Die einen betrachten den Witz als gutes Instrument für Milieustudien, die anderen sehen darin gutes Futter für politische Analysen. Aber gute Witze waren schon immer mehr. Im besten Fall waren sie der zündende Triumph des Geistes über die bedrückende Grausamkeit der Welt. Ein Fingerschnippen für betrübte Stunden. Das Lächeln in der Nacht. Und es gibt sie zum Glück immer noch: die jüdischen Witze.
Und Ilan Weiss, der seit 1990 als Dipl. Ing. für Maschinenbau in Berlin lebt, sammelt sie fleißig. Und da er auch seine Drähte nach Israel nicht gekappt hat, kommen sie direkt aus jener Welt zu uns, die mancheiner aus den herrlichen Büchern Ephraim Kishons schon kennt. Die oft so abgehoben wirkten, so ein bisschen schräg, wie man es ja auch von Woody Allen kennt. Schräg und vertraut, denn alle diese zuweilen lustigen Probleme mit Schwiegermüttern, Ehefrauen, Ehemännern, großspurigen Helden und knickrigen Freunden, die sind ja nicht nur auf einen kleinen Landstrich am Mittelmeer beschränkt. Damit schlagen sich alle herum, die sich irgendwie einrichten wollen in ihrer Welt und im Leben.
Da gelten auf einmal Regeln, die keiner aufgeschrieben hat – aber wenn man sich nicht dran hält, macht man sich lächerlich. Oder sorgt für den Zorn der Altvorderen übers Grab hinaus. Aber das bedeutet nicht, dass man sich nur auf diese Weise lächerlich machen kann. Die Problemchen mit einem etwas praktischen Bezug zu Gott und seinen Gebetserfüllungen werden auch viele Christen und Nichtchristen kennen. Wenn sie ein bisschen ehrlich zu sich sind. Der gute Witz verträgt keinen bierernsten Geist. Er braucht diesen Zweifel am eigenen Tun und Lassen, die kleine, aber lebenslängliche Ungewissheit, wie sehr man nun alles richtig gemacht hat. Oder ob man da nicht doch immer wieder aufs Neue ein listiges Arrangement mit dem Leben und dem lieben Gott geschlossen hat. Schließlich ist er ja doch so etwas wie ein großer, verzeihender Herr, der auch mal einen Spaß versteht.So unvertraut ist uns dieser Umgang mit den geltenden Regeln ja nicht. Auch nicht mit den Fallen, die sich der Mensch selber stellt mit all seinen Regeln. Da muss man gar nicht nur nach Israel schauen. Die deutsche Regelwut ist genauso schlimm. Und manches findet man wieder in den Witzen, die Weiss gesammelt hat. Nur darf man sich in Witzen natürlich einen Spaß machen mit Ämtern (in der Realität reagieren sie darauf meist völlig humorlos), mit der Armee (auch nicht wirklich für Humor bekannt), Geheimdiensten, egal welcher Farbschattierung (bei denen Humor in der Rubrik “Diversion” läuft), Schnorrern, Politikern und Aufschneidern. Oder Technikgläubigen.
Elf Lebensweisheiten hat Ilan Weiss aus der Geschichte um Noah und seine Arche herausgelesen. Und die witzigste Weisheit ist nicht wirklich die Nr. 10: “Denk daran: Die Arche wurde von Amateuren gebaut, die Titanic von Fachleuten.” Aber das Rezept wird klar dabei, dieses konsequente Hinterfragen der Autoritäten, die selten bis nie das sind, was sie von sich behaupten. Aber wer in einer Welt lebt, in der das So-tun-als-ob besser bezahlt wird als das Straßefegen, der legt sich mit der Zeit ein ganzes Repertoire von Handlungsweisen zu, die den leidigen Zustand erträglicher machen.
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Das kennen auch andere Minderheiten. Denn eine Wahrheit ist auch: Witze werden immer aus subalterner Perspektive erzählt. Sie brauchen die unsichere Grundlage des eigenen Zustandes, den bissigen Zweifel am aktuellen Stand der Dinge. Witze brauchen den kulminierenden Punkt, an dem das Unsichersein und die komplette Entlarvung abkippt. Erst von der anerzogenen Last des So-sein-Müssens befreit, kann der Witzehörer lachen. Und der Erzähler lacht sich scheckig: Brüderle, hab ich dich wieder mal erwischt. So denkst du also über deine Frau, das Goldstück. Oder über deinen Chef. Oder dich selbst.
Denn auch das ist eine zutiefst menschliche Wahrheit: Die hehren Gesetze gelten nur, wo die Richter walten. Das Leben selbst besteht aus Kompromissen und lauter Tapsigkeiten. Man liegt schneller auf der Nase, als man denkt. Und hat zum Schaden meist auch den Spott. Da kann man sich ärgern – oder es nehmen, wie es kommt. Dem Nächsten kann es bald schon genauso gehen. Im jüdischen Witz ist das immer präsent. Im deutschen könnte es präsenter sein, wenn neben all der Selbstherrlichkeit mehr Verständnis Platz hätte – nicht nur für die anderen. Auch für die eigene Anfälligkeit für all das, was unsereiner anderen gern unterstellt. Tricksen wir nicht genauso, wenn uns die Regeln zu streng sind, mauscheln uns durch und tun hinterher so, als sei gar nichts gewesen?Dabei haben wir in unserer Bibliothek die Unseren stehen, die es genauso sahen – listigen Blickes und mit tiefstem Verständnis für alle unsere Lächerlichkeiten. Nehmen wir nur Wilhelm Busch. Aber wann nehmen wir ihn schon? Öffentlich doch wohl nicht. Öffentlich sind wir so ernsthaft wie die Raben. Und tun nur lustig.
Nach außen – und vielleicht darf man durchaus alle fragen, die nicht mit uns in den Empfängen und Jubiläumsfeiern sitzen müssen, – wirken wir ernst wie die Bierseidel. Und unter den drei dünnsten Büchern der Welt, die Groucho Marx einst benannte, ist auch ein deutsches: das Buch des deutschen Humors.
Einige der Witze, die Weiss gesammelt hat, stammen sogar noch aus dem osteuropäischen Schtedl, sind mit den von dort vertriebenen Juden nach Westeuropa, Israel und in die USA gewandert – so wie die alten Traditionen (und die unabdingbare Ehrfurcht vor der Schwiegermutter), zu denen sie gehören. Manches wirkt fast biblisch, Manches wie fröhlicher Slapstick. Und deshalb so vertraut. Es ist auch immer ein Teil der so gern versteckten deutschen Seele. Aber darüber redet man hierzulande ja nicht. Wir sind ja was Besseres. Nicht war? Schuld sind immer die Anderen.
Moderne jüdische Witze mit Biss
Ilan Weiss, Patchworldverlag 2013, 14,90 Euro
Und selbst das kommt einem wie vertraut zurück aus den Witzen der Juden, die einst aus Deutschland nach Israel flohen. Bis hin zu jener herrlichen Entdeckung, die endlich die Hauptursache für die Verkehrsunfälle erklärt: die anderen Fahrer. – Und wer hierzulande immer selbst bei einer Minderheit landet, weil er sich mit der Mehrheit nicht besoffen am Tisch schaukeln will, findet sich natürlich Witz um Witz wieder. “Vergessen wir nicht”, schreibt Ester Chaym im Vorwort, “dass durch Jahrhunderte der Witz die einzige und unentbehrliche Waffe des sonst waffen- und wehrlosen Volkes war.”
Und das kennt der Leipziger ja irgendwie. Sonst hätte es ja damals nicht geheißen: “Wir sind das Volk.”
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