Nicht nur Wagner flutet in diesem Jahr die Buchregale. Zumindest im Leipziger Raum tut es auch die Völkerschlacht. Wagners Geburt und Leben und das große Schlachten im Oktober 1813 hängen aneinander wie eineiige Zwillinge. Die Rezeption der Schlacht hat aufs Engste zu tun mit Wagners Musik und deren Rezeption. Und die dissonanten Töne sind alle schon angelegt im Jahr 1813. Keiner weiß das besser als Steffen Poser.

Er betreut nicht nur die Militaria im Stadtgeschichtlichen Museum, er ist auch Leiter des Völkerschlachtdenkmals und der dortigen Ausstellung. Seit 20 Jahren. Da beschäftigt man sich gezwungenermaßen nicht bloß mit dem zum Denkmal erstarrten Ereignis, das Poser denn auch ein “aberwitzig gewaltiges Siegeszeichen” nennt, auch wenn es mehr ist. Vor allem auch ein Gedenkort für die Toten dieser gigantischen Massenschlacht – mit sichtbaren Anklängen an den Traum einer deutschen Einheit, der 1813 sehr wohl zur Debatte stand. Nationalistisch getönt wie bei Fichte, martialisch getönt wie bei Theodor Körner.

Die Schlacht bei Leipzig hat ihre Vorgeschichte. Die schon mit ersten Bänden 2012 besser beleuchtet wurde als in den Jahren zuvor. Ohne das napoleonische Desaster in Russland ist die Entscheidungsschlacht vor den Toren Leipzigs nicht denkbar. Die europäische Geschichte hätte einen anderen Verlauf genommen, wenn der selbsternannte Kaiser der Franzosen nicht versucht hätte, nun auch noch Russland in die Knie zu zwingen. Ihm ging es dabei genauso wie den Feldherren des 1. und des 2. Weltkrieges: Er überschätzte seine Ressourcen und Geschwindigkeiten – und er unterschätzte die Russen und ihr gewaltiges Land. Er hatte die Montage einer modernen Militärmaschinerie perfektioniert. Doch selbst die eher unbedarften Zeitgenossen konnten sehen, welcher Unterschied bestand zwischen der kriegserfahrenen Armee, die 1812 gen Russland zog und den jungen Soldaten, die Napoleon nach dem Verlust dieser Armee aushob.Steffen Poser hat sein Buch, in dem er weit über den sonst so begrenzten militärischen Tellerrand hinausschaut, mit vielen Augenzeugenberichten gespickt. Mit Briefen, Tagebucherinnerungen, aber auch Plakat- und Gedichttexten der Zeit. Die “Franzosenzeit” rückt ins Bild, die für Leipzig gleich nach der Schlacht von Jena und Auerstädt begann und die Handelsstadt ins Mark traf, als englische Waren öffentlich verbrannt wurden. So nebenbei zeigt Poser auch, wie Geschichte inszeniert wird. Denn eben noch kämpfte man mit den Preußen gegen die Franzosen, schon wird die Stadt zum Triumph Napoleons inszeniert. Und die Leipziger Zeitung verwandelt sich über Nacht zum Sprachrohr der Besetzer.

Doch welches Verhältnis hatten Leipziger und Sachsen eigentlich zu den Franzosen, deren Verbündete sie nun wurden? Partnerschaft mit Schönheitsfehlern nennt Poser das Kapitel zu den Jahren 1807 bis 1811. Er klärt denn auch beiläufig darüber auf, warum der sächsische Kurfürst mit seiner Kurwürde nichts mehr anfangen konnte und dann doch lieber die Königskrone von Napoleons Gnaden aufsetzte. Man lernt die Zwänge kennen, in die die kleinen deutschen Territorialfürsten gerieten durch Napoleons gewaltsame Veränderung Europas. Man erfährt, wie sich die Stimmung drehte, je länger die Besatzung anhielt. Denn ein Verbündeter auf Augenhöhe war Sachsen nicht. Gerade Leipzig wurde – wie in all den Kriegen auch zuvor schon üblich – zu heftigen Kontributionen verdonnert. Und je näher es auf das Jahr 1813 zugeht, umso mehr finden sich Töne, die andere Visionen artikulieren. Denn eines hatte Napoleon den Deutschen ja demonstriert: Wie leicht es sein könnte, die ganze überholte Kleinstaaterei zu überwinden.

Nicht alle Äußerungen für ein einiges Deutschland sind nationalistisch angehaucht. Und die meisten Geschichtsbücher der späteren Zeit haben den Moment übertrieben, haben einen der preußischen Slogans – “Das Volk steht auf, der Sturm bricht los” – für bare Münze genommen, auch wenn von einem Volksaufstand in deutschen Landen nicht die Rede sein konnte. Mit einem Volksheer meinten die preußischen Reformer Scharnhorst und Gneisenau etwas ganz anderes. Sie brauchten genug Truppen, um Napoleon Paroli bieten zu können.

