1997 hat die Leipziger Musikwissenschaftlerin Brigitte Richter das bezaubernde Insel-Bändchen Nr. 1178 "Frauen um Felix Mendelssohn Bartholdy" vorgelegt. Aber naturgemäß passt in so ein Insel-Bändchen nicht allzu viel hinein. Was kann man da machen, wenn es noch viel mehr zu erzählen gibt über die Frauen im Leben dieses Musikers? Mindestens 29 sind wichtig, stellt Brigitte Richter fest.
Am Ende dieses Buches mit seinen 250 Seiten und zahlreichen Bildern hat der Leser so ein ganz eigenartiges Gefühl. Nicht nur Mendelssohn Bartholdy gegenüber, der sein ganzes kurzes Leben lang das Interesse der Frauen erweckte, sondern auch den Frauen gegenüber. Angefangen mit Lea, seiner Mutter, Fanny und Rebecka, seinen hochbegabten Schwestern. Natürlich ist da auch Vater Abraham noch zu ahnen. Aber man merkt es schon bei diesen ersten Porträts aus seiner Familie, dass Frauen auch schon prägend sind für das, was aus Männern wird – ob sie lernen, respektvoll, liebevoll, kulturvoll mit sich, ihrer Mitwelt und vor allem auch Frauen umzugehen.
All das lernte Felix in seiner Familie samt Umgangsformen, die heute selbst in den so genannten “besseren Kreisen” manchmal geradezu vergessen scheinen. Von diversen Frauen- und Männerbildern in der täglichen deutschen Medienlandschaft ganz zu schweigen, die selten eine kulturvolle ist, weil auch den hochbezahlten Edelfedern oft nicht einmal bewusst ist, dass Kultur im Kleinen anfängt: im Umgang mit sich selbst, seinen Talenten, Fähigkeiten – und mit den Menschen, die einen umgeben. Und zwar allen. Ausnahmslos. Ob sie Künstlerkollegen oder -kolleginnen sind, Kritiker oder Publikum, Gastgeber oder Gäste.
Man merkt es ja auch, wenn man das liebevoll wieder hergerichtete Mendelssohn-Haus besucht. Man spürt das Flair dieses Haushaltes und die Hochachtung voreinander, die auch Felix und seine Cécile lebten. Es war ein gastfreundliches Haus. Und so wie Mendelssohn Bartholdy mit seinen Nächsten umging, so verhielt er sich gegenüber Kolleginnen und Kollegen. Wo er Begabung und Professionalität sah, honorierte er es auch. Solche Menschen werden zum Zentrum eines ganzen Kosmos, denn natürlich wollten die Besten auch mit diesem Musiker arbeiten. Leipzig erlebte seinerzeit die Besten der Besten in den Gewandhauskonzerten. Und das Gewandhauspublikum scheint außer sich gewesen zu sein, wenn die begnadetsten Sängerinnen der Zeit in den Konzerten sangen.Ein Publikum, dem man für gewöhnlich einen konservativen Kunstgeschmack zuschrieb. Aber es war auch Mendelssohn Bartholdy, der die Maßstäbe verschob. Auch weil er Leipzig zwar als Schaffensort zu schätzen wusste – aber gerade seine Erfahrungen in London bildeten einen anderen, wichtigen Horizont. Er arbeitete mit den Besten des Kontinents, mit Frauen, deren Namen noch heute Klang haben, weil auch die Literaten der Zeit von ihnen schwärmten – von der Malibran, von Jenny Lind, von Clara Novello, von Clara Schumann sowieso. Manche Hochbegabte gingen ja der Bühne verloren, als sie heirateten – wie Livia Frege.
Aber nicht nur mit Musikerinnen war Mendelssohn in Kontakt. Er schätzte kluge Frauen auch dann, wenn sie nicht mit ihm Klavier spielten oder sangen. Mit Ottilie von Goethe hielt er Kontakt zum geistvollen Weimar, Rahel Varnhagen und Adele Schopenhauer gehörten zu seinem großen Bekanntenkreis. Und natürlich kommt immer wieder Fanny ins Bild, die von Zeitgenossen als genauso begabt eingeschätzt wurde wie ihr Bruder. Doch während er andere Frauen animierte, auch an die Öffentlichkeit zu gehen, mahnte er ausgerechnet Fanny um Zurückhaltung. Das hat Folgen bis heute. Während sich ganze Akademien um das Werk von Felix bemühen, ist von Fanny nur das Allerwenigste publiziert – und damit auch in den Konzerten der Welt kaum präsent. Es sind solche kleinen Weichenstellungen, die die Aufmerksamkeit der Welt verschieben und Frauen in den Hintergrund rücken lassen.
