Es gibt berühmte Gemälde, die stecken voller Geheimnisse. Es gibt ganze Verschwörungstheorien, die auf geheimnisvollen Bildbotschaften aufbauen. Spätestens seit dem "Da Vinci Code" wissen auch Leute, die mit Kunst sonst nichts am Hut haben, dass die alten Maler nicht so langweilig sind, wie es Mancher glaubt. Aber stecken wirklich auch immer große Verschwörungen dahinter?
Teils, teils, darf man sagen, nachdem man Harald Spechts Buch gelesen hat. Er ist ein großer Sammler, hat alles aufgesaugt, was in den letzten Jahren in Medien und Büchern über Entdeckungen und Forschungen zu berühmten Gemälden berichtet wurde. Manche stehen seit Jahren im Licht der Öffentlichkeit – wie die “Mona Lisa” von da Vinci, von dem man doch nun denken könnte, da sei alles entdeckt. Doch wenn die Detektive unter den Forschern erst einmal angesteckt sind, dann suchen sie immer weiter.
Was sich ja bei da Vinci immer lohnt, denn wie kein anderer Maler hat er die Technik verfeinert und resolut seinem Anspruch untergeordnet, auch noch die feinste Nuance zu erfassen. So fein, das Vieles im Bild der “Mona Lisa” für die Forscher sogar erst sichtbar wurde, als sie dem Gemälde mit modernen Apparaten zu Leibe rückten und dabei durchaus spannende Aussagen treffen konnten – von der Bestätigung der Entstehungszeit bis zur klar erkennbaren Tatsache, dass Mona alias Lisa Gheradini schwanger war, als da Vinci sie malte. Wobei das bei da Vinci immer ein Rätsel ist, denn er malte oft jahrelang an einem Bild. Und oft genug scheint der ursprüngliche Auftraggeber nicht einmal die Chance gehabt zu haben, das fertige Bild je zu sehen.2012 verblüfften ja die Spanier die Welt mit dem Auffinden des Zwillingsgemäldes zur “Mona Lisa”, das ein Leonardo-Schüler parallel anfertigte. Und in Italien ist man dabei, die möglichen sterblichen Überreste der Lisa Gherardi zu untersuchen, um möglicherweise das Gesicht dieser Schönheit zu rekonstruieren. Allein über dieses berühmteste Bildnis der Welt könnte Specht ja Bücher schreiben.
Aber er nimmt sich auch noch andere Entdeckergeschichten vor. Auch solche, die die hochgebildeten Maler des Barock durchaus als Künstler zeigen, die ihre Bilder mit Absicht voller Hinweise und Symbole packten. Mal sind es reale Geschehnisse, die sie verschlüsselt im Bild unterbringen, so dass gerade diese Verschlüsselung heute bizarr und verblüffend wirkt – wie beim “Porträt der Gabrielle d’Estrées und der Duchesse de Villar”, das auch das Cover des Buches ziert. Man darf es durchaus sinnlich interpretieren – und dabei auch die freizügige Welt des französischen Königs entdecken. Man kann aber auch das hier symbolisch eingefangene Schicksal der Gabrielle d’Estrées entdecken. Bilder erzählen Geschichten. Das war schon immer so. Und das galt im Barock ganz besonders.
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Und das galt auch für die Bilderwelt der niederländischen Maler Vermeer und Rembrandt, beide in ihrer Malerei bis heute als außergewöhnlich empfunden. Vermeer hat geradezu eine Renaissance erlebt und die Forscher waren fasziniert, wie moderne Techniken sichtbar machten, was der Maler alles in seinen Bildern wieder übermalt hat. Erst durch diese auch für niederländische Künstler eher seltenen Konsequenzen wurden aus reichen Genrebildern jene stillen, atmosphärisch dichten Bilder, die heute so klar und menschlich wirken wie zu Vermeers Zeit.
