Wer Wittenberg besucht, sollte - neben all den Erinnerungsstätten der Reformation - das Cranachhaus nicht verpassen, das heute - dank rührigen Engagements eines Vereins und einer Stiftung - wieder zu besichtigen ist und zeigt, wie der wohl wohlhabendste Bürger Wittenbergs einst lebte. Und so nebenbei lernt er auch den Mann kennen, der der Reformation ein Gesicht gegeben hat.
Nicht nur mit dutzenden, vielleicht sogar hunderten Bildern von Dr. Martin Luther, sondern mit weit über 1.000 Bildern, in denen er der Botschaft Luthers ein Bild gegeben hat. Vielleicht waren es auch über 5.000. Und gemalt hat sie Lucas Moller aus Kronach ja auch nicht alle allein, auch sein Sohn Lucas Cranach der Jüngere nicht. In ihrer Einleitung zum Buch geht Sonja Poppe noch einmal ausführlich auf den sächsischen Hofmaler und erfolgreichen Unternehmer Lucas Cranach ein. Fast könnte man sagen: Medienunternehmer, denn seine Werkstatt übernahm im Grunde für ihre Zeit eine Aufgabe, die in heutigen Zeiten Massenmedien übernommen haben. Übrigens ein zentrales Kennzeichen der Reformation, die erstmals auch ein medial begleiteter Reformansatz war. Ein Vorteil, den der Reformversuch von Jan Hus im 15. Jahrhundert noch nicht hatte. Und die engen Verbindungen des vom Buchdruck begeisterten Luther zu Cranach sind auch durch die enge Zusammenarbeit bei den illustrierten Druckschriften Luthers, aber auch bei massenwirksamen Flugblättern nachweisbar. Dazu gibt es ein eigenes Kapitel im Buch, auch wenn Sonja Poppe vor allem den erfolgreichen Maler ins Zentrum ihrer Arbeit stellt.
Denn Lucas Cranach tat auch etwas, was nur aus der Fernsicht von 500 Jahren Abstand nicht so sehr spektakulär aussieht: Er schuf die Bildwelt, die den neuen Ansatz Luthers auch für Menschen erfassbar machte, die nicht lesen konnten oder sich die keineswegs billige Lutherbibel nicht leisten konnten. Zu einer neuen Botschaft, die verstanden werde soll, gehören vertraute Szenen und eindeutige und einfache (Neu-)Interpretationen. Und zu Cranachs Zeit gehörten dazu natürlich auch Fürsten (wie der Wittenberger Friedrich der Weise), die bereit waren, so einen Mann als Hofmaler zu beschäftigen, aber auch zahlungskräftige Käufer, die bereit waren, ihm seine Bilder abzukaufen. Manches davon scheint in der Werkstatt von Vater und Sohn Cranach geradezu im Fließbandprinzip gearbeitet worden zu sein, Motive tauchen fast gleichartig wieder auf.
Der Stil der Werkstatt lässt sich selbst für Kenner oft nicht vom prägenden Stil des Meisters unterscheiden.
Zu einigen der wichtigsten Cranach-Motive hat Sonja Poppe in diesem Buch kluge, wissensreiche Analysen angefertigt. Neben dem von ihr ausgewählten Bild steht in der Regel die ausführliche Bibelstelle, auf die sich das Bild bezieht. Womit Cranach ja direkt den Lutherschen Interpretationskanon aufnahm und dessen Neuinterpretation wichtiger Bibelstellen. Auch das ist etwas, was aus 500 Jahren Distanz erst einmal nicht auffällt: Diese Bilderwelt ist uns vertraut. Seien es die sehr sinnlichen Bilder von Adam und Eva im Paradies, Christus und die Ehebrecherin oder Christus beim Segnen der Kinder. Alles Bilder, die Luthers Sicht auf Taufe, Gnade, Schuld und Sünde zeigen. Und die – verglichen mit den religiösen Darstellungen vor Luther – irdischer wirken, menschlicher, weil sie die Menschen in ihrer Unvollkommenheit und Gefährdung zeigen – und in einer neuen, nun nicht mehr untertänigen Haltung zu ihrem Gott. Selbst hinter der Vertreibung aus dem Paradies steckt ja jetzt nicht mehr eine immerwährende Strafe, sondern eine Geschichte, die Verletzlichkeit und Unvollkommenheit neu denkt. Keiner ist mehr ohne Schuld – aber die Gnade gilt jedem. Selbst Lucas Cranach d. Ä. selbst, wie auf dem Weimarer Alter zu sehen ist.
Und nicht nur die neue Sicht auf die Bibel macht Cranach sichtbar.
Er hat auch unser Bild von Luther und seinen Wegbegleitern geprägt. Ohne Cranach, so stellt Poppe sachlich fest, hätten wir kein Bild von Luther – nicht von diesem strengen, kampflustigen Augustinermönch von 1520, nicht vom bärtigen Junker Jörg von 1522 und auch nicht vom ernsten Professor und Ehemann ab 1528, dem sich dann bald sein Kampfgefährte Melanchthon und seine geliebte Frau Katharina hinzugesellten. Eindeutig ein politisches Bildprogramm. Bis hinein in die Neudeutung Marias, die in der katholischen Kirche stets überhöht und als Gottesmutter glorifiziert wurde, bei Cranach aber zu einer jungen, sinnlichen Mutter wird, unterm Apfelbaum sitzend wie Eva – nur bietet der junge Jesus dem Betrachter statt des Apfel ein Stück Brot an. Das Abendmahl ganz im Lutherschen Sinn ist präsent, ohne dass es aufdringlich wirkt. Aber Cranach hat auch ganz Bildergeschichten gemalt. Typisch dafür der Wittenberger Reformationsaltar, der neben dem zentralen Abendmahl auch die Themen Taufe, Beichte und Predigt aufnimmt.
Sonja Poppe macht also auch dem heutigen Kunstliebhaber wieder schön deutlich, wie sehr Cranachs Werkstatt dazu beitrug, die Reformation medial zu unterstützen. Möglicherweise hat die Reformation über die Bilder noch viel stärker gewirkt als über Luthers Texte selbst. Und der Leser bekommt so nebenbei eine Ahnung, wie clever Cranach den Markt seiner Zeit bediente. Dass er sich dabei den Erwartungen seines Käuferpublikums wesentlich stärker anpasste als etwa Dürer, haben ihm einige Kunstexperten später angekreidet. Der heutige Wahn, alles in Rankings einzuordnen, ist so ganz neu nicht. Das machte auch schon einen Großteil der Kunstwissenschaften im 19. Jahrhundert ungenießbar.
Der Beliebtheit Cranachs hat es nicht geschadet.
Und Sonja Poppe zeigt in ihrem reich bebilderten Buch recht anschaulich und facettenreich, wie man die Bilder aus der Cranach-Werkstatt zur Reformationszeit lesen konnte – und wie man es auch heute noch lesen kann, wenn man sich wieder mit den zum Teil sehr offen liegenden Botschaften und Schlüsseln beschäftigt. Dann wird das Bild wieder zu einer Geschichte. Und manchmal ist es ganz gut, die zugehörige Bibelstelle zu kennen, um auch das Frappierende zu erkennen, das um 1530 in einigen der gewählten Motive steckte. Als Beispiel etwa das 1537 gemalte Bild “Simson und Delila” von Lucas Cranach d. J., in dem in dieser Geschichte aus dem Alten Testament das damals wie heute hochmoderne Thema “Die Macht der Frauen” thematisiert wird.
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