Das Buch hat Gewicht, auch wenn es auf den ersten Blick eher wie ein Schulbuch aussieht. 140 Seiten mit vielen Grafiken und Karten und Erklärungen und aussagekräftigen Bildern. Geschrieben hat es mit Prof. Dr. Karl Mannsfeld der wichtigste Umweltpolitiker der sächsischen CDU. Umweltminister war er zwar nie, dafür drei Jahre lang ein kompetenter Kultusminister. Aber in ihrer Substanz hat er praktisch alle wichtigen sächsischen Umweltgesetze mitformuliert.
Ein Teil davon wurde in den vergangenen fünf Jahren kräftig verwässert und demoliert. Aber Mannsfeld ist nicht nur Landschaftskenner und Geoökologe, er ist auch ein konzilianter Mann. Wenn er kritisiert, dann anhand von Fakten und substanziell. Er ist – typischer Wissenschaftler – kein Mann der Ausrufezeichen. Eher ein penibler Wortfuchs, der auch einmal Seiten darauf verwendet zu klären, was denn überhaupt mit Worten wie Landschaft oder gar Kulturlandschaft gemeint ist. Beides inflationär gebraucht und missbraucht, in romantischen Episteln genauso wie im Tourismus-Marketing, ebenso in der politischen Gesetzgebung und der wissenschaftlichen Literatur. Beides Worte, mit denen gern etwas zugekleistert wird, mit denen eine Urtümlichkeit suggeriert wird, die es nicht mehr gibt.
Eine vom Menschen unbeeinflusste Naturlandschaft gibt es in Sachsen praktisch nicht mehr. Die kannten jene Siedler noch, die in der Zwischeneiszeit hier mal kurz hereinschneiten. Die kannten auch noch die Jäger und Sammler, die vor 20.000 Jahren hier einwanderten. Aber die Ackerbauern, die hier um 5.500 vor der Zeitrechnung zu siedeln begannen, veränderten nach und nach, überformten und verdrängten. Anfangs auf Siedlungsinseln entlang der Flüsse, was bis heute die Archäologen begeistert. Mit dem ausgreifenden Landbau seit etwa 1.000 Jahren aber wurden erst die dominierenden Urwälder dezimiert, wurden vor allem die wertvollen Lössböden kultiviert, später ging es auch den Bergwäldern zu Leibe.Nach der Begriffsklärung referiert Mannsfeld in aller Kürze zum Nachlesen, was auch in dem großen Bild-Text-Band “Sächsische Landschaften” in aller Fülle geschildert wurde: 26 Teilräume, die die sächsische Kulturlandschaft prägen – von der Elbe-Elster-Niederung bis zum Zittauer Gebirge. Jeder Teilraum hat seine geologischen, klimatischen und ökologischen Besonderheiten. Da und dort gibt es auch eingesprengte Naturschutzgebiete. Viel zu wenige, stellt auch Mannsfeld fest. Schon in seiner Schilderung der verschiedenen Kulturlandschaften geht er auf die ökologischen Probleme ein, die heute unübersehbar sind, aber von sächsischer Politik konsequent ignoriert werden.
Gern aus “wirtschaftlichen Gründen”, wenn man an den schwammigen Schmusekurs mit den großen Agrarbetrieben denkt, die Sachsens wertvolle Böden im Tief- und Hügelland beackern. Mit industriellen Anbaumethoden. Die zunehmende Erosion der wertvollen Böden reißt ja auch Umweltminister Frank Kupfer ab und an zu einem Seufzer hin – nur zu einem Handeln im Sinne der eigenen Beschlüsse kann er sich nicht aufraffen. Doch: Einmal hat er es getan, bei der “konservierenden Bodenbearbeitung”, einer Bearbeitungsform ohne Pflug, zeitweilig der absolute Heilsbringer, wenn man den Verlautbarungen der Politik glauben durfte. Doch diese Methode hat massiv zur Bodenverdichtung in den Lössgebieten beigetragen. Und der Herbizideinsatz ist drastisch angestiegen. Die Bodenverdichtung trägt dazu bei, dass die Böden kaum noch speicherfähig sind und im Starkregenfall das Wasser umso schneller in die Flüsse abfließt, während viele ursprüngliche Kleingewässer, Moore und Tümpel, Hecken und Wiesenraine systematisch aus den Agrarfluren entfernt wurden. In den letzten Jahren noch viel systematischer als in der DDR-Zeit – was auf weiten Flächen die Schutzräume für Flora und Fauna hat verschwinden lassen – was inzwischen die Existenz von zahlreichen Tierarten in Sachsens Fluren bedroht.
