Es war ein schönes Jahr. Der Tourismus-Chef hat sich gefreut, der OBM hatte tolle Auftritte, vier schöne Festwochen gab es, fünf herrliche Festmusiken. 2012 war in Leipzig vom 800-jährigen Jubiläum der einstigen Klosterstiftung durch Markgraf Dietrich den Bedrängten geprägt. Feiern durften Thomaskirche, Thomanerchor, Thomasschule und das Krankenhaus St. Georg. Das freilich in diesem Heft nicht vorkommt.
Was ein bisschen schade ist. Es hätte noch einmal anschaulich zusammengeführt, wie komplex einst so eine Klostergründung war – mit welchen vielfältigen Folgen für eine Stadt. Denn auf die alte Klostergeschichte wurde ja auch Bezug genommen. Sogar gleich zwei Mal. Zum einen mit der (Kinder-)Erlebnisveranstaltung Anfang November 2012 “Steine ins Rollen bringen”, als vor der Thomaskirche die alten Handwerke aus der Zeit der Kloster- und Kirchenerbauer lebendig wurden. Und das andere Mal in der Festwoche der Thomasschule im September, als die Thomasschüler das von Wilhelm Bartsch geschriebene Stück “Morungen” über den berühmten Minnesänger und frühen Stiftsherren von St. Thomas aufführten.
Geschichte war immer präsent in diesem Festjahr. Nie zuvor haben sich so viele Bücher intensiv mit der Geschichte des Thomanerchores beschäftigt, den Lebens- und Lernbedingungen der Sängerknaben. Aber selbst die extra von bekannten Komponisten geschaffenen Festmusiken – eine davon hat ja auch Thomaskantor Georg Christoph Biller geschrieben – setzten sich mit Musikgeschichte auseinander, spannten teilweise den ganz großen Bogen bis in Renaissance und Barock. Die Thomaskirche im Mittelpunkt durfte ein ganzes Jahr lang zeigen, dass es bei so einem Sakralbau mitten in der Stadt nicht nur um “Glauben, Singen, Beten” geht, auch wenn diese Trias das Motto abgab für das ganze Festjahr.
Im Grunde ging es auch die ganze Zeit um die “Gewissensfrage” für die Stadtgemeinde selbst, die Leipziger Bürgergesellschaft. Denn es ist ihr Erbe – die Kirche genauso wie “dero weltberühmbter Chor”. Es waren immer Leipziger Bürger, die sich um das Erbe sorgten, dafür spendeten und mit anpackten, die ihr Geld gaben für bessere Bedingungen für die Thomaner, aber auch für ein wachsendes und immer moderneres Stadtkrankenhaus St. Georg.Gleich nach dem Völkerschlachtdenkmal sind die beiden Stadtkirchen St. Thomas und St. Nikolai heute die bekanntesten und beliebtesten Sehenswürdigkeiten Leipzigs. Kaum eine Touristengruppe lässt sich das Gruppenfoto mit dem Bach-Denkmal auf dem Thomaskirchhof entgehen.
Man nimmt Kirche und Kantor für die Stadt. Was nicht jedem heute lebenden Leipziger gefällt. Das Grimmen und Zürnen brodelt unter der Decke. Kommt manchmal zum Vorschein, wenn es um die künftige Nutzung der neuen Paulinerkirche geht. Brodelt derzeit um die geplante Thomaner-Grundschule. Darf’s denn so viel Religion sein, bitte sehr?
Muss es ja nicht. Doch der Thomanerchor ist nun einmal ein christlich konnotierter Chor – er singt die großen Gottesdienste in der Thomaskirche. Und die Kompositionen eines J. S. Bach sind nun einmal Werke zum Lobgesang Gottes. Wer will, kann darin auch ein offenherziges Loblied auf das Leben selbst hören. Und hunderte Leipziger, die sonst “mit Kirche nichts am Hut haben”, tun das immer zur Weihnachtszeit, wenn sie sich “ihr Weihnachtsoratorium” nicht entgehen lassen wollen. Dann nutzen sie die Thomaskirche als das, was sie auch ist: ihre Kirche.
Und dieses Buch nun zeigt noch einmal, was alles im Festjahr passiert ist. In schönen Fotos und zumeist recht kurzen Texten. Es wurde viel gesungen, es gab beeindruckende Installationen, etliche Diskussionen – wie beim Kongress “Kirche in der Gesellschaft”. Ein Kongress, der auch darauf verweisen sollte, dass Leipziger Pfarrer bis ins 20. Jahrhundert hinein oft auch Universitätsprofessoren waren. Aber eigentlich geht es immer wieder um die Grundfrage nach gesellschaftlicher Verantwortung. Die man ehrlich und lutherisch beantworten kann oder auch verbrämt-amtlich.
Es gab viele Gäste aus anderen Ländern, aber auch aus anderen Religionen und dann zum Jahresende hin die rege Auseinandersetzung mit der Frage nach dem “vielleICHt”. Womit – diesmal aus eher jugendlicher Sicht – die Sache mit der Verantwortung diskutiert wurde. Auch das eine natürlich offen gebliebene Diskussion. Die aus dem kleinen Kosmos “Thomana” nicht für die ganze Stadt und schon gar nicht für die ganze Welt beantwortet werden kann. Aber dass auf den Fotos in diesem Band viele Leute so selbstbewusst in die Kamera schauen, hat eben auch damit zu tun, dass sie sich wirklich erfolgreich für den Kosmos “Thomana” engagiert haben und engagieren. Vielleicht weckt das den Neid anderer.
Aber eigentlich wäre es eher ein echtes Leipziger Beispiel, an dem man lernen kann. Denn wirklich unverwechselbar wurde das, was aus Leipzig kam, immer nur dann, wenn die Bürger dahinter standen und sich dafür richtig engagierten. Mal war das die Messe, die es ohne diese bürgerliche Beharrlichkeit ganz bestimmt nicht als Leipziger Erfolgsmodell gegeben hätte, mal war es der “Buchplatz Leipzig”, mal eine ordentliche Zündung für die Aufklärung in Deutschland, mal eine Initialzündung für die Frauenbewegung oder die deutsche Schreber-Bewegung.
Die “Thomana” hat ihr Festjahr gehabt. Wer sich auch künftig noch an die verschiedenen Eindrücke aus diesem Jahr 2012 erinnern will, der kann das Paperback jetzt für 5 Euro im Shop der Thomaskirche bekommen.
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