Etwas hat sich verändert in Leipzig in den letzten Jahren. Nicht nur in der Verlagslandschaft, die eine zwar kleinteilige, aber reichhaltige geworden ist. Abbild jener Kreativität, die in Amtsstuben immer beschworen, aber im Detail nie wahrgenommen wird. Doch parallel dazu ist die Stadt auch wieder zur Heimat von Autoren geworden, die die Lust zu ganz großer Literatur haben. Das war nicht immer so.

Jahrzehntelang war Leipzig zwar ein Ort für Dichter, die sich im grimmigen Unterholz dieser Stadt wohl fühlten. Doch für die Erzähler, die den großen Atem brauchen, war die unruhige Stadt nie wirklich duldsam. Manche gingen fort und kamen andernorts auch nicht zum großen Erzählen, weil ihnen dann Leipzig wieder fehlte. Andere versuchten mit Kopfschmerzen in dieser immer lauteren Stadt doch noch was Gescheites zustande zu bekommen.

Doch in den letzten Jahren ist hier ein kleines Häuflein von Autorinnen und Autoren herangewachsen, die sich durchaus ernsthaft darum bemühen, Bücher für Leser zu schreiben. Für Leser aller Art, die zuallererst nur eines wollen: gut und spannend in den Bann gezogen zu werden. Das ist ein berechtigter Wunsch. Und es ist eine hohe Kunst. Kann nicht jeder. Aber den 22. Juli kann sich jeder, der spannende Fantasy mag, schon mal im Kalender eintragen. Dann stellt um 14 Uhr in der Buchhandlung Lehmanns eine junge Dame aus dem Leipziger Osten ihren Fantasy-Roman vor, der zur Buchmesse erschien. Amanda Koch heißt sie. Und wenn sie in ihrer Kurzbiografie schreibt, sie habe sich schon in ihrer Jugend für Fantasy-Literatur begeistert, dann hat das auch einen Namen. Und die etwas Älteren unter den Jüngeren werden sich daran erinnern, dass es vor “Harry Potter” auch schon mal ein großes Rauschen im Buchmarkt gab, weil eine Autorin mit ihren Romanen die Bestsellerlisten eroberte und die LeserInnen in ihren Bann zog. Die Autorin hieß Marion Zimmer Bradley und ist 1999 leider schon recht früh gestorben.Aber jedes ihrer Bücher aus der Avalon-Reihe sorgte für Aufregung. Der Initialfunke, der auch Amanda Koch aus Leipzig für die Fantasy begeisterte, war natürlich “Die Nebel von Avalon” von 1979, auf Deutsch 1983 erschienen. Zu einer Zeit, als deutsche Buchhandlungen noch gar kein Fantasy-Regal besaßen. Der große Boom dieser Literatur begann erst mit Marion Zimmer Bradley so richtig. Seitdem haben die Fantasy-Bücher-Stapel die einst dort regierende SF fast völlig verdrängt. Was auch mit der kleinen unheimlichen Tatsache zu tun hat, dass Mädchen mehr lesen als Jungen. Und dass Jungen, wenn sie lesen, inzwischen auch lieber Hardcore-Fantasy mit Helden, Rittern, finsteren Mächten, Zauberern und düsteren Königreichen lesen.

Ein bisschen finster sieht es auf dem Cover aus, das der Leipziger Grafiker Nico Schirmer gestaltet hat. Aber ohne finstere Bösewichter und den ewigen Kampf des wirklich bösen Bösen gegen die Wächter des Guten geht es in der Fantasy meistens nicht ab. Es ist nicht nur ein Stereotyp. Wäre es das, die nachwachsenden Generationen hätten sich nach über 30 Jahren satt gegessen. Haben sie aber nicht. Im Gegenteil: selbst die Verfilmung von “Harry Potter” hat gezeigt, dass da etwas Ursprüngliches angesprochen wird, das auch unser tägliches Handeln und unsere Interpretation der Welt bestimmt. Menschen wünschen sich ja diese Klarheit, stets erkennen zu können, was gut und was böse ist. Die Fantasy lebt von dieser Klarheit. Das Böse darf hier richtig böse sein. Darf aus finsteren Tiefen herauskommen, um das Königreich des Guten zu bedrohen. Die Gefahr ist immer allumfassend. Und die Zahl derer, die das Finstere daran hindern können, die Macht zu ergreifen, ist immer überschaubar. Zumeist sind sie vom Schicksal auserwählt.

Das ist noch schöner: Da ist die Aufgabe klar und die Helden der Geschichte müssen nur unter allerlei Schmerzen und Ungewissheiten in ihre Rolle als Wächter und Retterinnen hineinwachsen. Etwas, was natürlich die wirklichen Verunsicherungen der Jugend aufgreift. Eine Zeit, in der man die Welt als völlig unsicheren, zuweilen feindlichen, bedrohlichen, nebeligen Ort erlebt, wo noch nichts geklärt ist – nicht die eigene Bestimmung, nicht die Frage von gut, böse und richtig. Nur Polizeipräsidenten und Innenminister wissen meistens, was richtig ist. Oder tun zumindest so.

