografen hat, der erkennt das Authentische und Unverwechselbare in seiner direkten Umgebung. Da ist eher die Frage: Beherrscht man das verfügbare Material so gut, dass man diese Momente auch auf Film bannen kann? Möglichst ohne Blitzlicht, ohne irgendeinen Eingriff oder die von Pressefotografen so geliebte Theatralisierung?
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Brigitte Voigt hat es ja nicht nur an der Kunsthochschule Weißensee studiert – wo sie auch Kontakt zu den wichtigen Berliner Fotografen fand, sie hat auch das Talent mitgebracht, ohne das solche Bilder nicht entstehen. Bertram erzählt in seiner recht ausführlichen Würdigung der Fotografin vom Einfluss, den René Groeblis Fotobuch “Das Auge der Liebe” auf Brigitte Voigts Arbeitsweise hatte, seinerzeit selbst in Westeuropa ein Skandal, wie das meist mit einer wirklich sensiblen Sicht auf Liebe, Vertrauen und Körperlichkeit ist. Da verwechseln dann verklemmte Streithähne schnell die angesprochenen Gefühle mit den Verbotszonen ihrer zur Schau getragenen Prüderie. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Außer dass solche Fotobände vielleicht nicht mehr so viel Aufmerksamkeit bekommen, weil sich die Prüden anderswo versorgen und die Schar der Freunde guter Fotografie mit solchen Bildern ganz anders umgeht.
Denn selbst in einer Zeit, da alles mit bunten, schrillen und schreienden Fotos überflutet ist, wirken die Schwarz-Weiß-Fotografien aus den Werkstätten der Ostfotografen, wie sie der Lehmstedt Verlag nun schon in etlichen großen Fotobänden veröffentlicht hat, wie der Blick in eine andere Welt: tiefer, dichter und trotz der Stille der eingefangenen Momente viel lebendiger als all das tagesaktuelle Geschrei. Lebendiger als die steile Propagandafotografie der DDR-Zeit sowieso.
Mathias Bertram verweist immer wieder gern auf die Traditionslinie der Fotografen um Arno Fischer, die bis in die große Zeit der französischen Fotografie in den 1920er Jahren zurückreicht. Ganz ohne Öffentlichkeit blieben natürlich auch die Arbeiten von Brigitte Voigt nicht. Mit der Gruppe “Direkt” stellte sie mehrmals öffentlich aus. Und einige Serien, denen sie sich mit viel Feingefühl widmete, haben auch Eingang in diesen Bildband gefunden – ihre Bilder aus dem polytechnischen Unterricht zum Beispiel, ihre Paarporträts oder aus dem kleinen Wanderzirkus Alberti. Sie sind eingebettet in die Bildserien, mit denen sie an ihre Diplomarbeit “Wir sind jetzt vier” anknüpfte.
Aus dem Diplomprojekt entwickelte sich so ganz nebenbei ein Lebensprojekt, bei dem Brigitte Voigt mit der Kamera die Kinder beim Größerwerden begleitet, die kleine Familie beim Wachsen, im Alltag, beim Ausflug in den Park, dem Ausflug ans Meer. So ganz nebenbei wird das ganze – zum Teil recht karge – Leben im Land sichtbar, was die Hauptakteure in den Bildern aber nicht die Bohne zu stören scheint. Auch wenn die Kinder – etwa wenn sie in der armseligen Landschaft an der Elbe bei Magdeburg sitzen – schon ein wenig verloren wirken. Was auch daran liegt, dass Brigitte Voigt nicht nur lichterfüllte Sommerbilder gemacht hat, sondern auch zum Teil recht melancholische Herbstaufnahmen, Bilder in der Dämmerung, viele Kontrastaufnahmen, in denen die Personen winzig wirken in einer großen, oft schwer wirkenden Landschaft.
Aber auch das ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal dieser Fotografengeneration – der Blick für das Poetische in Situationen, die aus anderer Perspektive schlicht alltäglich wirken würden, das Gefühl für Raumwirkungen und die Positionierung des Menschen in zum Teil grauen, kargen, leblos wirkenden Stadträumen. So ganz nebenbei: ein echter DDR-Blick, der auch die Tristesse geschundener Stadträume und Landschaften mit einfing. Man denkt fast zwangsläufig an die parallelen Versuche eines Wolfgang Mattheuer in Leipzig, in Ölbildern diese Art geschundener Landschaft festzuhalten und darin den fast trostlos oder verloren wirkenden Menschen.
Aus Kindern werden Leute
Mathias Bertram; Brigitte Voigt, Lehmstedt Verlag 2014, 24,90 Euro
Das Malerische begegnet dem Nachdenklichen. Und in Brigitte Voigts Bildern wird auch spürbar, wie sehr das Leben im geschundenen Land von Melancholie geprägt war, einer Melancholie, die sich mit Poesie mischt und selbst in den Gesichtern der Jugendlichen einem Ernst, der verblüfft, weil diese Ernsthaftigkeit heute so völlig verloren scheint. Möglich, dass auch das nur sichtbar wird, weil die Fotografin zu all den von ihr Fotografierten eine sehr persönliche Beziehung aufgebaut hat, in der eine Maskerade des Lächelns nicht mehr notwendig ist, in der auch intime Szenen möglich sind und der Betrachter doch nicht das Gefühl hat, zu stören oder Voyeur zu sein. Spätestens da merkt man, dass die Arbeit von Brigitte Voigt was Besonderes hat. Höchste Zeit also für diesen ersten Band, der das Werk der Fotografin einmal kompakt greifbar macht.
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