Der Geburtsort war Leipzig, an jenem 3. Oktober 2004, als mal wieder der Hamburger Neonazi Christian Worch seine Marschierer aus der ganzen Republik zusammentrommelte, um eine seiner nervenden Demonstrationen in Leipzig abzuhalten. Mit dem kleinen Unterschied zu den Vorjahren: Diesmal sollte es nicht durch den Leipziger Osten gehen oder zum Völkerschlachtdenkmal, sondern mitten in den Leipziger Süden, nach Connewitz, ins Wohnzimmer des alternativen Leipzig. Kann nicht sein, dachte sich ein kleines Häuflein junger Kreativer.
Der Abend auf der Dachterrasse war wohl etwas angeregt, die Ideen schäumten über. Aber irgendwann schälte sich heraus, dass das Hauptproblem all der Rechten-Aufmärsche in Leipzig nicht der notwendige Gegenprotest war – der organisierte sich jedes Mal und hatte sich auch mit jeder neu angemeldeten Worch-Demo professionalisiert. Aber dennoch war in den gedruckten Zeitungen der Stadt nach jeder dieser Demonstrationen nicht vom dumpfen Blödsinn der Nazi-Aufmärsche und deren schwachsinnigen Parolen zu lesen. Die Schlagzeilen von “Bild” und LVZ widmeten sich groß und breit und Ängste schürend den Ausschreitungen am Rande der Gegenproteste. Jede brennende Mülltonne wurde hochstilisiert zum Angriff auf die Zivilgesellschaft. Die zum größten Teil friedlich Protestierenden wurden – wenn überhaupt – nur in Nebensätzen erwähnt. Der brave Bürger, der am Wochenende verschreckt hinter seinem Ofen gesessen hatte, bekam nur eine Botschaft: Gewaltbereite Linke legen unsere schöne Stadt in Schutt und Asche. Und Worch und Kumpane hatten das, was sie wollten, auch wenn sie meist nur ein paar hundert Meter weit kamen: Der Gegenprotest war durch die Bilder und Überschriften diskreditiert.
Und das wäre immer so weiter gegangen. Friedliche Protestanten sind für schlagzeilenversessene Medien nicht mal ein Foto wert. Randale aber zieht immer. Und sorgt auch noch dafür, dass die Leserbriefspalten sich dann tagelang füllen mit Empörung – Empörung von Leuten, die von der Demo erst in der Zeitung gelesen haben. Quasi Fern-Empörung.
Was sich ändern musste, waren also die Bilder. Die Presse sollte andere Bilder bekommen, solche, die für Aufsehen sorgten und trotzdem ins Schwarze trafen. Bilder, die den strammen Nazis auch noch die Botschaften wegnahmen, die ihr ganzes verschwiemeltes Gedöns entlarvten als das, was es immer war: Ein mit Kreide in der Stimme vorgetragener Abklatsch des ganzen faulen Zaubers des vergangenen Hitlerreiches. Die Idee war geboren, die dann am 3. Oktober 2004 erstmals öffentlich Gestalt annahm. Eine Kunstaktion sollte es werden, einmalig, einprägsam, punktgenau. Ein Häuflein Mutiger in schwarzen Anzügen, mit roten Papierbinden mit weißen Kreis drauf und darin ein dicker, deutscher Apfel. Ein Flugblatt gab’s auch noch, das in genauso fetter altdeutscher Schrifttype erklärte, was die “Front Deutscher Äpfel” wollte bzw. nicht wollte.
Die Worch-Truppe kam an diesem Tag überhaupt nicht weit. Von allen Seiten waren Worchs Wanderburschen blockiert. Wer sich erinnert: Die einschlägigen Zeitungen klatschten trotzdem wieder die Bilder von brennenden Mülltonnen in der Windmühlenstraße aufs Titelbild. Aber viele Teilnehmer des Gegenprotests nahmen trotzdem dieses kleine verrückte Häuflein von Apfelfrontlern wahr, die den stundenlang wartenden Nazis tatsächlich die Show stahlen.