Wie wichtig gerade Fanny für den Nimmermüden war, zeigt die Wucht, mit der ihr früher Tod am 14. Mai 1847 den Bruder traf. Er zog sich völlig aus der Öffentlichkeit zurück, versuchte in einem mehrmonatigen Urlaub in der Schweiz und Süddeutschland wieder auf die Beine zu kommen. Doch als er im Herbst wieder in Leipzig war, wirkte er auf alle, die ihn kannten, tief gezeichnet. Am 9. Oktober erlitt er seinen ersten Schlaganfall, am 4. November starb er, gerade einmal 38 Jahre alt.
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Umso erstaunlicher der große Kosmos von Frauen, die in seinem Leben eine wichtige Rolle spielten, denen er immer Zeit widmete für Gespräche, für gemeinsame Musikabende, Besuche und eine umfangreiche Korrespondenz. Er widmete ihnen Kompositionen, beschenkte sie mit Zeichnungen und kleinen Gemälden. Denn malen konnte er ja auch. Für ihn war es selbstverständlich, auch und gerade Frauen deutlich zu machen, wie sehr er sie wert schätzte – auch und gerade für ihr Können, ihren Witz, ihre Klugheit. Das fällt selbst in diesem romantischen deutschen Biedermeier auf, das die Frauen gern anhimmelte und verklärte. Auf den Bildern der Zeit wirken sie wie Blumen, mal verträumt, mal in poetischer Pose. Ganz Muse und “holdes Weib”.
Nur mit einem Frauentyp konnte Felix wohl nicht so recht: dem kritischen, fordernden. Rahel Varnhagen gehörte dazu, noch stärker Bettina von Arnim. Das passte irgendwie nicht zu seinem Temperament. Laut und heftig hat man ihn wohl selten erlebt.
Natürlich werden in den 29 Porträts, die Brigitte Richter zeichnet, auch die Sitten und Lebensverhältnisse der Zeit sichtbar. Für Mendelssohn Bartholdy überschnitten sich ja die Welten – die der Kunst und die der bürgerlichen Kultur. Für Frauen galten in beiden Sphären völlig unterschiedliche Regeln. Und selbst die begabteste Künstlerin verließ in der Regel die Bühne, wenn sie eine bürgerliche Ehe einging. Deswegen spielte sich ein Großteil des kulturellen Lebens in den bürgerlichen Salons ab. Mendelssohns Musik drückt ja auch das Lebensgefühl dieser Zeit aus. Ein Gefühl, das der vier Jahre jüngere Wagner schon nicht mehr teilen konnte. Seine späteren rücksichtslosen Angriffe gegen Mendelssohn Bartholdy sind auch Angriffe gegen eine Welt, die Wagner so nicht erlebte. Mancher bekämpft im Leben immer das am heftigsten, was er so gern selbst gewesen wäre. Und ein anderes Frauenbild pflegte Wagner ja bekanntlich auch.
So wird auch im Verhältnis zur Frau und im kollegialen (oder eben nicht kollegialen) Umgang der Entwicklungsstand einer Gesellschaft und ihrer männlichen Vertreter sichtbar. Und die Diskussionen der Gegenwart zeigen, dass die alten Debatten noch immer neu sind, die Frauenverächter so grimmig wie einst und das Selbstverständnis, mit dem ein Mendelssohn Bartholdy Frauen achtete und bestärkte, heute so selten ist wie zu seiner Zeit.
Frauen um Felix Mendelssohn Bartholdy
Brigitte Richter, Eudora-Verlag 2014, 19,90 Euro
Die kleinen Porträts – von Lea bis zur englischen Königin Viktoria – hat Brigitte Richter reich gespickt mit Zitaten der Porträtierten, die ihr Verhältnis zu Felix Mendelssohn Bartholdy nacherlebbar machen. Es sind eher selten Schwärmereien, dafür viele Äußerungen von Respekt und Nähe.
Und da auch immerfort auf die Musik verwiesen wird, die Felix jeweils in diesen Zeiten der Begegnung schrieb, lohnt es sich, einfach die jeweilige CD aus der Sammlung aufzulegen. Denn dichten, so betonte ja Mendelssohn Bartholdy selbst, konnte er nicht. Er hat alles in seine Kompositionen gepackt, auch in seine “Lieder ohne Worte”. Worte braucht es da oft wirklich nicht mehr, um zu spüren, dass die Achtung dieses Mannes für die Frauen auch mit der Achtung für sich selbst und seine Zuhörer beginnt.
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