Aber was die Immer-schon-Fertigen nicht mehr so recht wahr haben wollen, ist das Drama der Jugend. Das auch ein Heldendrama ist. Denn wer so jung noch ist, der steht allein in einer Welt der Ungewissheiten, der möchte schon gern Bäume ausreißen oder vielleicht sogar alles gut machen. Heldinnen wie Esmé haben natürlich viel mit ihren Autorinnen zu tun – aber auch mit den Erwartungen der Leserinnen und Leser. Und am nächsten kommt sich das, wenn es der Autorin gelingt, die eigenen Erfahrungen, Verunsicherungen und Sehnsüchte in die Geschichte zu transportieren. Dann entsteht Nähe. Und in diesem Fall – was in der Fantasy trotz allem Hype immer noch etwas Seltenes ist – auch eine glaubwürdige junge Heldin, genau in jene Phase des Lebens, in der alles offen, unsicher und unfertig ist. Die Schule abgeschlossen, das Studium eigentlich schon geplant. Aber das Verhältnis zu den Eltern ist kompliziert. Nicht nur, weil da irgendwo ein Geheimnis schlummert, sondern auch weil der Vater wie so viele Väter eigentlich nur noch mit seiner Arbeit als Psychologe verheiratet ist und seine Kinder nur den Erwartungsdruck zu spüren bekommen, den er jedes Mal verbreitet, wenn er dann mal auftaucht.

Wir sagen jetzt kein böses Wort über diese Väter. Aber sie wissen wirklich nicht, was sie anrichten.
Doch von dieser Grundgeschichte löst sich die Handlung immer mehr, je mehr Esmé bemerkt, dass sie selbst sich verwandelt. Dass sie eigentlich in eine ganz andere Welt gehört, erfährt sie dann auf abenteuerliche und durchaus kribbelnde Weise. Dass auch noch Liebe, Freundschaft, Vertrauen eine Rolle spielen, verdichtet das Gewebe. Die Gefahren, die über die Helden dieses Buches hereinbrechen, werden greifbar. Auch das etwas, was nicht unbedingt eine Tugend der meisten Fantasy-Autoren ist, die gern viel reden und beschwören, aber nicht immer anschaulich schildern. Wobei Amanda Koch natürlich den Vorteil hat, dass sie mit Avalon einen etablierten Topos nutzt. Man merkt auch, wie sie selbst von diesem Zimmer-Bradleyschen Avalon in den Bann gezogen ist. Es wäre ja auch nur zu schön, zu wissen: Da gibt es eine Insel im See, auf der die Priesterinnen von Avalon dafür sorgen, dass das Gute in der Welt bleibt. Und ein Wächter, oder zwei – oder in diesem Buch nun vier – raffen sich auf, als sich die Zeichen des Unheils mehren, um ihre Pflicht zu tun, sich selbstlos in den Kampf gegen das Böse zu werfen.

Mit magischen Kräften ausgestattet, aber nicht unverletzlich. Denn all das, was Menschen verwirrt, macht auch die Helden diese Buches verletzlich. Zuallererst die Liebe. Womit man wieder im richtigen Leben wäre und all den Ängsten und Erwartungen, die man mit diesem archaischen Gefühl verbindet. Und nicht nur junge Leute wissen, wie sehr man in diesem Zustand aus dem Gleichgewicht gerät, angreifbar wird und dünnhäutig. Und eine Ur-Frage steckt natürlich auch darin: Wie wehrlos sind eigentlich Menschen, die lieben, dem eiskalten Kalkül des Bösen gegenüber?

Das gilt auch für unsere heutige Welt, die natürlich keine Fantasy-Welt ist. Die Finsterlinge sind meistens gut frisiert, bezahlt und berühmt, gewinnen Wahlen, werden auch gern ins TV eingeladen. Avalon ist auch immer der Versuch, eine Gegen-Welt zu beschreiben. Vielleicht sogar der geschriebene Versuch, diese Gegen-Welt mitten in einer Welt unterzubringen, in der das nackte Kalkül regiert. In der Fantasy verstecken sich eine Menge Hoffnungen und ungelebte Träume der Gegenwart. Das Buch wird zwar als Jugendbuch eingetaktet, aber man kann es auch lesen, wenn man schon etwas über die Schmetterlingszeit hinaus ist. Es ist kein Buch, in dem extra ein auf jugendlich getrimmter Ton angeschlagen wird.

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Die Wächter von Avalon
Amanda Koch, familia koch Verlag 2013, 16,95 Euro

Was noch draus wird, kann man natürlich nicht sagen. “Die Prophezeiung” soll ja erst der Auftakt sein. In der Fantasy ist es ja auch hier wie im richtigen Leben: Kaum ist der eine Finsterling wieder in die Abgründe verbannt, kommt der nächste um die Ecke. Band 2 soll dann “Der Fluch des Suadus” heißen. Das ist dann der Fluch der Wächter: Kaum sind die Wunden verheilt, müssen sie wieder ran.

Veranstaltungshinweis: Am 22. Juli um 14 Uhr liest Amanda Koch in der Buchhandlung Lehmanns, Grimmaische Straße 10, aus “Die Wächter von Avalon”.

www.diewaechtervonavalon.de

www.familia-verlag.de

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