Eigentlich hätte daraus auch nie ein Buch oder gar eine zehnjährige Bewegung werden sollen. So war das von den 13 Akteuren der ersten Stunde nie angedacht gewesen. Doch ihre Satire-Aktion machte Schule, ermutigte schon an diesem 3. Oktober die 2. Generation, die dann prägend werden sollte für die nächsten Jahre, als es nicht nur gegen Worchs Ausflüge nach Leipzig ging, sondern auch gegen den Nazi-Spuk in Dresden. Auch das scheinen eine Menge Leute mittlerweile vergessen zu haben: Dass die Gedenkveranstaltungen zum Dresdner Bombardement 2005, 2006 längst zu einem europaweiten Aufmarsch der vereinigten Neonazis geworden waren – bis zu 8.000 wälzten sich durch die Stadt. Und das Häuflein derer, die sich diesem Spuk entgegenstellten, war klein. Da musste auch die Front Deutscher Äpfel (FDÄ) lernen, erlebte aber auch, dass ihre Auftritte nicht nur die Polizei verwirrten, sondern auch die Rechtsextremen.
Doch ihre Auftritte waren Vorbild. Auch davon erzählt das Buch. In vielen Bundesländern, die unter den regelmäßigen Aufmärschen der Nazis zu leiden hatten, gründeten sich neue Gruppen, Gaue der Apfelfront, die das 2004 in Leipzig erfundene Outfit übernahmen und medienwirksame Aktionen starteten. Und das nicht immer ganz allein. In Mecklenburg-Vorpommern gab es sogar Unterstützung aus der Regierung, als ein Polizeipräsident aus der Provinz nicht begreifen wollte, was Demonstrations- und Meinungsfreiheit eigentlich bedeuten.
Im Buch erzählen die Akteure all der Apfelfront-Aktionen selbst, wie die Dinge liefen. Sie erzählen über Lehrstunden und Erfolge, aber auch über die Tiefpunkte. Denn was im Kern eine selbstständige, mutig inszenierte Satire-Aktion sein sollte, entpuppte sich dann bei einigen Leute als Spielfeld für gepflegte Vereinsmeierei. Da hatten dann ein paar Leute wirklich nicht begriffen, dass die FDÄ gerade davon lebt, dass mutige Menschen selbst die Initiative ergreifen und tun, was getan werden muss, um den Ewiggestrigen die Show zu stehlen.
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Das konnte auch zu echten künstlerischen und soziologischen Debatten führen. Auch davon werden etliche im Buch reflektiert. Immerhin ging es auch immer um die Frage der Motivation: Wie lange zieht man die Show durch, wenn man nach all den Jahren gemerkt hat, dass auf der anderen Seite immer wieder dieselben unbelehrbaren Nasen stehen? Das wird doch langweilig. Immer das gleiche Muster. Aber da es ja vor allem eine künstlerische Aktion war, boten sich irgendwann auch Variationen an – wie 2007 der “Marsch auf Berlin”, der dann den ersten echten Apfelfront-Film erbrachte, oder 2009 der Brimboria-Kongress, als man sich mal auf ganz hohem kunsttheoretischen Niveau über Fakes und die Formen der subversiven Aneignung von Propaganda aller Art austauschte.
Gerade die Autoren der 1. und 2. Generation lassen immer wieder durchblicken, dass sie die Idee der Apfelfront zwar anfangs begeisterte, dass sie aber immer mehr wollten, etwas, was über die Entlarvung des ganzen Nazi-Repertoires hinausging. Nur schien irgendwie nicht klar zu sein, was das sein könnte. Woher kam dieses Unbehagen? – Mit dem Brimborium-Kongress kamen sie der Sache schon etwas näher. Denn es sind ja nicht nur die Neonazis aus aller Welt, die sich eines Repertoires an Verstellung, durchschaubarer Parolen und blasiger Formeln bedienten. Deutlicher wurde das, als Leute wie Tilo Sarrazin und Akif Pirinci anfingen, ihre “Muss man doch mal sagen dürfen”-Bücher zu veröffentlichen und im Dunstkreis der sogenannten “Neuen Rechten” auf einmal das große Wabern anfing, in dem die alten Parolen aus der ganz rechten Ecke in leicht abgewandelter Form nun als dumpfes Grummeln eines zutiefst beleidigten Bürgertums erschienen.