Über Rembrandts “Nachtwache” gibt es mittlerweile ja nicht nur Bücher, sondern auch einen großartigen Film von Peter Greenaway, die sich mit der seltsamen Schützengruppe und ihrem möglichen Geheimnis beschäftigen. Dass mehr drin steckt in diesem Bild als das Porträt einer bürgerlichen Schützenkompanie, das sieht der Betrachter sofort, wenn er sich jede einzelne Gestalt anschaut und den zuweilen höchst gefährlichen Umgang mit den abgebildeten Waffen. Dass Rembrandt im Bild aber auch deutliche Hinweise auf verborgenes Wissen untergebracht hat, das merkt man erst, wenn man die Hinweise erkennt.Daraus macht dann Specht ein ganzes Kapitel, das sich mit Linien, Winkeln und Pentagrammen beschäftigt, verborgenen Codes, wie man sie etwa bei Nicolas Poussin unübersehbar findet. Hinweise, die auch von einem stillen Dialog der Maler mit der stets überschaubaren Gruppe der Kunstkenner erzählen, ein gemaltes Augenzwinkern: Ich weiß es und du weißt es auch. – Das sieht dann auf den ersten Blick aus wie ein “Da Vinci Code”, zeigt aber auf den zweiten, dass es neben der christlichen Heilslehre in Europa auch immer ein Wissen um die Wissenschaften der Antike und deren Zahlenmystik gab (die übrigens auch in der Bibel zu finden ist). Da spielen Pentagramme und 72-Grad-Winkel eine Rolle, da gibt es unübersehbare Bezüge zur antiken Mythologie und der von den Griechen stammenden Zahlenmystik, die auch viel mit der Harmonie des Weltalls zu tun hat.
Ein Bild von Nicolas Poussin spielt in den modernen Verschwörungsmythen eine besondere Rolle: “Die arkadischen Hirten”. Ist darin der Hinweis auf einen großen Schatz oder gar das wirkliche Grab Christi verborgen? Und wie muss man den Spruch auf dem Grab lesen? – Das Bild spielt in einem der berühmtesten Sachbücher der vergangenen Jahre eine Rolle, in “Der Heilige Gral und seine Erben” von Lincoln, Baigent und Leigh. So wie schon zur “pentagonalen Geometrie” wird Harald Specht auch hier sehr ausführlich und lässt den Leser teilhaben an seiner Lust an solchen Geschichten, in denen sich Neugier und Orakelfreude mischen. Bücher aus diesem Metier erreichen Millionenauflagen. Erst recht, wenn sie gar noch zum literarischen Stoff wie bei Dan Brown werden.
Aber wer erst einmal auf der Spur ist, der sucht und findet ja solche Hinweise auch dort, wo sie selbst die Kunstwissenschaft meist übersieht. Specht findet etwa Hinweise auf Pentagramm und freimaurerisches Denken auch in einem Goethe-Gemälde von Tischbein.
Liebe, Laster, Leidenschaft
Harald Specht, E. A. Seemann Verlag 2014, 29,95 Euro
Dagegen wirken dann die Versuche einiger modernerer Denker, etwa die von van Gogh gemalten Schuhe zu mystifizieren, eher plump. Was nicht heißt, dass es bei van Gogh keine Geheimnisse gibt. Aber die findet man eher mit modernen Geräten, die zeigen, was unter den Farbschichten noch verborgen ist. Der kurze “Nachtrag” von Specht wirkt wie eine noch flott hingeschriebene Entschuldigung an die Leser, dass er nicht fertig geworden ist. Denn natürlich lässt sich über die Geheimnisse vieler Kunstwerke noch viel mehr schreiben. Und noch viel mehr wird erst entdeckt, wenn sich die Forscher einzelne Werke genauer vornehmen. Aber das Buch ist auch ein kleines Plädoyer dafür, Bilder nicht den zumeist trockenen Kunstwissenschaftlern und ihren oft schematischen Beschreibungen zu überlassen, sonder selbst wieder zu lesen – als gemalte Geschichten. Denn auch da Vinci und Rembrandt haben nicht für die Kunstwissenschaftler gemalt, sondern für Leute, die ihre gemalten Geschichten genossen und – manchmal – auch verstanden haben.
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