Manches dauert ein wenig länger. Ihren 20. Geburtstag feierte die Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik schon 2012. Den Geburtstagsband gibt es jetzt erst. Leipzig hat zwar mit diesem Verein, der nicht nur Dichterinnen und Dichter vereint, seit 1996 ein Kleinod in der Stadt. Einen feinen Lobbyverein in Sachen Lyrik. Und so ein bisschen auch in Sachen Buchstadt.
Denn wirklich viel ist ja von der einst alles dominierenden Verlagsstadt Leipzig nicht übrig geblieben. Etwas Wichtiges aber schon: die Begeisterung für Buch und Literatur. Die auch teilweise Unterstützung in Behörden und Verwaltungen findet. So weit das möglich ist. Denn die Kulturförderung in Leipzig hat schon früher als andere mitbekommen, was es bedeutet, wenn die Förderetats schrumpfen. Zumindest jener Bereich, der so gern als freie Kulturszene bezeichnet wird – bei den großen und wirklich teuren Eigenbetrieben der Stadt wird gern mal eine Million mehr “ins System gesteckt”, wie es so schön heißt. Mit solchen Budgets würde die Lyrikgesellschaft um den Lyriker Ralph Grüneberger, der seit 1996 der Lyrikgesellschaft vorsitzt, ganz andere Projekte auflegen und auch keine Angst vor der Konkurrenz in Berlin haben, wo die “literaturWerkstatt” mit einer halben Million Euro jährlich gefüttert wird.
Damit kann man Leute bezahlen und ganze Programmreihen bestücken – während die Lyrikgesellschaft durchaus beliebte Reihen wie die “Sommernacht der Poesie” nach dem Streichen der städtischen Fördergelder einstellen musste. Der Jubiläumsband erzählt natürlich trotzdem, wie die emsige Truppe weiter versucht, immer neue (bezahlbare) Veranstaltungsformate auf die Beine zu stellen. Oder es versuchte. Denn mit der Änderung des Bundes bei der Förderung von AGH-Stellen hat es in diesem Jahr nun auch wieder die Geschäftsstelle der Lyrikgesellschaft erwischt, die seit April praktisch nicht mehr besetzt ist.Ein Grundproblem der Bundespolitik: Sie hat Jahrzehnte lang solche Co-Finanzierungen immer nur als Übergangsstellen in den ersten Arbeitsmarkt gedacht. Aber die freie Kulturszene braucht dauerhaft finanzierte Stellen, um ihre Arbeit organisieren zu können. Das können die kommunalen Etats meist nicht auffangen. Und das so gern gefeierte Ehrenamt hat seine Grenzen.
Und natürlich kann man mit Lyrik in Deutschland nicht wirklich viel Geld verdienen. Das Wahrnehmungsproblem der deutschen Buchhandlungen spricht Grüneberger aus eigener Erfahrung an: Lyrik kommt dort praktisch nur in einer Form vor – als Dauerpräsenz von Goethe, Schiller und Rilke. Und in der Form diverser Gedichtsammlungen “klassischer Dichter” zu Schmetterlingen, Primeln, Urlaubsreisen. Entsprechend kompliziert ist der Weg heutiger Autoren zum eigenen Buch und zu einem einigermaßen sinnvollen Vertrieb. Von einer Wahrnehmung durch das deutsche Feuilleton träumen deutsche Dichter wahrscheinlich nicht mal mehr.
Von einer Wahrnehmung durch das (junge) Publikum aber schon. Und so finden nicht nur seit ein paar Jahren die beliebten Treffen der Lyrikgesellschaft statt, bei denen sich namhafte und nicht so bekannte Lyriker aus der ganzen Republik mit den Themen ihres Gewerbes beschäftigen. Die Gesellschaft lädt auch zu Wettbewerben ein und nutzt auch die modernen Medien, um dem Gedicht wieder mehr Präsenz in der Öffentlichkeit zu verschaffen – vom Hörbuch mit den von Leipzigs OBM Burkhard Jung eingelesenen Gedichten bis zur DVD mit Gedichten als Video-Clip. Letzteres verbunden mit bundesweiten Wettbewerben, zu denen auch der jüngste zu den “Gedichten gegen den Krieg” gehört.
Die selbst wieder in einem extra dicken “Poesiealbum neu” gesammelt waren, eine Art Flaschenpost der deutschsprachigen Lyriker an eine Politik, die bei aller Pragmatik immer wieder vergisst, dass Kriegseinsätze keine Option sind, wenn es vorher keine wirklich zielstrebige Friedensarbeit gab. Friedensarbeit ist frustrierend, nervenaufreibend – und fruchtbringend. Die wirklichen Friedensarbeiter der Vergangenheit wussten das. Aber irgendwie ist nach dem Kollaps des Ostblocks 1990 eine geradezu brandgefährliche Haltung des laissez faire eingezogen – gerade in der westlichen Außenpolitik.
Die Lyrikreihe “Poesiealbum neu” hat die Lyrikgesellschaft 2007 gestartet, ganz bewusst im zeitlos modernen Layout der einst von Bernd Jentzsch in der DDR gestarteten Lyrikreihe, die es auf über 260 Titel brachte und den Lyrikfreunden ermöglichte, sich eine umfangreiche Sammlung von Lyrik der Weltliteratur zuzulegen – ebenso aber auch einen Überblick über die beste deutschsprachige Lyrik zu bekommen. Zwischendrin gab es es dann die Sonderhefte zum jährlich in Schwerin stattfindenden Poetenseminar – und genau die hat sich Ralph Grüneberger dann als Konzept zu eigen gemacht. Die “Poesiealbum neu” sollen unter einem Thema möglichst viele Dichterstimmen aus der Lyrikgesellschaft und darüber hinaus vereinen.
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Mal ging es um Künstler, mal um Tiere, dann aber auch um durchaus spannende Diskurse der Gegenwart zu Kommerz, Mobilität oder eben wie 2013 um den Krieg. Auch diese Hefte sind nun wieder eine Chance für Lyrikfreunde, ein wenig zu erfahren über die Vielzahl lyrischer Stimmen im Land.
Der Geburtstagsband lässt aber auch das wichtigste Projekt der Lyrikgesellschaft nicht unerwähnt: die Lyrikbibliothek, die mit dem Geschäftssitz der Lyrikgesellschaft von Tübingen (wo sie 1992 von Gerhard Oberlin gegründet worden war) ebenfalls nach Leipzig wechselte. Hier kam sie an einem Ort unter, der nicht nur eine attraktive Ausstellung der mittlerweile über 5.500 Titel ermöglicht, sondern auch Publikumsverkehr. Die Leute sollen ja Lyrik auch lesen, wenn sie schon mal da ist – also stehen die gesammelten Bände auch nach der Eröffnung wieder in der sanierten Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz.
Und am Dienstag, 17. September, gibt es die nächste Draufgabe: Um 11 Uhr weiht die Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik e.V. ihre Medienstation in der Stadtbibliothek Leipzig ein. Dann können die Gedichte auch angehört und angeschaut werden, wenn sie sich schon in Video-Clips verwandelt haben.
Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik (Hrsg.) “Geboren in Tübingen, aufgewachsen in Leipzig. 20 Jahre Lyrikgesellschaft”, Edition kunst & dichtung, Leipzig 2013
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