Wenn die kleinen Stöpsel wüssten, was ihnen alles in der 1. Klasse noch nicht verraten wird ... Die einen würden sicher schmollend zu Mama laufen: "Mami, das macht ja gar keinen Spaß!" Die anderen würden wohl blitzende Augen kriegen, weil das nach richtiger Herausforderung riecht. Denn mit Äpfeln und Birnen kann ja jeder rechnen. Aber ist jeder Apfel auch wirklich ein Apfel? Und wie - bitte schön - beweist man das?

Die älteren Schüler wissen, dass einige der echten Mathematiker-Späße erst später kommen und richtig Gehirnschmalz verlangen. Da haben sich die Äpfel und Birnen längst verwandelt in natürliche und ganze Zahlen, in Brüche, Potenzen und Funktionen. Man hat so eine Ahnung bekommen, was Logik ist und was ein Algorithmus ist. Man weiß so ungefähr, was ein mathematischer Beweis ist – zumindest was die Bestätigung der richtigen Lösung betrifft. Aber wie beweist man, dass die Grundannahmen der Mathematik stimmen?

In der Regel beschäftigt man sich damit erst im Studium. Denn da wird es knifflig, wie immer, wenn man sich mit den eigentlichen Grundlagen des menschlichen Denkens beschäftigt. Denn auch wenn das alles so logisch und sinnfällig aussieht mit den Äpfeln und Birnen – jahrtausendelang arbeiteten die klügsten Mathematiker damit, ohne es bewiesen zu haben. Man hat es erst einmal nur mit einer augenfälligen Tatsache zu tun. Man hat Schafe und Kühe und Hammel zusammengezählt oder subtrahiert. Irgendwann hat man auch abstrakte Längen eingeführt, Kreisbögen geschlagen und vielseitige Objekte konstruiert. Man hat die Multiplikation und die Teilung entdeckt und den Spaß an Zahlen mit einem Minus davor.Dass man aber die ganze Zeit nichts anderes hatte als einen aus Sprache gebastelten Definitionsapparat, der von den Grundlagen einfach annahm “Es ist so”, das verstörte dann die Mathematiker der Neuzeit, die in einer Mathematik-Welt aufgewachsen waren, in der es selbstverständlich war, dass alles auch mit mathematischer Logik bewiesen war, wenn man es veröffentlichte. Leute wie Peano, Cantor und Dedekind (die auf dem Cover des Buches abgebildet sind), wussten, dass es jetzt ans Eingemachte ging.

Und das Aufregende an der Mathematik der letzten 100 Jahre ist wohl, dass sie praktisch etwas getan hat, was bei Maurern nur Kopfschütteln erzeugen würde: Sie haben die Fundamente für eine Wissenschaft gelegt, die seit 3.000 Jahren schon emsig Stockwerk auf Stockwerk gebaut hatte.

Was Martin Huber und Claudia Albertini hier vorlegen, ist trotzdem kein Buch für ABC-Schützen, sondern für Leute, die schon wissen, wie höhere Mathematik funktioniert. Sie nehmen die Leser mit in jene Welt, in denen die klügsten Rechner ihrer Zeit sich den Kopf darüber zerbrochen haben, wie man all den Dingen, mit denen man schon wie selbstverständlich rechnete, auch eine logische und beweisbare Grundlage gab.

Voraussetzung für diesen Einstieg ins Elementare ist natürlich ein Kapitel “Logik”, in dem die beiden beschreiben, wie man von der zuweilen diffusen sprachlichen Logik hin zur mathematischen Logik samt Implikationen, Schlüssen und Prädikaten kommt. Quasi im Kopf eine weitere Sprache implementiert, die nur für den Laien jener Sprache gleicht, die man im Duden oder Wahrig findet.Und dann geht es an die großen Mega-Themen, die in der modernen Mathematik selbstverständlich sind: Mengen, Teilmengen, Gleichungen, Relationen, Funktionen und dann – quasi für die Genießer: “Aufbau des Zahlbegriffs”. Da geht es dann nicht mehr um Äpfel, sondern man startet dort, wo man in der Schule landet, wenn man sich von den Äpfeln gelöst hat: bei den Mengen. Und da ist man dann bei jenem Burschen namens Giuseppe Peano (1858 – 1932), der nicht ganz zufällig sowohl Mathematiker als auch Sprachwissenschaftler war, der die berühmten Peano-Axiome aufgestellt hat, um endlich einmal die Basis für die Definition von Natürlichen Zahlen zu legen.

Die beiden Autoren erklären, was man aus den Axiomen herleiten kann, wie jüngere Mathematiker die Sache verfeinerten und auch für die immer neu auftauchenden Rätsel entweder neue Axiome oder auch die entsprechenden Beweise vorlegten. Trotzdem darf man am Ende durchaus das Gefühl haben, dass es in der Mathematik ein bisschen ist wie in der Physik: Je mehr man sich der “Urmaterie” nähert, umso komplizierter und schwerer zu beweisen wird es.

Aber die Regeln sind streng. Und man spürt ja richtig, wie die begnadeten Mathematiker anfangen, auf ihren Sesseln hin und her zu rutschen, wenn es für bewährte Phänomene ihres Metiers nichts als angegraute Hypothesen und pfiffige Annäherungen gibt. Wenn das letzte Quäntchen fehlt, der eine, endgültig fassbare Beweis, dann können sie nicht ruhig schlafen und quälen sich und die ganze Denkergemeinde, bis sie eine Lösung haben. Oder eine halbe Lösung, die den Weg andeutet, auf dem man die Lösung finden könnte.

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EAGLE-Starthilfe Grundbegriffe der Mathematik
Martin Huber; Claudia Albertini, Edition am Gutenbergplatz Leipzig 2014, 14,50 Euro

Die Kapitel sind also auch tüchtig mit Formeln, Ableitungen und Rechenaufgaben gespickt. Im Sachregister findet man dann auch noch die Schlagworte, mit denen man sofort an die spannendsten Stellen kommen kann: der Allquantor etwa versteckt sich auf Seite 9, die Bijunktion auf Seite 13 und der Herr Cartesius ist auch drin. Ein paar mathematische Berühmtheiten tauchen namentlich immer dort auf, wo es richtig kompliziert wird. Herr Fibonacci natürlich auch. Ein Buch also für kluge Köpfe, die sich von der täglichen menschlichen Unlogik ein bisschen erholen wollen. Und natürlich für alle, die gerade das Hochkomplexe reizt, weil es in all den Dingen steckt, die wir Normalsterblichen immer für so simpel halten. Wie eben Äpfel und Birnen, wenn sie Mathematiklernern in die Hände fallen.

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