Und als das nicht nur in Deutschland so zu wabern begann, sondern auch in den Nachbarländern. Da staunten auch die Leipziger nicht schlecht, wie ihr Aktionsformat auf einmal Ländergrenzen übersprang und in Ungarn zum Beispiel eine Knoblauchfront begann, gegen den trüben Nationalismus Aktion zu machen. Nach zehn Jahren beginnt das Format erst so richtig zu zeigen, was in ihm steckt. Denn tatsächlich geht es um mehr als nur das künstlerische Moment. Im Spiel mit den Uniformen und Stereotypen der Rechten und Rechtsextremen geht es auch um die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem, was sie zu bieten haben. Und viel ist das nicht. Egal, ob da ein dumpfes Volkstum wabert (das dann auch mal als “Deutschland schafft sich ab” auftauchen kann), ein biederes und verlogenes Familienbild oder die Verachtung gegen alles Fremde und Unverstandene – die Muster ähneln sich alle. Und sie sind – das stellen die Interviewten immer wieder fest – eine Beleidigung für jeden denkenden Menschen.
Front Deutscher Äpfel
Max Upravitelev, Fruehwerk Verlag 2014, 19,90 Euro
Das beginnt mit dem ganzen Lamento gegen “die Medien” und ihre vermeintliche “Gleichschaltung” – und dann werden die ganzen Beispiele für das rechte Untergangsszenario just aus diesen Medien zitiert. Das geht weiter beim ewigen Gejammer über Zensur und fehlende Meinungsfreiheit – und das auf offener Bühne und in fetten Büchern mit Millionenauflagen. Und es hört beim Gestammel über die Rechte oder Nicht-Rechte Andersliebender nicht auf. Und das latscht jetzt auch noch mit der bräsigen Behauptung auf Straßen und Plätze: “Wir sind das Volk!”
Da wächst eine Menge Arbeit heran für die satirische Aktionskunst. Und ohne Satire wird es nicht gehen, das steht am Ende nach Dutzenden ausgiebiger Interviews, einer detaillierten Chronik und vielen Zwischenanalysen fest: So viel Gebrabbel über chauvinistische, homophobe und nationalistische Ressentiments braucht als Antwort richtige, scharfe und deutliche Satire. Die vielleicht nicht mal in der alten Kluft der Apfelfront auftauchen muss. Kunst braucht ja keine Uniformen. Kunst ist wandelbar – und wenn sie sich in den Kampf begibt, dann muss sie auch mal wehtun, gerade all denen, die glauben, Vorurteile seien schon Erkenntnisse und Verschwörungstheorien so eine Art Weltanschauung.
Das Buch zum Zehnjährigen der Front Deutscher Äpfel ist nun da. Und es ist kein Abgesang auf zehn Jahre schöne Aktionen geworden, sondern eher ein Praxisbuch, das am Ende deutlich macht, dass die eigentliche Apfelernte erst beginnt. Und dass es dazu viele bissige Ideen braucht. Denn die Ressentiments, um die es geht, stecken tief in den heutigen Gesellschaften Europas und ihre Vertreter würden nur zu gern durchregieren und wieder alles zurückbeamen in eine Zeit, als alles schön dumpf, klebrig und vorgestrig war. Und Satire natürlich verboten. Wo kämen wir da hin, wenn die da alles sagen dürften?! Muss man doch mal sagen dürfen.
www.fruehwerk-verlag.de
http://apfelfront.de
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