Sehr klug geht Poser darauf ein, warum die neuen Alliierten von 1813 so vorsichtig agierten und taktierten, bringt etwas ins Spiel, was die meisten Historiker kraft ihrer Wassersuppe fast immer ausblenden: Armeen waren und sind bis heute teure Spielzeuge. Ganze Staaten haben sich allein mit dem Unterhalt von stehenden Heeren ruiniert. Und Fürst Schwarzenberg, der Oberste Heerführer der alliierten Truppen, weiß genau, dass er eine teure Armee im Feld hat, die er nicht in unberechenbaren Schlachten zerreiben darf, denn Österreich ist mit mit seiner Truppenaufstellung bis an die Grenzen seiner finanziellen Kräfte gegangen.

Deswegen wird Manches in diesem Frühjahr 1813 nur zum Scharmützel. Im Sommer sind beide Seiten sogar froh, einen Waffenstillstand beschließen zu können, um die jungen, kriegsunerfahrenen Truppen sich erholen zu lassen. Nur eine Truppe ignoriert diesen Waffenstillstand – sogar leichtfertig: das ist das Freikorps der Lützowschen Jäger, zu denen auch der Sänger Theodor Körner gehört, der bei einem Gefecht südwestlich von Leipzig verwundet und von barmherzigen Leuten in Großzschocher nach einmal gerettet wird. Gerade die Lützower wurden im Nachhinein gern als Vorbild für den Kampf um eine einige deutsche Nation hingestellt.

Doch war es wirklich so? Feierten die Leipziger nach der Schlacht tatsächlich die Befreiung von Napoleon, wie auch jüngst ein Flyer des Fördervereins Völkerschlachtdenkmal e.V. behauptete? – Mitnichten. Gerade in Sachsen war man nach der 1814 beschlossenen Teilung des Landes wohl eher der Ansicht, dass es dem Land unter Napoleon besser gegangen wäre. Die Ereignisse um die sächsischen Truppen, die noch während der Völkerschlacht die Seiten gewechselt hatten, nahmen beim Zug der Alliierten gegen Frankreich dramatische Züge an. Den Offizieren boten die Preußen zwar die freie Wahl an, in welchem Heer – dem preußischen oder dem sächsischen – sie künftig dienen wollten, aber die Soldaten wurden auseinander dividiert wie die Schafe.Wer dummerweise im nun von Preußen beanspruchten Territorium wohnte, war auf einmal Preuße. Und es war ein wenig wie später bei den Göttinger Sieben, die den Eid auf die Verfassung so ernst nahmen, dass sie auch die Verbannung in Kauf nahmen: Die sächsischen Soldaten fühlten sich ihrem sächsischen König verpflichtet, den die Preußen als Kriegsgefangenen mitgenommen hatten. Sie meuterten, warfen Blücher die Fenster ein – und sieben von ihnen wurden standrechtlich exekutiert.

Das, was die Schacherer in Wien mit Sachsen anstellten, haben die Sachsen Jahrzehnte lang nicht verziehen. Und es waren auch wieder die Franzosen, die – diesmal im Verein mit den Österreichern – verhinderten, dass Sachsen komplett von Preußen geschluckt wurde.

Hier sind auch die Wurzeln dafür, dass es bei Leipzig nie wirklich ein Siegesdenkmal gab. Und dass jenes Denkmal, das dann 1913 feierlich eingeweiht wurde, zwar ein monströser Klotz wurde, aber eigentlich die Trauer um die vielen Tausend in der Schlacht Getöteten in den Mittelpunkt stellt – mit der Krypta, dem See der Tränen, den trauernden Recken. Und Poser zitiert einen der klügsten Männer der Zeit, der das aufkommende Gerede von den “Befreiungskriegen” nicht wirklich ehrlich fand: Johann Wolfgang von Goethe. “Sie sprechen von Erwachen, von der Erhebung des deutschen Volkes und meinen, dieses Volk werde sich nicht wieder entreißen lassen, was es errungen und mit Gut und Blut teuer erkauft hat, nämlich die Freiheit. Ist denn wirklich das Volk erwacht?”

Die Frage galt nicht nur am 13. Dezember 1813, als Goethe das sagte. Genauso wie seine Frage: “Und was ist denn errungen oder gewonnen worden?”

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Die Völkerschlacht bei Leipzig
Steffen Poser, Edition Leipzig 2013, 19,90 Euro

Dichter stellen oft und gern die Fragen, die die Politiker gern verschweigen. Das gilt bis heute. Was die Deutschen bekamen, waren die berühmten Karlsbader Beschlüsse. Die Herren, die im Oktober 1813 die Schlacht befehligten, verteidigten auch ihre alten knöchernen Dynastien. Und selbst die Freiwilligen dieses Krieges merkten schnell, dass an den großen Versprechen der Herren von und zu nicht allzuviel echtes Gold war.

Es ist schon erstaunlich, was alles in so ein Buch passt. Wem die üblichen einfachen Geschichten über die Völkerschlacht zu simpel sind, dem sei es empfohlen.

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