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Und wenn die Regengüsse die feine Ackerkrume zu Millionen Tonnen in die Flüsse spülen, nehmen sie logischerweise auch all das mit, was die Bauern an Chemie auf die Felder gebracht haben – auch den größeren Teil der Düngemittel. Auch der massiv ausgeweitete Maisanbau hat dazu beigetragen, dass die Nitrateinträge in die Flüsse massiv angestiegen sind. Ein Ergebnis ist: Nur 6 Prozent der sächsischen Oberflächengewässer haben einen guten ökologischen Zustand. 67 Prozent haben einen unbefriedigenden bis schlechten Zustand. Hochwasserschutz hat eine Menge mit Landwirtschaft zu tun. Aber auch mit dem genauso wichtigen Thema der Versiegelung – die in Sachsen ungebremst weiter geht, trotz der von der Regierung so gern beschworenen “demografischen Entwicklung”. Auch dazu gibt es kritische Worte im Buch, zum allein auf technischen Hochwasserschutz fixierten Denken der Staatsregierung sowieso. Mannsfeld erinnert sich noch an Zeiten, als in Sachsen von 67.000 Hektar natürlicher Überschwemmungsflächen der Flüsse gesprochen wurde. Nach der Flut von 2002 waren es dann noch 7.700, die dann auf 6.400 eingedampft wurden. Umgesetzt bis zur Flut von 2014 wurden 130. Das war’s. Effekt: minimal.
Und auch die Leipziger Burgaue benennt er. Ein Foto zeigt die Stahlteile, mit denen die Landestalsperrenverwaltung 2011 die Luppe-Deiche “verstärkt” hat. Ökologisch ein Unfug. Sagt Mannsfeld auch. Mit anderen Worten. Dahinter ist nichts als Auenwald, der dringend Wasser braucht. Aber das soll ja jetzt mit einem besonderen EU-geförderten Projekt hergestellt werden – als Kompensationsmaßnahme.Natürlich geht es, wenn man beginnt, sächsische Kulturlandschaft zu analysieren, darum, wie sie erhalten werden kann, wie vor allem ihr ökologisches Gleichgewicht und die Artenvielfalt bewahrt werden können. In den oft winzigen sächsischen Naturschutzgebieten allein geht das nicht. Dazu sind sie zu klein, gibt es zu wenige ökologische Brücken, die eine Verbindung herstellen. Stichwort: “unzerschnittene verkehrsarme Räume”. Aber in Sachsen muss ja in jedes Dorf eine Autobahn führen. Sachsen hat’s ja. Immer wenn es um klare Naturschutzregeln geht, werden sie aufgeweicht, ignoriert oder gänzlich ausgehebelt. Es ist ein Unding, dass staatlich anerkannte Naturschutzverbände in Sachsen ihre Beteiligungsrechte einklagen müssen.
Wie oft rühmt sich die Landesregierung der tollen FFH- und SPA-Gebiete? Ist das nicht grandioser Naturschutz? – Ist es nicht. Nur 32 Prozent der Lebensraumtypen in den sächsischen FFH-Gebieten sind “günstig”, also mehr oder weniger intakt. Bei 62 Prozent sind die Vorzeichen negativ. Bei den dort zu schützenden Arten sind die Verhältnisse noch schlechter. Nur für 25 Prozent sind die Bedingungen günstig. Wie die Grünen eben grade nach einer Landtagsnachfrage stellt auch Mannsfeld fest: Für immer mehr Arten wird’s jetzt ganz prekär. Das “Normalinventar” unserer Kulturlandschaft geht verloren.
Das Buch ist eine harte Bilanz für das, was Sachsens Regierung unter Naturschutz versteht. Und da Mannsfeld auf die Grundlagen eingeht, auch auf die geltenden Gesetze, die Rolle einer intakten Kulturlandschaft für die Existenzgrundlage der hier Lebenden, ist die Abrechnung umso deftiger. Und mit allem Recht des Wissenschaftlers fragt Mannsfeld natürlich am Schluss: “Welchen Stellenwert hat die Naturerhaltung in Politik und Gesellschaft?”
Natürliche Grundlagen der sächsischen Kulturlandschaft
Karl Mannsfeld, Edition Leipzig 2014, 19,95 Euro
Er spricht dabei vom “Vorsorge- und Nachhaltigkeitsprinzip”, das er in der sächsischen Politik vermisst. Und in einem großen roten Kasten zählt er dann die sieben schlimmsten Sünden der letzten Jahre auf: vom Baum-ab-Gesetz über die Abschaffung des Vorkaufsrechts für naturschutzrelevante Flächen bis zur miserablen Unterstützung für die Naturschutzverbände und den fehlenden Naturschutzbeiräten.
Es ist also auch ein kleines Lehr- und Mahnbuch für Politiker und Verwaltungsleute, die sich nicht immer nur aufs Hörensagen verlassen wollen. Denn eines ist Fakt: Sachsen braucht gerade in Sachen Naturschutz auch mehr Fachleute in den entscheidenden Gremien.
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